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Politik: Wende rückwärts

DIE PDS OHNE GYSI

Von Hermann Rudolph

Dies ist der Wahlkampf der unerwarteten Einschläge. Jede Woche gibt von neuem zu der Frage Anlass, wie die Ereignisse die politische Landschaft umkrempeln, in der die Entscheidung vom 22. September heranwächst. Erst traf es die SPD. Nun ist die PDS dran. Denn dass Gysis Rückzug aus der Politik die Partei und ihre Aussichten verändert, liegt auf der Hand. Dem Auftritt der Partei nimmt er den locker-linken Schein, der der glanzlosen PDS in der bundesweiten Öffentlichkeit überhaupt eine Art von Wirkung verschaffte. Und der rot-roten Koalition in Berlin, dem größten Erfolg der PDS bei ihrem langen Marsch ins Innere der Bundesrepublik, zieht er das Spielbein weg. Auf dem sie doch, in Wahrheit, steht.

Etwas Ärgerlicheres konnte der PDS, die ohnedies das Guillotine-Beil der Fünf-Prozent-Klausel auf sich zukommen sieht, kaum passieren. Grämte sie sich vorher darüber, dass von ihr im Wahlkampf kaum die Rede war, so ist sie nun ins Gerede gekommen – ausgerechnet durch ihre Galionsfigur, die in Lafontainscher Manier hingeschmissen hat, ganz unsolidarisch, frei von jeder Genossen-Disziplin, vielmehr in einem bürgerlichen, selbsttherapeutischen Akt des Aussteigens. Nicht, dass es keine PDS jenseits von Gysi gäbe: Das ist eine westdeutsche, wo nicht Westberliner Projektion. Aber was er hinterlässt, ist eine PDS, die kaum in der Lage sein wird, den Weg fortzusetzen, den die Partei in den vergangenen Jahren hinter sich gebracht hat – im Osten in der Wählerschaft, im Westen immerhin in den Medien und im Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Die PDS allein zu Haus, als ostdeutsche Regionalpartei: Das zeichnete sich schon beim ersten Abschied ab, den Gysi beim Münsteraner Parteitag im Herbst 2000 nahm. Jetzt holt dieser Bedeutungsverlust die PDS vollends ein. Das hat seine innere Konsequenz. Denn Gysi und sein Trupp – wie die PDS in ihres Überlebens Maienblüte einst fröhlich plakatierte – war immer mehr Wahlwerbung als Wahrheit. Es ist richtig: Gysi war es, der die SED-Nachfolgerin in den turbulenten Nächten der Parteitage von Weißensee anno 1989 rettete, genauer: der sie mit der Chuzpe eines großes Spielers aus der Konkursmasse der SED heraus neu erfand. Am Ende hat er sie wohl doch nur benutzt für seine Ausflüge in die Politik, für seine Imagination einer Partei, wie er sie gerne gehabt hätte, auch, nicht zu knapp, für sein Geltungsbedürfnis und seine Eitelkeit – so, wie die PDS ihrerseits den Impresario und Medienstar benutzte.

Nun soll man Gysi nicht schöner malen als er ist. Er gehörte schon, in seiner Weise, zu diesem fatalen Menschenversuch ns DDR. Aber sein Hintergrund ist nicht die Welt der Kader mit ihrer doktrinären Rechtgläubigkeit und ihrem unausgelüfteten Gemeinschafts-Geruch, die die SED getragen hat und in der die PDS noch immer steckt. Er kommt aus jenem linken Intellektuellen-Milieu, das einst auf den Sozialismus gekommen war und in der Funktionärs-Gesellschaft der DDR eine Randrolle spielte – halb Alibi, halb staatserhaltendes Interessantheitspotenzial. Das ergab eine Sollbruchstelle, die schon immer sichtbar war, eigentlich von Anfang an. In Gysis Abgang werden die inneren Verwerfungen der PDS zum Ereignis. Und das ist die Ironie von der Geschichte: Ein Affäre von etlichem historisch-politischem Gewicht – für die PDS, aber auch für die Republik insgesamt – kommt ans Ende, weil einer über seine eigenen Füße stolpert.

Die Folgen sind noch gar nicht abzusehen. Zunächst für die PDS: Der Rückzug Gysis beleuchtet scharf den Rückzug der PDS auf ihre ostdeutschen Bestände. Ohnedies besetzt der Nomenklatura-Nachwuchs aus der Vorwende-Zeit in Gestalt der Claus, Zimmer und Bartsch bereits die Führungsetage der PDS. Nun steht er auch für das Profil und die Substanz der Partei. Aber sieben Wochen vor der Wahl geht der Blick zwangsläufig weiter. Gysis Entscheidung kann die Wahl verändern, weil Erfolg oder Nicht-Erfolg der PDS ihre Koordinaten verschieben. Kommt die Partei nicht in den Bundestag, stürzen alle Kalkulationen zusammen, wie die rot-grüne Koalition noch eine schwarz-gelbe Machtübernahme verhindern kann. Dann wird nämlich die Mehrheit billiger. Und für den Kanzler guter Rat teuer.

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