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Politik: Welche Verfassung braucht Deutschland, Herr Stoiber?

Bayerns Ministerpräsident über Föderalismus, Krieg und Kanzlerschaft

Sie wollten Kanzler werden – wollen Sie es nicht mehr?

Die Union braucht jetzt keinen Kanzlerkandidaten, weil keine Bundestagswahl ansteht.

Sie haben Ihren Kandidatenstatus jedenfalls vor ein paar Tagen als beendet erklärt. Warum denn?

Der war im Prinzip am Abend des 22. September zu Ende.

Da erinnern wir uns aber anders.

Wir haben zunächst, nach den ersten Ergebnissen und Hochrechnungen, geglaubt, die Mehrheit der Regierung würde knapper, zu knapp für eine tragfähige Regierung. RotGrün ist aber offensichtlich entschlossen, durchzuhalten, und sei es als Regierung, die alle entscheidenden Probleme immer weiter anwachsen lässt und das Land zum Sanierungsfall macht. Wir stellen uns jedenfalls darauf ein, dass die nächste Bundestagswahl erst 2006 stattfindet.

Und wenn nicht?

Wir sind jederzeit bereit und in der Lage, die Regierung zu übernehmen. Wir haben mit einem schlüssigen Regierungsprogramm ein zufriedenstellendes Ergebnis eingefahren, wir verfügen über starke Persönlichkeiten an wichtigen Stellen, eine Fraktionsvorsitzende Angela Merkel, den Kollegen Friedrich Merz für die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Horst Seehofer für die Gesundheit. Von 16 Ministerpräsidenten gehören neun jetzt der Union an. Wir können jederzeit die Regierung übernehmen.

Und was würden Sie als erstes tun, wenn Sie gefordert sind? Steuern senken, um die Konjunktur anzukurbeln? Oder die Mehrwertsteuer erhöhen, wie es Ihre Ministerpräsidentenkollegen Müller und Böhmer debattieren?

Aus gesamtwirtschaftlichen Gründen ist es nötig, die Steuern zu senken. Die Abgaben für Bürger und Mittelstand sind zu hoch. Aber im Augenblick ist es angesichts der desolaten Lage der öffentlichen Hand einfach nicht möglich, auf Einnahmen zu verzichten. Und neue Schulden verbietet uns Maastricht.

Hat Angela Merkel jetzt in Amerika alles richtig gemacht? Über ihren regierungskritischen Artikel zur Irak-Politik, der vor ihrer Reise in der Washington Post erschien, waren ja auch in der Union nicht alle begeistert.

Ich verstehe die Aufregung überhaupt nicht! Das war völlig richtig. Da gibt es nichts auszusetzen. Ob ich eine kritische Position im Tagesspiegel oder der Washington Post vertrete, da besteht doch kein Unterschied mehr. Im Internet kann ich beide gleich schnell nachlesen.

Haben Sie eigentlich inzwischen getan, was Ihr Parteifreund Peter Gauweiler gefordert hat: sich zu entscheiden, ob man auf Seiten des Papstes ist oder auf Seiten Bushs?

Diese Alternative gibt es nicht. Es ist doch selbstverständlich und notwendig, dass sich die Kirchen als geistliche Institutionen vehement für den Frieden einsetzen. Aber der Papst hat militärische Maßnahmen als letztes Mittel nicht vollkommen ausgeschlossen.

Aber Sie wollen auch keinen Krieg?

Selbstverständlich nicht!

Als letztes Mittel aber schon?

Als allerletztes Mittel hat die Völkergemeinschaft zuletzt im Kosovo und in Afghanistan schwerste Menschenrechtsverletzungen mit militärischen Maßnahmen unterbunden. Die Frage aller Fragen ist aber doch, wie kann man Krieg verhindern. Es geht aber nicht nur um den Irak, sondern es geht um den Zusammenhalt Europas und die künftige europäische Sicherheitsarchitektur. Saddam Hussein ist gelungen, was nicht einmal Chruschtschow und Breschnew gelang: Die europäischen Partner zu spalten, in die Nato den Spaltpilz zu tragen. Erst gab es die einseitige Vorfestlegung des Bundeskanzlers, dann kam Frankreich dazu, dann haben die Osteuropäer erklärt, sie seien aber anderer Meinung. Ich kann nur hoffen, dass das keine langfristigen Folgen für das Klima in Europa haben wird.

Ausgespart haben Sie, was am Anfang stand: Die Amerikaner haben sich weitgehend auf den Krieg festgelegt.

Moment, dazu wollte ich eben kommen: Europa muss gegenüber Amerika frühzeitig mit einer Stimme auftreten, wenn wir Einfluss nehmen wollen. Das Gegenteil hat Schröder getan, er hat eine gemeinsame europäische Diplomatie schon im Ansatz verhindert. Dazu kommt ein tiefer Riss im deutsch-amerikanischen Verhältnis. Und für die osteuropäischen Länder ist es keine Alternative, eine Achse Paris-Berlin-Moskau entstehen zu sehen. Das gibt ihnen nicht das gleiche Gefühl der Sicherheit gegenüber der engen atlantischen Verbindung. Ohne Amerika ist eine Einheit Europas heute nicht möglich, weil Europa keine eigene Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt hat. Der Bundeskanzler hat die Fundamente von EU und Nato verändert, das ist das eigentlich Dramatische an dieser Auseinandersetzung um den Irak. Es liegt viel in Trümmern, es gibt tiefe Verwerfungen.

Wenn man Ihre Kritik zusammenfasst, ist die Frage: Hat Schröder seinen Amtseid verletzt? Der Kanzler schwört, „Schaden vom deutschen Volk abzuwenden und seinen Nutzen zu mehren".

Er glaubt daran, jedenfalls hoffe ich das, das Richtige zu tun. Objektiv bringt er Deutschland aber in eine sehr gefährliche Situation. Er hat etwas getan, was man schlicht nicht machen darf: Er hat die Irak-Krise innenpolitisch benutzt, ohne die außenpolitischen Folgen überhaupt einzukalkulieren. Er hat suggeriert, es ginge um Krieg und Frieden. Er hat damit für die Bundestagswahl Punkte gemacht, aber seither fährt er auf einem Gleis, von dem er nicht mehr herunterkommt - wenn man einmal davon absieht, dass er kürzlich der Resolution der EU-Staaten zugestimmt hat, die Krieg nicht völlig ausschließt. Es ist ja auffallend, dass Joschka Fischer und die jüngere Generation der Grünen die Dinge auch in der Irak-Frage um Vieles anders sehen als der Kanzler.

Mit den Grünen hat die Union ja immer mehr gemeinsam, in der Steuerpolitik und wenn es um die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts geht. Wann kommt Schwarz-Grün?

Das sehe ich nicht. Die Grünen sind keine Feinde, sondern politische Gegner. Aber Schwarz-Grün ist heute für uns keine Option. Da müssten sich die Grünen in der Gesellschaftspolitik fundamental verändern. Es gibt Schnittmengen zwischen uns und ihnen. Aber für eine Koalition reicht das nicht.

Es gab aber eine Zeit, da war nicht klar, ob die Grünen in den Verfassungsbogen gehören.

Das ist Geschichte. Fischer und die Jungen haben eine Wende vollzogen.

Ihr künftiger Ministerpräsidentenkollege Christian Wulff hat kürzlich laut darüber nachgedacht, ob sich nicht doch Regierung und Opposition zum Besten des Landes mal zusammensetzen und direkt verhandeln sollten.

Ich glaube nicht, dass Christian Wulff das gemeint hat. Die Orte gemeinsamer Bemühungen sind allein der Bundestag, der Bundesrat und der Vermittlungsausschuss. Die Bundesregierung muss zunächst selbst endlich die notwendigen Reformgesetze vorlegen. Sie macht nur Ankündigungen, dann Rückzieher und schiebt dann alles auf die lange Bank. Die Regierung ist gewählt um zu handeln.

Was ist schlecht daran, sich zu einigen, ohne den langen parlamentarischen Weg zu gehen?

Die Opposition hat ihre Kontrollaufgabe, aber die Regierung hat die Mehrheit und die Aufgabe zu regieren. Da werden wir immer gefragt, gerade von Journalisten: Ja, und wo sind Eure Konzepte? Es ist umgekehrt. Die andern sind gewählt! Jetzt liegt schon ein Achtel der Legislaturperiode hinter uns und nichts ist bisher geschehen, außer dass das Minijob-Gesetz durch ist - und das war unser Konzept. Also: Wir sind sogar in Vorleistung gegangen, aber es ist die Regierung, die bohrend nach ihren Konzepten zu fragen ist. Rot-Grün benimmt sich gerade wie eine außerparlamentarische Regierung. Aber wenn die es nicht können, müssen sie irgendwann auch einmal sagen: Wir können es nicht. Oder der Kanzler muss sagen: Ich kann nicht mehr.

Kann es denn Wolfgang Clement? Mit dessen Vorstellungen zum Kündigungsschutz sind Sie doch sehr einverstanden?

Auch Herr Clement redet zunächst mal, auch er soll endlich schwarz auf weiß einbringen, wie viele Beschäftigte ein Betrieb nun haben muss, damit der Kündigungsschutz gilt, ob er von fünf auf sechs, auf sieben oder auf elf gehen will. Jetzt soll wieder alles bis zur Sommerpause verschoben werden und die Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt und in den öffentlichen Haushalten geht immer weiter.

Und den Flächentarifvertrag wollen Sie auch gleich loswerden?

Nein, aber ich will, dass die Entscheidungen nach unten verlagert werden können, nicht nur von der Gewerkschaft entschieden werden, sondern von den Betriebsräten, den Belegschaften, die die Situation ihres Betriebes doch am besten kennen. Es muss möglich sein, dass ein Unternehmen in einer Krise, um Arbeitsplätze zu sichern, die Löhne senken kann. Wenn die Krise vorbei ist, können die wieder höher werden und man legt vielleicht noch drauf. So erhält man die Arbeitsplätze und vermeidet gemeinsam Entlassungen. Dazu sind viele pragmatische Betriebsräte bereit.

Sind die Gewerkschaften auch in Ihren Augen eine Plage? Denken Sie da so wie Guido Westerwelle?

Nein, die Gewerkschaften sind ein unverzichtbarer Partner für den sozialen Frieden. Aber sie sind reformunwillig. Sie haben ein Erkenntnisproblem. Wenn ich Frau Engelen-Kefer oder Herrn Zwickel sprechen höre, dann habe ich das Gefühl, die haben noch gar nicht gemerkt, dass wir einen globalisierten Markt haben. In den 60er, 70er Jahren ging es noch darum, die Wachstumsgewinne sozial gerecht zu verteilen. Die gibt es aber nicht mehr, jetzt müssen wir Wachstum erst einmal schaffen. Die soziale Frage heute ist, wie schaffe ich Arbeitsplätze.

Und was müssen die Unternehmer tun?

Die haben natürlich Verantwortung, für Arbeitsplätze, Ausbildung und auch die Verantwortung für ihr eigenes Land. Ich habe den Eindruck, dass etwa französische Unternehmer stärker an ihr Land denken. Das wünsche ich mir für Deutschland. Und auch wenn einzelne Unternehmer wie der frühere Mannesmann-Chef Esser der Meinung sind, der Aktienkurs, den er nach oben getrieben hat, müsse auch ihm nützen: Mit den Abfindungssummen, die da fließen, stellen sich manche außerhalb des Vertretbaren und verletzen einen unausgesprochenen Konsens in diesem Land. Sie haben den Kontakt mit der Lebenswirklichkeit verloren.

Hat die Wirtschaft eine dienende Funktion?

Sie muss ein Interesse daran haben, dass die Grundlagen unseres Gemeinwesens erhalten und gesichert werden.

Müssen sich nicht auch die politischen Institutionen selbst reformieren?

Da sind wir dran. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass das funktionieren wird.

Wollen Sie wie Ihr Stuttgarter Kollege Teufel die Zahl der Bundesländer halbieren?

Das wäre ökonomisch vernünftig. Ich habe das früher auch selbst gefordert. Aber die Zusammenlegung von Ländern ist nicht in erster Linie ein wirtschaftliches, sondern ein emotionales und kulturelles Problem. Die betroffenen Länder müssen es selbst wollen und selbst entscheiden.

Ein echtes Problem ist allerdings die Doppelherrschaft von Bundesrat und Bundestag, die eine Unzahl von Gesetzen durch zwei Kammern zwingt.

Ich bin allerdings der Meinung, dass der Bundesrat zu viele Zustimmungsrechte aus formalen Gründen hat. Die kann man reduzieren. Zum Ausgleich sollten die Länder mehr eigene Verantwortung bekommen, wir brauchen mehr Autonomie für die Länder, zum Beispiel Erbschaftssteuer, Vermögens- und Grundsteuer – warum sollten sie darüber nicht selbst entscheiden?

Will das überhaupt eine genügende Zahl von Verantwortlichen?

Die Ministerpräsidenten stecken mitten in der Arbeit daran, und ich bin wirklich zuversichtlich. Auch die kleinen Länder sind mit dabei. Inzwischen geht es einer genügend großen Zahl von Ländern auf, dass es so nicht bleiben kann: Der deutsche Föderalismus ist ein hervorragendes Verfassungsprinzip. Die Praxis hat sich aber so weit verkompliziert, dass sie zu einer Wachstumsbremse geworden ist. Auch da müssen wir uns auf eine globalisierte Welt einstellen.

Und auf weniger Länder, wie damals, beim Wunder von Baden-Württemberg?

An Wunder soll man immer glauben.

Mit Edmund Stoiber sprachen Stephan-Andreas Casdorff, Andrea Dernbach und Hellmuth Karasek.

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