zum Hauptinhalt
Etwa 11.000 Häftlinge werden im Silivri-Gefängnis westlich von Istanbul, Türkei, wegen Terrorismus oder Verschwörung festgehalten.

© imago/Le Pictorium/Stefania Mizara

Wegen kritischer Kommentare gegen Erdogan: Rund 60 Deutsche sitzen in der Türkei in Haft

Viele Bundesbürger werden wegen kritischer Kommentare über den Präsidenten Erdogan in der Türkei festgehalten. Das betrifft derzeit rund 120 Menschen.

Die Türkei hält derzeit fast 120 Bundesbürger fest. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Gökay Akbulut hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. Etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen sitzt demnach in Haft, die anderen können die Türkei wegen Ausreisesperren nicht verlassen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Nach Angaben von Akbulut werden viele Deutsche wegen kritischer Kommentare über Präsident Recep Tayyip Erdogan oder dessen Regierung in den sozialen Medien festgehalten. Die Bundestagsabgeordnete aus Mannheim wirft der Regierung vor, sich nicht energisch genug für unschuldig inhaftierte Deutsche einzusetzen.

Das Auswärtige Amt in Berlin erklärte in der Antwort auf Akbuluts Anfrage, die Bundesregierung wisse von 61 inhaftierten Bundesbürgern und weiteren 58 Deutschen, die mit Ausreisesperren belegt worden seien. Die Gründe für die Inhaftierungen und Ausreisesperren wurden in der Antwort nicht aufgeführt. Deshalb ist unbekannt, wie viele Deutsche wegen politischer Vorwürfe festgehalten werden und in welchen Fällen es um Straftaten wie Drogenhandel geht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Deutschland und die Türkei streiten seit Jahren darüber, dass Ankara die Grenzen der freien Meinungsäußerung bereits bei Äußerungen überschritten sieht, die in der Bundesrepublik und nach europäischem Verständnis toleriert werden müssten.

38.600 Anklagen wegen Präsidentenbeleidigung in der Türkei

Die türkische Oppositionspartei CHP hat ausgerechnet, dass die türkische Justiz seit Erdogans Amtsantritt als Staatschef vor sieben Jahren knapp 38.600 Anklagen wegen Präsidentenbeleidigung erhoben hat. In den Amtszeiten der letzten fünf Präsidenten vor Erdogan lag die Zahl demnach bei insgesamt etwa 1800.

Politische Justiz. Das Silivri-Gefängnis nahe Istanbul.
Politische Justiz. Das Silivri-Gefängnis nahe Istanbul.

© AFP/Ozan Kose

Besonders Deutsche türkischer Herkunft laufen bei Besuchen in der Türkei Gefahr, wegen Äußerungen in den sozialen Medien festgenommen und vor Gericht gebracht zu werden. Anlass sind häufig Kritik an Erdogan oder Kommentare zur Kurdenpolitik, die als Unterstützung für die Terrororganisation PKK gewertet werden.

„Deutsche Staatsangehörige werden weiterhin willkürlich festgenommen, mit einer Ausreisesperre belegt oder ihnen wird die Einreise in die Türkei verweigert“, bestätigt das Auswärtige Amt in seinen aktuellen Reisehinweisen für die Türkei.

Terrorismus-Begriff werde in der Türkei „rechtsstaatswidrig“ ausgeweitet

Der Terrorismus-Begriff werde von den Behörden nach Auffassung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes „rechtsstaatswidrig“ ausgeweitet, erklärt das Außenministerium. Die türkische Regierung weist den Vorwurf zurück und betont, die Justiz gehe angemessen gegen staatszersetzende Aktivitäten vor.

Demonstranten protestieren am 3. Mai 2017 in Berlin vor dem Brandenburger Tor bei einer Aktion von Amnesty International und Reporter ohne Grenzen der Initiative Free Deniz für Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei und die Freilassung inhaftierter Journalisten.
Demonstranten protestieren am 3. Mai 2017 in Berlin vor dem Brandenburger Tor bei einer Aktion von Amnesty International und Reporter ohne Grenzen der Initiative Free Deniz für Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei und die Freilassung inhaftierter Journalisten.

© dpa/Maurizio Gambarini

Kritiker halten der Bundesregierung vor, wegen der wichtigen Rolle der Türkei in der Flüchtlingsfrage auf Sanktionen gegen Ankara wegen der Verhaftungen zu verzichten. Dabei habe die Bundesregierung viele Möglichkeiten, Druck auf die Türkei auszuüben, erklärte Akbulut.

[Mehr zum Thema: Staatskidnapper aus Ankara - Erdogans langer Arm (T+)]

Als Beispiele nannte sie die Kürzung von Hermesbürgschaften, mit denen Türkei-Geschäfte deutscher Unternehmen abgesichert werden, und einen Stopp von Waffenlieferungen an den Nato-Partner.

Die türkisch-stämmige Politikerin berichtete, sie werde von vielen Familienangehörigen von Verhafteten in der Türkei angesprochen. „Es darf nicht sein, dass Menschen in der Türkei willkürlich bestraft werden, nur weil sie in sozialen Netzwerken von ihrem Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch machen“, erklärte Akbulut.

Die Türkei setze politische Häftlinge als Geiseln ein, kritisierte die Abgeordnete der Linken-Fraktion. Berlin dürfe sich nicht auf einen Handel mit Ankara einlassen, weil dann zwar einige Betroffene freikommen könnten, aber dafür andere in Haft genommen würden. „Damit muss Schluss sein. Die Bundesregierung muss endlich klare Kante zeigen“, forderte Akbulut.

Zur Startseite