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Politik: Werben um Frustrierte

Angela Merkel auf Wahlkampftour im Osten – und Edmund Stoiber ist irgendwie dabei

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Berlin - Der Name Stoiber fällt nicht. Bei ihrer improvisierten Pressekonferenz im Luther-Haus nimmt ihn Angela Merkel nicht in den Mund, später auf dem Wittenberger Marktplatz auch nicht. Nur auf den Plakaten der vier Dutzend sehr ausdauernden Trillerpfeifer taucht der Bayer am Montag indirekt auf: „Bin proletarisiert, frustriert und blöd“ hat einer auf eine Pappe geschrieben. Wer erwartet hätte, dass die Kanzlerkandidatin ihren ersten Großauftritt in Ostdeutschland nutzen würde, sich noch einmal von Edmund Stoibers Bierzeltreden zu distanzieren, sieht sich getäuscht. Nur so viel sagt sie: „Wir müssen uns wieder auf die wichtigen Dinge konzentrieren.“

Die Rolle des Ausputzers für seine Kanzlerkandidatin übernimmt der Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU). „Niemand muss uns hier wachrütteln“, sagt Böhmer. „Niemand muss uns muntermachen.“

Auf kleine Wahlkampfflamme runterkochen ließ sich das Thema Ostdeutschland allerdings nicht. Denn Stoibers Attacken ermunterten auch am Montag die Unionisten in den neuen Ländern zu Klarstellungen. Ein „Ablenkungsmanöver des Westens“ will etwa der Ost-Berliner CDU-Abgeordnete Günter Nooke hinter dem Ganzen erkannt haben. Und zwar, damit sich die westdeutschen Politiker nicht wirklich kritisch mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage des Ostens auseinander setzen müssen. „Natürlich gibt es Frust im Osten, und der hat auch einen ganz realen Hintergrund“, sagte Nooke dem Tagesspiegel. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei in vielen Regionen „dramatisch“, und die Menschen spürten, dass die Rezepte des Westens bisher keine Besserung gebracht hätten.

Auch Sachsens Regierungschef Georg Milbradt (CDU) warb um Verständnis für die Ostdeutschen. „Es gibt eine Reihe Ostdeutscher, die enttäuscht sind und aus Protest PDS wählen wollen“, gab er zu. Die einzige Möglichkeit, diese Wähler zu gewinnen, sei, einen „glaubhaften Weg zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage“ aufzuzeigen. Einen Schritt nach vorn müsse die Union deshalb nach den Ereignissen in Bayern tun, anstatt nur nach Entschuldigungen zu suchen.

Für Milbradt ein willkommener Anlass, auf eine von ihm seit langem wiederholte Forderung zurückzukommen. Seine Partei müsse ein klares Bekenntnis für die Einführung gesetzlicher Sonderregelungen für die ostdeutschen Länder abgeben. „Ab 2007 wird der Osten wesentlich weniger Geld aus dem Westen bekommen. Spätestens dann muss es spezielle Gesetze für alle wirtschaftlich relevanten Bereiche in Ostdeutschland geben“, sagte der Regierungschef mit Blick auf die Zukunft des Solidarpaktes II, nach dem den neuen Bundesländern in zwei Jahren erstmals weniger Westhilfen zuteil werden. Mit einem „Weiter so“ werde es keine Besserung der Arbeitsmarktsituation geben, prophezeit Milbradt. Deshalb gehörten Experimentierklauseln in das Sofortprogramm einer Unionsregierung nach der Wahl.

Ob die Wähler am 18. September der Union eine Quittung für die Äußerungen Stoibers erteilen werden, darüber gehen die Auffassungen innerhalb der Union auseinander. Der frühere CDU-Bundesgeschäftsführer Peter Radunski jedenfalls glaubt, dass es keineswegs klar sei, dass Stoiber der Union im Wahlkampf geschadet habe. „Die öffentliche Diskussion spiegelt nicht die eigentliche Stimmungslage im Süden und Westen und wahrscheinlich auch nicht im Osten des Landes wider.“ Ein solcher Vorgang dürfe sich dennoch nicht wiederholen, mahnte Radunski. Er rate der Union dringend, „ihre Kampagnenfähigkeit an diesem Beispiel ernsthaft zu überprüfen“.

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