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Politik: Wem die Ehre gebührt für das Zustandekommen des Kompromisses(Kommentar)

So ist das wohl: Starke Gefühle werden belächelt, große Worte als Pathos verachtet. Wir haben kritisch zu sein.

So ist das wohl: Starke Gefühle werden belächelt, große Worte als Pathos verachtet. Wir haben kritisch zu sein. Das gilt als scharfsinnig. Nur wer sich trotz aller Nüchternheit die Empfindung bewahrt hat, dass Ereignisse nicht bloß seziert, sondern auch gewürdigt werden sollten, wird jetzt innehalten. Ja, es ist ein Durchbruch, der das Prädikat "historisch" verdient. Ja, es ist Erleichterung, die diesen Durchbruch begleitet. Am Ende des 20. Jahrhunderts, das mit dem Namen "Auschwitz" verwoben bleibt wie mit keinem anderen Namen, wird das letzte große Kapitel geschlossen, das um die Folgen der deutschen Vergangenheit kreist. Um Schuld und Verantwortung, um Moral und Interessen. Die Zwangsarbeiter werden entschädigt. Der Streit darüber ist beigelegt.

Wem haben wir das zu verdanken? Weit oben auf der Liste steht die neue Bundesregierung. Sie darf stolz sein, falls sie die Schlusszahlungen nicht als Schlussstrich missversteht. Denn eine Wunde zu verbinden, heißt nicht, sie geheilt zu haben. Ausgerechnet eine Regierung, die in historischen Dingen eher unbedarft zu sein schien, hat durch ihre beständige Art der Sache gedient. Dazu zählt auch eine der klügsten Personalentscheidungen, die Gerhard Schröder je traf: Mit der Wahl von Otto Graf Lambsdorff zum Verhandlungsführer ließ der Kanzler schnell die Ungeschicklichkeit vergessen, die Bodo Hombach an den Tag gelegt hatte. Zu gleichen Teilen geht das Lob in die Vereinigten Staaten. Die US-Regierung, vertreten durch Vize-Finanzminister Stuart Eizenstat, präsentierte sich im besten Wortsinn als ehrlicher Makler. Sie zeigte sie sich offen für die moralische Dimension der Auseinandersetzung. Und sie verstand das Interesse der deutschen Wirtschaft, dass mit der Einigung ein hohes Maß an Rechtssicherheit für die Unternehmen verbunden sein muss.

Ausschlaggebend für den Durchbruch waren aber weder Berlin noch Washington, ausschlaggebend waren die Rechtsanwälte, Opferverbände sowie die jüdischen Organisationen. Sie haben den Stein überhaupt erst ins Rollen gebracht. Ohne sie wäre es niemals zu einer Entschädigung gekommen. Ohne ihre Hartnäckigkeit hätte Schröder, wie vor ihm Helmut Kohl, das Thema aussitzen können. Das freilich hat in Deutschland zu einer verzerrten Wahrnehmung geführt. "Die Juden haben alle Register gezogen und für sich und Ihresgleichen viel Geld von uns erpresst": So denken, wenn man sich umhört, derzeit viele Deutsche. Und das ist bedrückender, als es die Verhandlungen waren.

Denn allenfalls stimmt der Anfang des Satzes, dessen Ende dagegen stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Nur etwa zehn Prozent aller Zwangsarbeiter, die das nationalsozialistische Regime überlebten, waren Juden. Mit anderen Worten: Die jüdischen Organisationen haben mit ihrem politischen Gewicht dafür gesorgt, dass in erster Linie Nicht-Juden entschädigt werden. Sie haben, fast selbstlos, für das gekämpft, was man eine bessere Welt nennen kann; für eine Welt, in der Verbrechen gesühnt und unschuldig erlittenes Leid kompensiert wird. Wenn auch spät.

So endet das 20. Jahrhundert mit einer großen, hoffnungsvollen Geste. Und hinter dieser Geste verblasst, was die Einigung an Fragen offen lässt: Sind die Kriterien zu rigide, aufgrund derer die Opfer entschädigt werden? Zahlt die Bundesregierung zu viel, die Wirtschaft zu wenig? Wie soll das Geld auf die verschiedenen Gruppen der Zwangsarbeiter verteilt werden? Über all das wird bald heftig gestritten. Doch dieser Streit kann die Freude darüber, dass die Geste möglich wurde, kaum trüben. Gerecht ist die Welt noch nicht geworden. Ein bisschen weniger ungerecht schon.

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