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Weltjugendtag in Brasilien: Was ist aus den sozialen Protesten geworden?

Ende Juli wird der Papst zum Weltjugendtag nach Rio de Janeiro reisen. Dabei wird es auch um die soziale Situation Brasiliens gehen. Was ist aus den Protestender vergangenen Wochen geworden?

Die Demonstranten in Brasilien haben einen prominenten Unterstützer: Wenn Papst Franziskus kommende Woche auf dem Weltjugendtag in Rio de Janeiro zu den Pilgern sprechen wird (es werden bis zu zwei Millionen Menschen erwartet), dann wird er auch die Massenproteste loben, die im Juni in Hunderten Städten des Landes stattgefunden haben. Dass die Forderungen der Demonstranten nach mehr Gerechtigkeit im Einklang mit dem Evangelium stünden, soll der Papst laut spanischer Zeitung „El País“ sagen.

Das ist insofern bemerkenswert, weil die Katholische Kirche unter den beiden vorhergehenden Päpsten eine extrem konservative Haltung einnahm, wenn es um gesellschaftlichen Wandel in Lateinamerika ging. Johannes Paul II. stellte soziale Bewegungen in Lateinamerika pauschal unter Kommunismusverdacht; Benedikt XVI. verärgerte das progressive Lager, als er etwa behauptete, die Ureinwohner des Kontinents hätten ihre Missionierung still herbeigesehnt.

Doch trotz der breiten gesellschaftlichen Zustimmung zu den Forderungen der Demonstranten, sind die Proteste mit dem Ende des Fifa Confederations Cups schlagartig abgeflaut. Zwar versuchten die Gewerkschaften Ende vergangener Woche einen Generalstreik und Protestmärsche zu veranstalten, doch ihr Aufruf mobilisierte weitaus weniger Menschen als erwartet. Der Präsident der regierender Arbeiterpartei PT erklärte die geringe Beteiligung damit, dass die meisten Arbeiter heute eben sichere Jobs hätten. Zuvor hatte Brasiliens größte Gewerkschaft CUT, die mit der PT verbunden ist, den Streik als Unterstützung für Präsidentin Dilma Rousseff und ihre „Fünf Pakte für Brasilien“ ausgelegt, die derzeit im Kongress verhandelt werden. Gegen diese Interpretation hatten sich weiter links stehende Gewerkschaften gewandt.

Die politischen Organisationen haben bei der Jugend an Vertrauen verloren

Die geringe Beteiligung offenbarte jedoch nicht nur den Bruch im linken Lager, sondern auch den tiefen Graben zwischen den politischen Organisationen und der brasilianischen Jugend, die den etablierten Apparaten zutiefst misstraut. Die Jugend artikuliert sich spontan über das Internet und lokale Gruppen, die sich um spezifische Themen herum gebildet haben, etwa den Kampf gegen die Privatisierung des Maracanã-Stadions in Rio de Janeiro. Die Studenten, die auf den Gewerkschaftsmärschen mitliefen, hielten sich denn auch bewusst am Rande. In Rio provozierte zudem ein anarchistischer Schwarzer Block, der im Anschluss versuchte den Gouverneurspalast anzugreifen. Die Militärpolizei reagierte wie schon zuvor brutal.

Die brasilianische Politologin Sonia Fleury interpretiert die Protestbewegung als Beweis dafür, dass Dilma Rousseff und die PT die Zustimmung der Jugend und progressiver Bewegungen verspielt hätten, weil sie zum Machterhalt mit den konservativen Eliten paktiert und anschließend jede Kritik von links mundtot gemacht hätten. „Die PT hat die Fähigkeit verloren, mit Widerspruch umzugehen“, sagt Fleury. Das Gute an den Protesten sei nun, dass sie die Kanäle für Kritik, neue Debatten und Auseinandersetzungen geöffnet hätten. „Es geht im Grunde darum, wie in einer wirklichen Demokratie entschieden wird“, sagt Fleury.

Dennoch scheinen viele Politiker nicht viel gelernt zu haben. Rio de Janeiros Gouverneur Sérgio Cabral bestand bis vor wenigen Tagen noch darauf, jeden Tag im Helikopter von seiner Wohnung in den nur zehn Kilometer entfernten Regierungspalast gebracht zu werden.

Der Kongress in Brasilia hat nun, nachdem er zuvor einige Forderungen der Demonstranten rasch verabschiedet hatte, das von Präsidentin Rousseff vorgeschlagene Plebiszit über politische Reformen abgelehnt. Unter den Gegnern befanden sich auch zahlreiche Abgeordnete aus den Parteien der Regierungskoalition. Sie argumentieren, dass es der Präsidentin als Exekutive nicht zustehe, eine Volksbefragung anzuordnen. Diese könne einzig von den Volksvertretern beschlossen werden. Zudem sei 15 Monate vor den brasilianischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Oktober 2014 keine Zeit mehr für eine Reform des politischen Systems.

Das Thema, das die Regierung von Dilma Rousseff und die Medien ohnehin zurzeit weitaus stärker beschäftigt, ist die Spionage der US-Sicherheitsagentur NSA. Brasilien ist eins der sechs am meisten ausgespähten Länder der Welt, und stellt nun fest, wie schlecht man selbst im militärischen Bereich gegen Cyberattacken geschützt ist. Brasilien hängt von Knotenpunkten in den USA ab und hat keine eigene Software; seit 1968 plant man vergeblich, einen eigenen Kommunikationssatelitten. Das wird nun zum Problem.

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