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Politik: Weit vorne, aber nie ganz vorn

Der "große Klare aus dem Norden": von dieser bescheidenen Brillanz waren die Leistungen, zu denen Gerhard Stoltenberg die politischen Kommentatoren herausforderte. In der Tat war er fast ein Kontrastprogramm zu den unterhaltsamen Naturen in der Politik: sehr norddeutsch, spröde, ruhig, solide; er brachte es fertig, ein biographisch angelegtes Buch über die deutsche Politik derNachkriegszeit zu schreiben, fast ohne das Wort "ich" zu benutzen.

Der "große Klare aus dem Norden": von dieser bescheidenen Brillanz waren die Leistungen, zu denen Gerhard Stoltenberg die politischen Kommentatoren herausforderte. In der Tat war er fast ein Kontrastprogramm zu den unterhaltsamen Naturen in der Politik: sehr norddeutsch, spröde, ruhig, solide; er brachte es fertig, ein biographisch angelegtes Buch über die deutsche Politik derNachkriegszeit zu schreiben, fast ohne das Wort "ich" zu benutzen. Dabei gab es kaum einen Politiker, der im politischen Getriebe dieser Zeit so lange und so nahe dabei war wie er. Er war auch alles, was man werden kann: führender Mann seiner Partei, der CDU, erst in der Jungen Union, dann in den einschlägigen Parteigremien, Bundes- und Landtagsabgeordneter für vier Jahrzehnte, dreimal Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, Bundesminister, zuerst für Finanzen, dann, zuletzt, für Verteidigung. Etwas war er nicht, und darin liegt, vielleicht, die Schwachstelle dieser politischen Laufbahn: Kanzler, wenigstens Kanzlerkandidat. Dabei hat es durchaus Stimmen gegeben, die ihn - als in den siebziger Jahren die Union an die Macht drängte - Kohl vorgezogen hätten. Dass daraus nichts wurde, lag auch daran, dass Stoltenberg selbst die Konkurrenz scheute. Vermutlich aus guten Gründen: Der Pastorensohn repräsentierte die protestantisch-bürgerliche Möglichkeit der Union, die in der Partei nie ganz an die Spitze gelangte. Dass er, Jahrgang 1928, Angehöriger der Flakhelfer-Generation, die in den frühen Nachkriegsjahren in die Politik ging, einer der großen Staatsmänner der Bundesrepublik war - wie es Heide Simonis, die SPD-Regierungsschefin von Schleswig-Holstein, nun gesagt hat -, trifft gleichwohl zu. Stoltenberg gehörte zu denen, die die Republik in der zweiten Hälfte ihrer Geschichte maßgebend mitgeprägt haben. Er hat das nördlichste Bundesland tief greifend geformt und die zweite Regierungszeit der Union mitgetragen. Er ist, auch dies, schließlich in ihren Niedergang hineingezogen worden, im Land - Stichwort Barschel-Affäre - und im Bund; 1992 trat er wegen der Lieferung von Panzern in die Türkei zurück. Am Freitag ist Gerhard Stoltenberg gestorben.

Rdh

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