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Politik: Wenig Rückhalt

Grünen-Chefin Beer gilt als glücklos. Bei der Europa-Wahl werden andere vorgezogen – aufgeben will sie aber nicht

Das grüne Kandidaten-Karussell für die Europawahl im Juni 2004 dreht sich immer schneller. Am Sonntag hieß es, Parteichefin Angelika Beer bestehe nicht darauf, selbst auf Platz Eins der Liste zu stehen. Die Partei-Oberen hätten sich darauf verständigt, dass die niedersächsische Fraktionschefin Rebecca Harms Spitzenkandidatin werden soll. Auf Platz Zwei würde Daniel Cohn-Bendit folgen. Der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ sagte Beer, sie wolle sich „für einen vorderen Listenplatz“ bewerben. Damit würde sie eine Absprache akzeptieren, an der laut „Spiegel“ Außenminister Joschka Fischer allerdings nicht beteiligt gewesen sein soll.

Beer bestätigte zugleich, dass sie im Herbst 2004 nicht noch einmal als Parteichefin antreten will. Vorzeitig allerdings wolle sie ihr Amt nicht aufgeben. Beer gilt als glücklos. Ein eigenes Profil an der Parteispitze konnte sie nicht gewinnen. Manche Auftritte, wie ihre Rede zum Politischen Aschermittwoch, gingen gründlich daneben. Inhaltlich sehen Teile der Basis sie zu nahe am realpolitischen Außenpolitik-Kurs Fischers. Zudem ist die Sicherheitspolitikerin keine, die von ihren Schwerpunktthemen her dem Bauch der Partei nahe ist. Ihre Beschreibung von Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz als „unsere Jungs“ ist auch nicht die Wortwahl, die die Basis anspricht. Anders als ihre Vorgängerin Claudia Roth konnte die glücklose Beer zum Gefühlshaushalt ihrer Partei wenig beitragen. Und für das Praktische gab es stets Co-Parteichef Bütikofer, der als ehrlicher Makler auftritt.

Harms, Cohn-Bendit, Beer – dies sind nicht die einzigen grünen Promis, die es nach Europa zieht. Cem Özdemir, gegenwärtig Fellow des German Marshall Fund in Washington und Brüssel, will gleichfalls nach Straßburg. NRW-Landeschef Frithjof Schmidt, der tschechische Dissident Milan Horacek, der Sicherheitspolitiker Christian Sterzing und der gegenwärtige Europa-Abgeordnete und Agrarexperte Friedrich Graefe zu Baringdorf rangeln mit um vordere Listenplätze. Mit rund zehn Abgeordneten könnten die deutschen Grünen gemessen an den gegenwärtigen Meinungsumfragen in das Straßburger Parlament einziehen.

Um die vielen Kandidaten zu sortieren, hat sich die Partei auf ein zweistufiges Verfahren geeinigt. Zunächst unterbreiten Regionalkonferenzen während der kommenden Wochen ihre Vorschläge. Bindend sind die allerdings nicht. Ende des Jahres entscheidet dann ein Bundesparteitag – voraussichtlich in Kampfabstimmungen.

Sorgen bereitet den Grünen auch ein anderer Prominenter. Bergsteiger Reinhold Messner, bislang in der italienischen Schwesterpartei aktiv, will sich in Bayern um das Europa-Ticket bewerben. Messner eckt indes nicht nur mit seinem Respekt vor der umstrittenen Filmemacherin Leni Riefenstahl und seiner wohlwollenden Haltung zur Jagd an; er ist in der Partei auch umstritten, weil er als abgehoben und politisch unerfahren gilt. Den Grünen steckt bei solchen Überlegungen die Erfahrung im Nacken, dass die gegenwärtige deutsche Grünen-Mannschaft im Europa-Parlament von sieben auf vier zusammenschmolz. Zwei sind zur SPD übergetreten, eine Abgeordnete hat die Partei nach links verlassen. Dies soll sich nicht wiederholen. Berechenbarkeit ist daher eine Tugend, die Kandidaten für die Europa-Liste mitzubringen haben. Und da stehen hinter Messners Namen Fragezeichen.

Zur Berechenbarkeit und organisatorischen Stärkung soll auch die stärkere Vernetzung der europäischen Grünen beitragen. Im Februar soll eine europäische Partei gegründet werden. Ein gemeinsames Spitzenteam, eine einheitliche Wahl-Plattform, die rasche Einbeziehung der EU-Beitrittsländer: All dies steht dann an. Wegen ihres großen Gewichts spielen die deutschen Grünen dabei eine Hauptrolle.

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