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Politik: „Wenn Arbeitslose gehen, ist das eine Entlastung“

Wirtschaftsforscher sieht in der Abwanderung kein Drama. Nach seiner Einschätzung ziehen mehr Höherqualifizierte in den Osten

HERBERT BUSCHER

leitet seit April 2002 die Abteilung Arbeitsmärkte am Institut für Wirtschaftsforschung Halle.

Foto: R/D

Wird die Abwanderung zu einem existenziellen Problem für die neuen Länder?

Sie wird nur dann zum Problem, wenn die neuen Länder Humankapital verlieren: Hoch- und Fachschulabsolventen, Fachkräfte. Dann hemmen sich die Länder selbst. Wenn diejenigen gehen, die niedrig qualifiziert sind, dann nicht. Und wenn Arbeitslose gehen, dann ist das für das jeweilige Land eher eine Entlastung.

Und was sagt die Statistik dazu aus?

Es gibt keine verlässlichen Zahlen über das Qualifikationsniveau der Abwanderer. Nach meiner Einschätzung ziehen aber mehr Höherqualifizierte in die neuen Bundesländer als von dort weg. Die Abwanderung ist in ihren Folgen also nicht so dramatisch, wie sie gelegentlich dargestellt wird.

Aber es verlassen vor allem die Jüngeren ihre Heimat. Das führt doch zur Überalterung der Länder, die wir die jungen nennen?

Das stimmt, es verlassen vor allem die 17- bis 30-Jährigen den Osten. Und die Politiker sind natürlich besonders besorgt über den überdurchschnittlichen Anteil von jungen Frauen, weil sie häufig in der Fremde eine eigene Familie gründen und dann dort Kinder zur Welt bringen. Durch den Zuwanderungsüberschuss der über 60-Jährigen in den Osten wird das schnellere Altern der jungen Ländern noch verschärft.

Welche Auswirkungen wird das haben?

Die Kommunen werden mit weniger Geld auskommen müssen, weil ihnen die Steuerzahler fehlen. Vor allem auf dem Lande wird es einen Mangel an bestimmten Berufsgruppen geben. So gibt es in manchen ländlichen Regionen des Ostens schon jetzt zu wenig Fachärzte. Dort kriegt man auch keine Westdeutschen hin. Manche Länder versuchen deshalb schon, Ersatz in Polen oder Tschechien zu finden.

Die niedrige Geburtenrate in Ostdeutschland verschärft ja noch das demografische Problem.

Das wird sich bald wieder entschärfen: Zu DDR-Zeiten haben die Frauen mit 18 bis 20 Jahren Kinder bekommen. Nach der Wende haben sie sich westdeutschen Verhältnissen angepasst und warten damit zehn Jahre länger. Diesen Knick in der Geburtenrate werden wir bald hinter uns haben.

Bleibt nicht die Zukunftsfähigkeit des Ostens insgesamt auf der Strecke, wenn so viele junge Leute weglaufen?

In der DDR gab es damals eine Geburtenrate von 2,2, im Westen von 1,4. 1990 ging sie im Osten sprunghaft auf 1,1 zurück. Wir schieben dort also immer noch einen Geburtenüberschuss vor uns her. Auch deshalb ist die Abwanderung von jungen Leuten unter dem Strich kein Drama.

Das Gespräch führte Matthias Schlegel.

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