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Politik: Wem es jetzt noch nicht reicht

Von Lorenz Maroldt

In einem sind sich alle einig: Symbolpolitik – das ist schlecht, wie verdünntes Wasser. Mit keinem anderen Vorwurf wird der Gegner öfter überzogen, egal worum es geht. Aber woran erkennt man Symbolpolitik? Ganz einfach: machen immer nur die anderen.

Zum Beispiel Kurt Beck, rheinlandpfälzischer Ministerpräsident, SPD-Vize mit angedienten Ambitionen auf mehr. Am 20. Juni lehnte Beck den in der SPD diskutierten Vorschlag einer Millionärssteuer ab: „Ich habe etwas gegen symbolische Politik.“ Am 26. Juni, als sich in der SPD die hungrige Meute den Leckerbissen nicht mehr entreißen lassen wollte, sagte der Leitwolf im Wartestand: Vom Schlagwort Millionärssteuer halte er zwar nicht viel, aber „Besserverdienende“ müssten stärker zur Kasse gebeten werden. Am selben Tag erklärte Bert Rürup, Chef der Wirtschaftsweisen, eine „Reichensteuer“ sei „reine Symbolpolitik“ ohne Sinn. Am Montag wehrte sich Beck gegen Rürups Kritik: „Wenn man eine Million oder mehr verdient und dann vielleicht 1200 oder 1500 Euro im Jahr mehr an Steuern als bisher bezahlt, dann ist das nicht so, dass da irgendjemand abgeschreckt wird oder unzulässig belastet.“ Derselbe Beck, der vorher, wir erinnern uns, sagte: Ich habe etwas gegen symbolische Politik; vom Schlagwort Millionärssteuer halte ich nicht viel.

Das alles war nicht nur abschreckend falsch (herunter)gerechnet, sondern ein prototypischer Versuch der Oktogonisierung einer eierigen Politik – so oft um die Ecke, bis sich niemand mehr auskennt. Beck hat am 20. Juni, als er gegen die Millionärssteuer zu Felde zog, auch gesagt, sehr vermögenden Bürgern solle ein stärkerer Solidarbeitrag abverlangt werden. Er war also auf leisen Sohlen schon angekommen, wo er kurz darauf als Gladiator einzog. Nur fehlte ihm da noch der Mut zum Symbol. Warum? Da ist doch Zustimmung sicher – wer ist schon Millionär?

Man kann diese Art der scheinwidersprüchlichen Politikankündigung an fast jedem beliebigen Beispiel nachvollziehen. Aktuell lohnt sich der Blick auf die Äußerungen des Unionsfinanzexperten Michael Meister zur Mehrwertsteuererhöhung. Ende Mai: „Davon halte ich wenig“. Mitte Juni: Meister schließt eine Anhebung der ermäßigten Steuer nicht mehr aus. Ende Juni: Es sei „nicht endgültig entschieden“, ob die Steuer um zwei, drei oder vier Prozentpunkte erhöht wird. Interessant sind auch die Kapriolen von Guido Westerwelle, der grundsätzlich für eine Abschaffung der Eigenheimzulage ist; es sei denn, er spricht beim Zentralverbandstag der Eigentümerschutz-Gemeinschaft oder der Vorschlag kommt zur Abwechslung von der SPD. Ja, wollte die SPD nicht das Gewimmel der Steuerbefreiungen beenden? Jetzt schlägt sie neue vor: für Küchenschränke und Wandfarbe im Wohnzimmer. Ach, gibt’s auch eine höhere Kappungsgrenze für Doppelbetten, zwecks Verbesserung des demografischen Faktors? Wird dann als nachhaltige Familienpolitik verkauft.

Das alles spricht nicht gegen Symbolhaftes in der Politik, aber sehr gegen den Missbrauch. Die Hälfte aller Politik besteht aus Symbolen. Sie werden gebraucht, zur Abgrenzung, zur Anschauung. Aber sie müssen von Sinn und Zeit begleitet werden. Es wäre nicht nur legitim gewesen von der SPD, eine höhere Steuer von jenen Menschen zu fordern, die alle ein bisschen wie Josef Ackermann auszusehen haben; es hätte wahrscheinlich sogar die Bereitschaft im Land erhöht, die Reformpolitik der Regierung zu ertragen. Aber eben jene, die heute die Reichen „zur Kasse bitten“ wollen (Beck), haben den Spitzensteuersatz erst deutlich gesenkt. Und sie wissen (aber verschweigen), dass die Millionärssteuer gerade mal ein Zwanzigstel dessen brächte, was dank deutscher Steuergesetze allein Vodafone durch geschicktes „Abschreiben“ dem Finanzminister entzieht – etwa zwanzig Milliarden Euro.

Ja, die Millionärssteuer ist ein Beispiel für Symbolpolitik. Aber so und jetzt taugt sie kaum als Symbol für soziale Politik, sondern nur für den Mangel an Weitsicht. Schon erstaunlich, dass niemand eine Milliardärssteuer fordert. Bei denen ist noch mehr zu holen. Oder nicht?

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