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Politik: Wenn es um Mutterschutz geht, ist der Bundestag ein schlechtes Vorbild

Rechtzeitig zum Internationalen Frauentag fordern die Grünen, den Mutterschaftsurlaub auf die Rente anzurechnen. Die Grünen denken an die Gesellschaft, die Stellung der Frauen, den Schutz der Kinder, das ist so ihre Art.

Rechtzeitig zum Internationalen Frauentag fordern die Grünen, den Mutterschaftsurlaub auf die Rente anzurechnen. Die Grünen denken an die Gesellschaft, die Stellung der Frauen, den Schutz der Kinder, das ist so ihre Art. Aber denken sie auch an sich, genauer gesagt: an die Abgeordneten im Bundestag? Offenbar nicht. Eine aber tut es: Simone Probst. Sie ist Bundestagsabgeordnete der Grünen, überdies Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium - und: Sie erwartet in Kürze ihr zweites Kind.

Dass werdende Mütter besonderen Schutz benötigen, hat der Gesetzgeber längst erkannt und darum entsprechende Schutzvorschriften erlassen - etwa über den Umfang der Arbeit, den sie verrichten dürfen, über ein absolutes Beschäftigungsverbot für bestimmte Tätigkeiten und über den Kündigungsschutz. Die Bestimmungen gelten für erwerbstätige Frauen - aber eben nicht für Abgeordnete. Abgeordnete haben laut Grundgesetz ein freies Mandat, sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Nach Auskunft der Bundestagsverwaltung bedeutet dies, dass sie ihren Tagesablauf gestalten können, wie sie wollen, und im Gegenzug nicht die Vorzüge des Angestellten- oder Beamtenverhältnisses genießen, kurzum auch keinen Mutterschutz.

Offenbar schien es dem Gesetzgeber bislang unvorstellbar, dass auch junge Frauen in den Bundestag einziehen - und Kinder bekommen können.

Ordnung muss sein, und so teilte die Verwaltung des Bundesumweltministeriums der 32-Jährigen schriftlich mit, dass weder durch ihre Tätigkeit an der Spitze des Bundesumweltministeriums noch durch ihr Bundestagsmandat ein Arbeits- oder Beamtenverhältnis begründet worden sei, so dass sie keinen Anspruch auf die Vorzüge des gesetzlichen Mutterschutzes hat. Nichts anderes gelte, wenn sie Ministerin wäre.

Das hat seine Folgen: Nach dem Abgeordnetengesetz muss jeder Parlamentarier, der unentschuldigt einer Sitzung fernbleibt, 150 Mark "Strafe" zahlen. Das Gesetz hat zwar auch werdende Mütter im Blick. Doch auch ihnen wird Geld abgezweigt. Pro Sitzungstag, den sie versäumen, werden ihnen immerhin noch 30 Mark von ihrer Kostenpauschale abgezogen - ganz im Sinne der Steuerzahler, die für die Pauschale aufkommen müssen. Darüber geht Probst gelassen hinweg. Dieser Verlust macht ihr nichts aus.

Die Bundestagsabgeordnete sieht ganz andere Schwierigkeiten auf sich zukommen. Sie hat vor allem das Beschäftigungsverbot vor Augen. Was ist, wenn Simone Probst während der Zeit vor und nach der Entbindung wichtige Termine wahrnehmen muss oder gar Bundesumweltminister Jürgen Trittin vertreten soll? Dann begibt sich die gebürtige Hannoveranerin in eine juristische Grauzone.

Doch die Diplom-Physikerin hat Glück: Die Grünen lassen sich nicht lumpen, wenn es um Frauen, Mütter und Kinder geht. Das Bundesumweltministerium, an dessen Spitze der Grüne Jürgen Trittin steht, drückt ganz einfach sein juristisches Auge zu und tut so, als gelten die gesetzlichen Mutterschutzvorschriften auch für Probst.

Der Abgeordneten indessen reicht das nicht. Sie denkt nicht nur an sich, sondern auch an ihre jetzigen und künftigen Kolleginnen im Bundestag. "Es gibt ganz offensichtlich Zustände, die nicht vorgesehen sind", sagt Probst. Darum müsse das Parlament die Grauzone für Mütter schleunigst beseitigen.

Die Grüne hat eine Verbündete: die CDU-Abgeordnete Katherina Reiche. Sie hatte das "Glück", ihr Kind in der vergangenen parlamentarischen Sommerpause bekommen zu haben, so dass sie keine "Strafe" für das Fernbleiben im Bundestag zahlen musste. Nun aber hat die ledige 26-Jährige ein anderes Problem. Sie weiß nicht, wie sie ihr Kind versorgen soll. Die aufwendig gestaltete Bundestags-Kindertagesstätte darf nur den Nachwuchs von Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung und Fraktionen aufnehmen, nicht aber Kinder von Abgeordneten. Derzeit kümmern sich die Mitarbeiter von Reiche um das Kind. Das macht ihre Arbeit nicht gerade leichter. Offenbar hat nicht nur niemand daran gedacht, dass Abgeordnete Kinder bekommen können, sondern auch nicht daran, dass diese Kinder später betreut werden müssen. Über die Nutzung der Kindertagesstätte entscheidet der Ältestenrat des Bundestages.

Es ist wohl nicht zu viel verlangt, finden Probst und Reiche, den Bedürfnissen junger Frauen gerecht zu werden - es sei denn, die Verantwortlichen wollen an alten Traditionen festhalten und nur Herren und ältere Damen in den Bundestag einziehen lassen. Das jedoch dürfte kaum den Absichten der Parteien entsprechen. Oder wie es Katherina Reiche formuliert: Wenn der Bundestag über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf redet, muss er auch Vorbild sein.

Beatrice von Weizsäcker

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