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Politik: Welche Quote hat die Wahrheit?

BBC IN DER KRISE

Von Moritz Schuller

Es klingt wie ein schlechter Scherz: Berge von vulgärem, voyeuristischem und erlogenem Müll produziert die britische Medienlandschaft tagtäglich, und wer wird dann von einem Lordrichter für seine Berichterstattung an den Pranger gestellt? Ausgerechnet die BBC, die doch Stunde um Stunde den zivilisierenden Klang von Big Ben an den entlegensten Flecken dieser Welt überträgt. Dazu der Spott: Ausgerechnet die „Sun“, die Königin der Revolverblätter, verbreitete vorab genüsslich die brutale Kritik Huttons.

Die British Broadcasting Corporation spielt in einer anderen journalistischen Liga als jene, die sich in den BuckinghamPalast einschleichen und heimlich das Müsli von Prinz Philip fotografieren. Die Härte, mit der Hutton urteilte, demonstriert nicht gerade Zuneigung, aber auch den sehr hohen Anspruch an die Institution BBC. Der ist höher als der an die „Sun“. Diesem Anspruch versucht die BBC nun im Umgang mit dem Hutton-Bericht gerecht zu werden: Bei Tony Blair hat man sich entschuldigt, Generaldirektor Greg Dyke und Aufsichtsratschef Gavyn Davies sind zurückgetreten. Bereits vor Huttons Bericht hatte die BBC einen Fernsehbericht gesendet, der sich kritisch mit der eigenen Arbeit auseinander setzte. Die Radikalität, mit der sich der Sender nun dem Urteil stellt, ist bewundernswert und wie das meiste, das die BBC produziert, vorbildlich. Und: angesichts der tatsächlichen Verfehlung auf den ersten Blick erstaunlich.

Die BBC hatte behauptet, die britische Regierung habe die Bedrohung durch den Irak absichtlich übertrieben. Hutton sagt, dass es keinen Beweis dafür gab, dass sie absichtlich übertrieben habe. Der Vorwurf beruhte lediglich auf Mutmaßungen Dritter (darunter einer Ex-Ministerin) und hätte nicht erhoben werden dürfen. Der Reporter Andrew Gilligan tat es dennoch. Ein Fehler. Ein großer Fehler, weil dadurch die zutreffende Berichterstattung entwertet wurde.

Gilligan war angeworben worden, um „scoops“, um Sensationen zu produzieren. Der Druck der Quote, das macht diese Affäre deutlich, lastet eben auch auf der BBC. Und so muss zur Aufarbeitung auch ein strategisches Abwägen gehören: Welchen Platz will die BBC auf einem Markt einnehmen, auf dem sich auch die Murdochs dieser Welt tummeln? Die Kontrollmechanismen des Senders, so kann man Hutton deuten, sind auf diese Herausforderungen nicht ausreichend vorbereitet.

Doch das Problem geht über Gilligans reißerischen Bericht hinaus. Dass im vergangenen Sommer zwischen BBC und Regierung ein wahrer Krieg toben konnte, der mit der Implosion der einen Partei und dem hämischen Sieg der anderen zu Ende geht, der so oder so das politische Fundament des Landes erschüttert hat, dafür gibt es auch einen anderen Grund.

Die Beziehung des öffentlich-rechtlichen Senders zur Regierung ist in Großbritannien, wie anderswo, grundsätzlich prekär. Bei Margaret Thatcher waren die Fronten geklärt, bei Tony Blair sind sie es immer noch nicht. Greg Dyke, der Generaldirektor der BBC, war selbst einmal ein glühender Anhänger von New Labour, er half Blair dabei, Chef der Partei zu werden. Die Politik der BBC gegenüber dieser Labour-Regierung war geprägt von Ambivalenz und der Sorge vor zu großer Nähe. Auch diese gemeinsame Vergangenheit erklärt den betont unversöhnlichen Ton in der Zeit des Krieges.

Lord Hutton hat die öffentliche Meinung nicht verändern können: Laut einer Umfrage glauben die Briten noch immer eher der BBC als ihrer Regierung. Das Machtverhältnis hat sich dennoch verschoben; Blair wird sogar den Nachfolger von Davies bestimmen dürfen. Indem Hutton, vielleicht unabsichtlich, einen Teil des politischen Establishments triumphieren ließ, hat er eine ohnehin prekäre öffentliche Beziehung ganz aus der Balance gebracht.

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