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Politik: Wem die Trennung schlägt

GEWERKSCHAFT UND SPD

Von Ursula Weidenfeld

Es tut weh, wenn gemeinsame Wurzeln gekappt werden. Die Gewerkschaften mobilisieren zum 1. Mai – gegen die sozialdemokratische Bundesregierung. Ein Bruderkrieg. Immer noch legitimieren sich beide, der DGB und die Volkspartei SPD, aus den gemeinsamen Wurzeln in der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts, der gemeinsamen Tradition der proletarischen Bewegung, aus Verfolgung und Widerstand. Doch beide ahnen, dass die Zeiten der Gemeinsamkeit vorbei sind. Endgültig.

Dass die Gewerkschaftsbewegung Massenproteste gegen Sozialabbau, Krankenkassenreformen oder neue Rentenformeln anzettelt, ist für sich genommen weder neu noch dramatisch – schließlich haben die organisierten Arbeitnehmer auch vor drei Jahren schon einmal Proteste gegen die sozialdemokratische Regierung organisiert. Damals aber ging es nur um die RiesterRente.

Diesmal geht es um den Kern: um die soziale Gerechtigkeit. Gewerkschaften und Sozialdemokraten kämpfen um die Deutungshoheit, sie kämpfen auch um die Zustimmung der Straße. Und sie kämpfen um eine eigene, neue Identität auf den getrennten Wegen, die sie von nun an gehen werden.

Die Gewerkschaften wandeln sich zu einer reinen Interessenvertretung derjenigen, die jetzt etwas zu verlieren haben. Sie kämpfen für die Privilegierten unter den Arbeitnehmern, die, die heute einen Arbeitsplatz haben. Nicht für die, die einen brauchen. Sie kämpfen für die heutigen Rentner und die, die es in den nächsten Jahren werden. Nicht für die von übermorgen.

Diesen Kampf können sich die Sozialdemokraten nicht mehr leisten, nicht nur, weil sie eine Volkspartei sind, sondern auch, weil sie regieren. Im Gegensatz zu den organisierten Arbeitnehmern müssen sie den Ausgleich schaffen, müssen Finanziers finden für den wachsenden Bedarf der heute Privilegierten , müssen die wirklich Hilfsbedürftigen vor denen schützen, die sich in ihrem Namen eingerichtet haben. Die SPD muss sich einen neuen Begriff geben von Gerechtigkeit, von Stärke und von Schwäche. Der Parteivorsitzende hatte dafür bereits vier Jahre Zeit, in denen es ihm aber nicht gelungen ist, den Begriff der Gerechtigkeit für seine Politik zu besetzen. Nur so konnten ihn Traditionalisten usurpieren.

Kein Wunder, dass im vergangenen Jahr ausgerechnet jene Gewerkschafter und jene Sozialdemokraten wie Oskar Lafontaine einen Popularitätsschub erlebten, die als Linke gelten. Dienstleistungsgewerkschaftschef Frank Bsirske etwa, der sich als Rächer der Enterbten geriert. Oder der künftige Metallchef Jürgen Peters, der sich im Bewerbungsverfahren um den Chefposten selbst noch einmal links überholte.

Sie sehen, wie die eigene Kernkompetenz, das Verhandeln und Durchsetzen von Tarifverträgen, zerfällt. Sie sehen hilflos zu, wie Mitglieder und Macht schwinden und verbergen das, indem sie sich aufpumpen zu alter Größe. Indem sie die Massen zum 1. Mai herausrufen, sie umwerben mit den schönen alten Sprüchen von Kampf und Solidarität, Gegenwehr und Gerechtigkeit. Und wissen doch, dass es vor allem heiße Luft ist, mit der sie Arbeitgeber und Politiker mächtig erschrecken. Sie ahnen, dass das nicht mehr lange funktionieren wird.

Es ist vielleicht nicht klug, aber es ist legitim, dass sich die Gewerkschaften in dieser Situation endgültig auf den Weg machen, ein Traditionsverein zu werden. Den Sozialdemokraten aber ist dieser Weg versperrt, wenn sie politik- und regierungsfähig bleiben wollen. Sie müssen erkennen, dass vieles nur noch ein fauler Trieb ist, was sie für die gemeinsame Wurzel mit den Gewerkschaften hielten.

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