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Weltwirtschaftsforum in Davos: Das Bergfest

Die Euro-Rettung haben sie abgehakt, jetzt wäre das große Ganze dran. Doch beim Weltwirtschaftsforum gehen sie Widerspruch aus dem Weg. Dafür wird gefeiert, was das Zeug hält.

Der Retter des Euro sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf der Bühne der Kongresshalle von Davos, auf dem Schoß einen Stapel Papier. „2012 war, gelinde gesagt, ein interessantes Jahr“, sagt Mario Draghi und lächelt nicht einmal bei dieser extremen Untertreibung. Seine Europäische Zentralbank werde tun, was nötig ist, hatte er im Sommer erklärt und hinzugefügt: „Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“ Vor allem dieser Zusatz hatte für Zuversicht an den Finanzmärkten gesorgt.

Vom Scheitern des Euro ist beim Weltwirtschaftsforum, das am Sonntag zu Ende geht, daher diesmal keine Rede mehr. Und es wird wieder gefeiert, was das Zeug hält. Allein das Grandhotel Belvedere hat 550 Flaschen Champagner kalt gestellt, und im Grischa-Hotel steigt „eine Party russischen Stils“, wie es in der Einladung heißt. Es werde „wirklich locker“ zugehen, mit dabei sei Leningrad, „eine der berühmtesten russischen Ska-Punk-Bands“.

Aber auch wenn die Euro-Rettung abgehakt ist, geht es trotzdem wieder um das große Ganze in Europa, dafür hat David Cameron schon vor der Anreise gesorgt. Seine Ankündigung eines Referendums, die implizite Austrittsdrohung stiftet Unsicherheit, vor allem aber hat er Prinzipien der gesamten EU infrage gestellt: Der britische Premier will Entscheidungsgewalt von Brüssel zurück nach London verlagern.

Auch in Davos hat David Cameron eine Rede gehalten, sich erklärt und dem Euro erneut eine Absage erteilt. „Wenn man eine gemeinsame Währung hat, bewegt man sich unaufhaltsam auf eine Bankenunion und Formen einer Fiskalunion zu, und das hat enorme Folgen für Länder wie Großbritannien, die nicht im Euro sind und offen gesagt wahrscheinlich nie beitreten werden.“ Die Nachrichtenagenturen kürzen den atemlosen Bandwurmsatz, eigentlich interessiert sie nur das Wörtchen „nie“.

Als Cameron das Rednerpult verlässt und sich auf offener Bühne Fragen aus dem Publikum stellt, sind seine Wangen gerötet. Er steht am vorderen Bühnenrand, ohne Moderator, ruft die Fragesteller selbst auf und hat nicht immer Glück dabei. Wieso er denn behaupte, alles für die Wirtschaft zu tun, wenn er das unkalkulierbare Risiko eines EU-Austritts eingehe und den Unternehmen auch noch mit Steuererhöhungen drohe, möchte eine Teilnehmerin wissen. Zustimmendes Raunen geht durch die Reihen, Cameron verzieht das Gesicht, fängt sich dann und kontert mit einem Satz, den er später vor Fernsehkameras immer wieder sagt: „Der riskanteste Weg von allen wäre, nichts zu tun.“

Dass er Europa nicht den Rücken zuwenden wolle: Auch das wiederholt er mehrfach. Und doch wird an einer Stelle deutlich, wie wenig er von der auf dem Festland viel beschworenen europäischen Integration hält. „Wenn Sie sagen, dass politische Union so etwas bedeutet wie ein Land namens Europa, stimme ich nicht zu“, ruft er. „Das wäre ein großer Fehler für Großbritannien und Europa.“

Es ist Mark Rutte, der den dazu gehörigen Fachbegriff reaktiviert: „Wir sollten eine Debatte über Subsidiarität führen“, sagt der niederländische Ministerpräsident, der ganz am Rande eines Podiums sitzt. Der 45-Jährige trägt eine braune Krawatte zum blauen Anzug, sein Englisch ist makellos, IWF-Chefin Christine Lagarde begrüßt ihn mit Küsschen links und rechts, und doch dringt er mit dem Stichwort nicht durch.

Der Euro mag gerettet sein, aber Europa ist so unschlüssig wie lange nicht.

Kein Wunder, es ist ein alter Hut. „Subsidiarität“, damit ist Edmund Stoiber schon vor 20 Jahren erfolglos durch die Lande gezogen. Gemeint ist das Prinzip, alles auf der jeweils niedrigstmöglichen Ebene zu entscheiden und so für mehr Selbstbestimmung zu sorgen. Es ist das politikwissenschaftliche Schlagwort für bayerisches „Mir san mir“ und britisches Inseldenken.

„Ein Land namens Europa“ – davon spricht Mario Draghi an diesem Freitag nicht, aber fast. Ausgerechnet er, der Nicht-Politiker, der für das Geld zuständig ist, der kühle Professore formuliert einen radikalen Gegenentwurf zu Cameron. Nach dem „Neustart des Euro“ in 2012 müsse 2013 das Jahr des Vollzugs werden. Staaten könnten nicht unendlich Schulden anhäufen, Haushaltskonsolidierung sei unausweichlich. Leider schrumpfe aber dadurch die Wirtschaftsleistung ebenso wie der Spielraum der Politik. „Um Souveränität zurückzugewinnen, müssen sie Souveränität mit anderen teilen, genau wie wir es heute bei der EZB tun.“

Die Währungsgemeinschaft als Blaupause für die politische Union, Souveränität teilen – das ist etwas anderes als eine Debatte über Subsidiarität, und es klingt nach dem „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“, mit dem Angela Merkel seit über einem Jahr nicht recht vorankommt. Auch in Davos gibt sie das Stichwort, fordert „Kohärenz in der Wettbewerbsfähigkeit“, wünscht sich entsprechende Verträge der einzelnen Staaten mit der EU und nennt den Fiskalpakt als Referenz.

Nur sprechen sie aber alle von der Wettbewerbsfähigkeit und fordern Strukturreformen, ohne dass sie wirklich einer Meinung wären, was das heißen soll. 50 Staats- und Regierungschefs haben sich von Zürich aus mit Hubschraubern und schweren Limousinen in das Alpental von Davos bringen lassen, aber offenem Widerspruch gehen sie aus dem Weg. Da gibt es dieses Foto aus Davos, auf dem Cameron und Merkel auf niedrigen Sesseln über Eck sitzen, neben sich ein leeres Beistelltischchen und eine Designerlampe. Die Kanzlerin redet, er hört mit gefalteten Händen zu. 20 Minuten habe das Gespräch gedauert, heißt es anschließend. Von klaren, klärenden Worten ist nichts überliefert.

Der Euro mag gerettet sein, aber Europa ist so unschlüssig wie lange nicht. Und wie sehr es um die Wahrnehmung des alten Kontinents im Rest der Welt geht, illustriert eine Anekdote, die Italiens Ministerpräsident Mario Monti erzählt. Als er den Emir von Katar gefragt habe, warum dessen Land nicht mehr in Italien investiere, habe er nur ein Wort zur Antwort bekommen. „Korruption“, habe der Emir entgegnet. Italien, eine Gründungsnation der EU, ist einem arabischen Herrscher zu korrupt. „Ich war geschockt. Das kam schließlich nicht vom König von Norwegen.“ Der scheidende Ministerpräsident, als Technokrat ins Amt geholt, hat ein säuberlich vertikal in der Mitte gefaltetes Manuskript vor sich. „Heute ist Italien ein sehr anderes Land als vor einem Jahr“, rühmt er seine Anstrengungen. „Ich fühle mich verpflichtet, aus Italien und Europa eine besonders wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft zu machen.“

Hoffnung verspricht man sich offenbar von den USA, ausgerechnet. Kaum eine Rede kommt ohne einen Hinweis auf den Nutzen aus, den ein Freihandelsabkommen mit der größten Volkswirtschaft der Welt hätte. Von zwei, drei, vier Prozentpunkten mehr Wirtschaftswachstum auf beiden Seiten des Atlantiks ist die Rede. In früheren Jahren gab es kein Weltwirtschaftsforum ohne Bekenntnis zur Doha-Runde, also den Verhandlungen für ein globales Handelsabkommen, die vor mehr als einem Jahrzehnt in der katarischen Hauptstadt aufgenommen wurden. Aber selbst Merkel muss zugestehen, dass die Doha-Runde „sich nicht gut entwickelt“, also mausetot ist, und deswegen bilaterale Handelsabkommen der richtige Weg seien. Leider aber stehe das Thema Agrarexporte bei den Gesprächen mit den USA „sperrig im Raum“.

Einer der Teilnehmer in Davos hat einen pragmatischen Vorschlag für das ganze Gewese rund um den Euro und die EU. Cary Cooper stammt aus den USA und ist Professor an einer britischen Managementschule, er trägt einen grauen Vollbart und eine strenge Metallbrille. „Ich denke, die sollten sich Berater holen, um dieses Durcheinander wieder hinzukriegen“, sagt er. „Ernsthaft, so machen es doch die großen Unternehmen auch.“ Wirtschaftlich sei Europa ein großer Erfolg, aber auf manchen Sektoren, zum Beispiel der Landwirtschaft, müsse es grundsätzliche Veränderungen geben. „Ich hasse, dass man anti-europäisch genannt wird, wenn man so etwas sagt“, fügt er noch hinzu.

Es ist ein anderer Amerikaner, der den weitesten Bogen schwingt. Henry Kissinger ist wieder nach Davos gekommen, das erste Mal war er 1980 da. Der 89-jährige frühere US-Außenminister, geboren in Fürth, mit seinen Eltern 1938 geflohen, versinkt tief in einem Ledersessel, den linken Schuh, einen orthopädischen Schnürstiefel, streckt er weit vor, als ob der Fuß schmerzt. Gastgeber Klaus Schwab, der Gründer des Forums, selbst auch schon 74, berichtet ehrfürchtig, wie er Kissinger das erste Mal getroffen habe, in den 60ern, in Harvard.

Kissingers Stimme ist brüchig, er verliert sich in weltpolitischen Abhandlungen, aber als er mit Nahost, China und Barack Obama durch ist, kommt er doch noch auf Europa zu sprechen. „Was auch immer passiert, die Idee der europäischen Einheit muss erhalten werden“, sagt er.

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