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Politik: Wer führt? Der Kanzler und der Präsident

Das Bundesverfassungsgericht verschiebt das Gewicht in der Urteilsbegründung zur Parlamentsauflösung

Berlin/Karlsruhe - „Wer führt die Republik?“ So hatte der Verfassungsrichter Udo Di Fabio pointiert gefragt, als vor einigen Wochen in Karlsruhe die Vertrauensfrage des Kanzlers Gerhard Schröder zur Verhandlung stand. Am 25. August dann kam das Urteil, und nicht wenige sahen darin nur eine Antwort auf Di Fabios Frage: der Kanzler. Nun liegt das Urteil in voller Länge vor. Und siehe da: Es ist offenbar auch der Präsident, der führt.

In ihrem umstrittenen Urteil gaben die Richter Schröder grünes Licht für seinen Weg, über eine absichtlich gescheiterte Vertrauensfrage Neuwahlen zu erreichen, behielten aber ihr Kriterium bei, der Kanzler müsse dafür seinen politischen Rückhalt verloren haben. Ihren eigenen Kontrollrahmen steckten die Richter dabei weit zurück. „Der für die Auflösung nach Artikel 68 des Grundgesetzes geltende anspruchsvolle Mechanismus der Gewaltenteilung vermag sich sinnvoll nur zu entfalten, wenn das Bundesverfassungsgericht die politische Einschätzung der Lage durch die zuvor tätigen Verfassungsorgane respektiert“, heißt es in der am Montag nachgereichten Urteilsbegründung. Dies bezieht sich nicht nur auf Schröder, sondern auch auf die Abstimmung im Parlament und das für eine Auflösung nötige Votum des Präsidenten.

Dessen Handlungsrahmen hat das Gericht dafür erweitert. Hatte das Gericht die Entscheidung des Staatsoberhaupts über die Parlamentsauflösung bei seinem Urteil über den Fall Helmut Kohl 1983 noch an die Einschätzung des Kanzlers gebunden, so findet sich im Urteil jetzt nichts Vergleichbares. Der Bundespräsident, den die Richter ausdrücklich als „pouvoir neutre“, als neutrale Macht, bezeichnen, sei „ein vom Grundgesetz in diesem Verfahren eigens vorgesehenes unabhängiges Verfassungsorgan, das zur Rechtsprüfung ebenso befugt wie sodann zu einer politischen Leitentscheidung im Hinblick auf die Anordnung oder Ablehnung der Auflösung berufen ist“. Ihm stehe dabei ein „weites politisches Ermessen zu“, er treffe eine „eigenständige politische Beurteilung“. Der Bundespräsident verfüge zudem über eigene Möglichkeiten, auch die des vertraulichen Gesprächs, sich ein Bild davon zu machen, ob die „Handlungsfähigkeit der Regierung in einer dem Zweck des Art. 68 GG entsprechenden Weise gefährdet oder bereits verloren gegangen ist“.

Der Meinung des Kanzlers soll er dabei offenbar nicht mehr unbedingt folgen müssen. Dies war im Urteil von 1983 noch grundlegend anders. Danach hatte der Präsident „die Beurteilungskompetenz des Bundeskanzlers zu beachten“. Von dieser Pflicht konnte er nur absehen, „wenn eine andere, die Auflösung verwehrende Einschätzung der politischen Lage der Einschätzung des Bundeskanzlers eindeutig vorzuziehen ist“.

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