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Weltwirtschaftsforum: Afrikas Wirtschaft wächst - und die Hoffnung

Nach Jahrzehnten des Stillstands regt sich in Afrika Hoffnung. Zum Weltwirtschaftsforum präsentiert der Erdteil kräftiges Wachstum. Wird der Kontinent ein ernst zu nehmender globaler Wirtschaftsfaktor?

Auf den ersten Blick geben die Zahlen Anlass zum Optimismus: Um 4,5 Prozent ist die Wirtschaft Afrikas im letzten Jahr gewachsen, wenn auch von einer niedrigen Basis. Dieses Jahr sollen es fünf Prozent werden, für das gesamte Jahrzehnt bis 2020 werden vom Internationalen Währungsfonds (IWF) sogar sechs Prozent prophezeit. Grund genug für das Weltwirtschaftsforum, seinen 23. Afrikagipfel in dieser Woche unter das Motto „Erfüllung des afrikanischen Versprechens“ („Delivering on Africa’s promise“) zu stellen. Bis zum Wochenende diskutieren Führer aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Kapstadt darüber, ob Afrika sich diesmal wirklich auf einem nachhaltigen Wachstumspfad befindet – oder ob sich auch der jüngste Aufschwung als Strohfeuer entpuppt.

Viele Jahre hatte Afrika in der Weltwirtschaft überhaupt keine Rolle gespielt. Ein unguter Mix aus Einparteienstaaten, Planwirtschaft, hohen Schulden und Kaltem Krieg führte dazu, dass die internationale Geschäftswelt den Kontinent bis zur Jahrtausendwende weiträumig umging – und Afrika immer weiter zurückfiel. Erst mit dem Aufstieg Chinas und dem damit verbundenen Rohstoffboom ab 2003 keimte Hoffnung auf robusteres Wachstum. Einige Beobachter halten es nun sogar für möglich, dass Afrika zum Rettungsanker für die angeschlagenen Volkswirtschaften im Westen wird.

Einer von ihnen ist Jim O’Neill. Afrika könnte für Jahrzehnte zu einer „dominanten Kraft der Weltwirtschaft“ werden, sagt der langjährige Chefökonom von Goldman Sachs mit Blick auf die jüngsten Wachstumsprognosen. Superlative gehören bei der Debatte über Afrika längst zum guten Ton. In einer aktuellen Studie spricht die Unternehmensberatung KPMG angesichts der leicht gestiegenen Direktinvestitionen bereits vom „Aufstieg des Phoenix“. Die Berater sind überzeugt, dass Afrika auch künftig sechs der zehn am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften weltweit stellen werde. Schneller als erwartet vertreibe der Kontinent die Geister der Vergangenheit, frohlockt KPMG-Chef Klaus Findt.

Nach Ansicht von Südafrikas Präsident Jacob Zuma gewinnt Afrika an Attraktivität für Auslandsinvestitionen. Das Weltwirtschaftsforum werde Investoren „die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft“ demonstrieren, sagte Zuma zu Beginn der Tagung. Noch enthusiastischer gab sich Südafrikas Finanzminister Pravin Gordhan. Er sieht den schwarzen Kontinent für die nächsten beiden Jahrzehnte gar auf einem „potenziell unschlagbaren“ Wachstums- und Entwicklungspfad. Dies werde zu einem starken Anstieg der Privatinvestitionen führen. Gegenwärtig erhält Afrika nur rund fünf Prozent der weltweit zirkulierenden Privatgelder – ein deutlicher Misstrauensbeweis.

Afrikas Armutsniveau ist trotz der jüngsten Wachstumszahlen in den letzten Jahren kaum gefallen.

Auch Gordhan weiß, dass dazu eine viel engere Kooperation der 54 Staaten des Kontinents notwendig wäre und die Wirtschaft breiter aufgestellt werden müsste. Bisher ist davon wenig zu sehen. So liegt der Anteil des innerafrikanischen Handels am Gesamthandel des Kontinents noch immer bei nur zwölf Prozent, wie die Weltbank bestätigt. Auch sind es diesmal wieder vor allem die Rohstoffe gewesen, die das Interesse risikofreudiger Investoren geweckt haben. Der Anschlag radikaler Islamisten auf eine Gasanlage in Algerien im Januar und die religiösen Unruhen in Nordnigeria haben Investoren jedoch erneut die Instabilität des Kontinents vor Augen geführt und gezeigt, wie schnell sich das politische Klima auf dem Kontinent eintrüben kann.

Unerwähnt bleibt zudem, dass Afrikas Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahrzehnt fast ausschließlich auf dem Konsum fußte. Anders als in Asien ist Afrikas Verbraucherboom fast nur von Geldern aus dem Rohstoffexport finanziert worden. Doch ohne ein Mindestmaß an Industrialisierung und die Entwicklung eines Herstellungssektors, der Waren für die Welt produziert, dürfte es in Afrika kaum eine industrielle Revolution nach dem Vorbild Chinas geben. Umso härter dürfte den Kontinent ein Rückgang der Preise seiner Rohstoffe treffen, die nach einem Bericht der Weltbank noch immer für über 80 Prozent aller Exporte aus Schwarzafrika verantwortlich sind.

Inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass der Rohstoffboom weiter an Fahrt verliert.

Ein Beispiel für die Folgen ist Angola, die drittgrößte Volkswirtschaft südlich der Sahara, wo Rohöl noch immer fast 90 Prozent der Gesamtexporte ausmacht. Seit 2009 ist die Wachstumsrate des Landes von über 20 auf rund vier Prozent abgesackt. Aber auch in Nigeria, der Nummer zwei in Schwarzafrika, sind Öl und Gas noch immer für 80 Prozent der gesamten Staatseinkünfte und 95 Prozent der Deviseneinnahmen verantwortlich.

Besonders ernüchternd ist jedoch, dass – anders als im Rest der Welt – Afrikas Armutsniveau trotz der jüngsten Wachstumszahlen in den letzten Jahren kaum gefallen ist. „Die Armutsrate sinkt längst nicht in dem Maße, in dem das Wachstum steigt“, resümiert Soren Ambrose von der Action-Aid-Gruppe in Nairobi. Selbst die sonst immer optimistische Weltbank muss eingestehen, dass die in Afrika erzielten Wachstumsraten im letzten Jahrzehnt die Armut auf dem Kontinent kaum vermindert haben. Gegenwärtig verdienen 95 Action-Aid-GruppeProzent aller Afrikaner weniger als zehn Dollar am Tag; rund die Hälfte lebt sogar unterhalb der Armutsgrenze von zwei Dollar am Tag.

Symptomatisch dafür steht Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichster Staat: Dort haben die Machthaber in den letzten 40 Jahren geschätzte Öleinnahmen in Höhe von rund 400 Milliarden Dollar vergeudet. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Nigerianer, die unterhalb der Armutsgrenze leben, kräftig an: von 19 Millionen im Jahre 1970 (bei einer Bevölkerung von 70 Millionen) auf heute rund 100 Millionen (bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 165 Millionen).

Selbst O’Neill warnt deshalb vor überzogenem Optimismus. Um wirklich abzuheben, müsse Afrika große Vorleistungen bringen wie den Aufbau eines vernünftigen Bildungs- und Gesundheitswesens und vor allem eines Rechtsstaats. Erst dann sei das erhoffte Wachstum auch wirklich zu erzielen. Wolfgang Drechsler

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