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Politik: Wenn ihr kluger Kopf es will

GIRLS’ DAY

Von Anja Kühne

Eine Maschinenbauerin auf der großen Industriemesse in Hannover würde auffallen wie ein Kalb mit zwei Köpfen. Wo der Blick auch hinschweift: In jedem blauen Overall und jedem grauen Anzug steckt ein Mann. Die einzigen Frauen in den Hallen reichen als Hostessen Sekt oder beaufsichtigen die Toiletten.

Der heutige Girls’ Day, der bundesweite Aktionstag zur Berufsorientierung, soll dieses Bild ändern. Rund 100000 Schülerinnen werden in die Arbeitswelten der Männer vordringen, in naturwissenschaftliche und technische Berufe, wo Frauen sonst in der Minderheit sind. Marion schraubt am Motorrad, Corinna rechnet am Computer, und Lara experimentiert im Labor. Politiker und Vertreter der Wirtschaft hoffen, dass die Aktion bei der einen oder anderen jungen Frau verfängt. Sie studiert vielleicht doch Elektrotechnik oder lernt Gas- und Wasserinstallateurin, statt sich für Germanistik oder Arzthelferin zu entscheiden.

Kein Wunder, dass Politik und Wirtschaft an den Mädchen interessiert sind. Deutschland steht wegen des Geburtenrückgangs ein Fachkräftemangel bevor. Die Lage verschärft sich, weil viele Paare mit hohem Bildungsstand keine Kinder mehr bekommen. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt sieht deshalb eine „Bildungskatastrophe“ auf das Land zukommen. Die Frauen sind die stille, die ungenutzte Reserve. Denn mit ihren Bildungsvoraussetzungen haben sie die Männer inzwischen sogar überholt. 1908 wurden die ersten Frauen an preußischen Universitäten zugelassen. Und heute? Seit zwei Jahren studieren in Deutschland mehr Frauen als Männer. Deutlich mehr Mädchen als Jungen absolvieren das Gymnasium, während auf der niedrigsten Bildungsstufe, der Hauptschule, die Jungen dominieren.

Zwar stimmt es immer noch, dass in deutschen Schulen die Mädchen in Naturwissenschaften, Mathematik und Technik schlechter abschneiden als Jungen. Das hat seine Ursache aber nicht in unverrückbaren biologischen Unterschieden. In Russland, Neuseeland und Island haben die Mädchen die Jungen beim Pisa-Test in Mathematik geschlagen.

Die Voraussetzungen der Mädchen sind so gut wie nie. Aber wenn es an die Studien- und Berufswahl geht, entscheiden sie sich für die Felder, in denen die Verdienst- und Aufstiegschancen gering sind: Der Frauenanteil in den Kulturwissenschaften an den Hochschulen liegt nahe 70 Prozent, in den Ingenieurwissenschaften bei nur 20 Prozent. Die beliebtesten Ausbildungsberufe der Frauen sind „helfende“ Berufe – und führen oft in Sackgassen: Kaum eine Sekretärin oder Krankenschwester wird Karriere machen. Wie stark die traditionellen Geschlechterrollen immer noch wirken, zeigt sich daran, dass junge, qualifizierte Frauen diese Berufe trotzdem den lukrativeren Männerjobs vorziehen.

Unter diesem Druck stehen auch jene Pionierinnen, die einen anderen Weg gehen. Absolventinnen von Ingenieur-Studiengängen sind doppelt so häufig arbeitslos wie Männer. Doppelt so oft besetzen Frauen nur untere und mittlere Positionen; das Gehalt liegt im Schnitt niedriger als bei den männlichen Kollegen.

Die girls, um die Wirtschaft und Politik heute werben, schleppen einen Klotz von Klischees mit. Wenn die Gesellschaft wirklich erwartet, dass diese Frauen ihr über die „Bildungskatastrophe“ hinweghelfen, wird sie sich etwas einfallen lassen müssen. Denn eins steht fest: Marion, Corinna und Lara werden nicht aus Liebe zum Vaterland Ingenieurin, sondern nur dann, wenn sie selbst etwas davon haben. Wehe dem Chef, der sie beim Aufstieg benachteiligt oder versucht, sie für die gleiche Arbeit mit weniger Geld abzuspeisen! Wehe der Hochschule, die ihre naturwissenschaftlichen und technischen Studiengänge nicht so gestaltet, wie Frauen sie mögen – nämlich anwendungsorientiert! Wehe den Politikern, die sich nicht um die Kinderbetreuung kümmern! Und: Kann es wirklich wahr sein, dass in Deutschland nur dann Frauen für das Amt der Bundespräsidentin aufgestellt werden, wenn sie wegen der Mehrheitsverhältnisse ohnehin chancenlos sind? Der Girls’ Day ist ein Versprechen. Deutschland kann es sich nicht leisten, es zu brechen.

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