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Viel Geld der Mittelschichten liegt in den gängigen Publikumsfonds der großen Investmentfirmen. Die legen auch für Pensionsfonds und Versicherer an oder beraten diese. Der Einfluss der großen Adressen dieser Branche ist gewaltig, bei Unternehmen wie bei Staaten. In der Finanzkrise konnten die Amerikaner ihre Dominanz in diesem Geschäft offenbar noch ausbauen. Zumindest sind mehr US-Anbieter in den Top 25 als vor zehn Jahren. Verlierer waren vor allem Schweizer Institute.

© Jean Claude THUILLIER/REA/laif

Politik: Wessen Geld regiert die Welt ?

Den Superreichen gehört der Globus nicht allein. Denn da ist auch noch die Mittelschicht. Leute, die fürs Alter sparen. Sie haben ein Problem: Die Zinsen sind zu niedrig. Und das hat Folgen.

Kennen Sie Yngve Slyngstad? Sagt Ihnen der Name Henk Brouwer etwas? Schon einmal etwas von Anne Stausboll gehört? Oder von Takahiro Mitani? Es sind Namen aus der Welt des Geldes. Keine Berühmtheiten zwar, aber Manager riesiger Vermögen. Die allerdings nicht den elf Millionen Superreichen dieser Erde gehören, den „high net worth individuals“ oder HNWIs, wie sie genannt werden. Sondern Leuten aus der Mittelschicht. Mitani ist Präsident des größten Fonds der Welt, des staatlichen japanischen Pensionsfonds. Er verantwortet ein Anlagenvolumen von etwa 1,5 Billionen Dollar – das ist fast das Vierfache des deutschen Bundeshaushalts. Slyngstad leitet den Pensionsfonds des norwegischen Staates, der nicht zuletzt aus den Öl- und Gasfeldeinnahmen des Landes gespeist und für Rentenzahlungen verwendet wird. Hier stecken knapp 600 Milliarden Dollar drin. Brouwer ist der Chef des drittgrößten Pensionsfonds der Welt, des niederländischen ABP (knapp 300 Milliarden Euro). Stausboll, die erste Frau an der Spitze von Calpers, des Rentenfonds der Staatsbediensteten von Kalifornien, verwaltet ein von mehr als 1,6 Millionen Menschen angespartes Vermögen von 260 Milliarden Dollar.

Bei aller Aufregung um die immer ungleichere Verteilung der Vermögen, um Steueroasen, undurchsichtige Firmenkonstrukte, Schwarzgeldkonten französischer Minister oder heimliche Zockereien deutscher Fußballmanager – auf dem globalen Geldkarussell sitzen auch Abermillionen von Menschen, die mit Hedgefonds, kreditfinanzierten „Heuschrecken“, gehebelten Finanzprodukten und der Wundertütenwelt der Derivatebranche wenig zu tun haben. Es sind Selbstständige, Angestellte, Facharbeiter, die in den Industriestaaten mehr oder weniger wohlhabend geworden sind und die sich in den Schwellenländern gerade anschicken, auch wohlhabend zu werden. Menschen, die Geld sparen – fürs Alter, das Haus, die Kinder.



ANLAGEVERMÖGEN: 120 BILLIONEN

Etwa 120 Billionen Dollar, schätzt die britische Beratungsfirma CityUK, umfasst das weltweite Anlagevermögen. 42 Billionen davon stecken in den ganz großen Privatvermögen, bei den HNWIs. Der größere Teil aber liegt in Pensionsfonds (etwa 32 Billionen Dollar), in Versicherungsfonds (knapp 25 Billionen) und in den vielen Publikumsfonds, die vor allem in Aktien und Anleihen investieren. In Letzteren, in denen etwa 24 Billionen Dollar angesammelt sind, ist  auch Geld von reichen Zeitgenossen oder Firmen. Aber insgesamt gehört ein Gutteil der etwa 80 Billionen Dollar in den drei konventionellen Fondsformen der Mittelschicht dieser Erde.

46 Prozent davon werden in den USA verwaltet, schon weil dort die Kapitaldeckung bei der Rente die größte Rolle spielt und sich viele Pensionsfonds etabliert haben. Eine etwas größere Scheibe vom Kuchen schneiden sich noch die Briten und Japaner mit einem Anteil von jeweils acht Prozent ab. Der Rest ist „ferner liefen“. In Deutschland werden gerade mal zwei Prozent dieses Billionen- Geschäfts abgewickelt. Das liegt auch daran, dass man sich hierzulande auf die umlagefinanzierte Rente verlässt, Kapitaldeckung spielt nicht die ganz große Rolle. Doch mit ihrer traditionellen Liebe zur Lebensversicherung ist auch die deutsche Mittelschicht mit im großen globalen Anlegerboot.

Während das Anlagevermögen in der Bundesrepublik aber nur etwa die Hälfte des eigenen Bruttoinlandsprodukts ausmacht, sind es in Frankreich zwei Fünftel, in den USA 241 Prozent und in Großbritannien sogar 272 Prozent.

Die Amerikaner dominieren das große Geldgeschäft, was der Sache vielleicht nicht immer guttut. Zentrum ist natürlich New York. Aber viele amerikanische Finanzfirmen haben sich auch weit weg vom Big Apple angesiedelt. Zum Beispiel in Newport Beach in Kalifornien. Dort residiert Pimco, der größte Anleiheninvestor der Welt (er gehört seit 1999 zur Allianz, die dadurch zum global zweitgrößten Geldverwalter aufstieg). Chef von Pimco ist Bill Gross, der sich einen legendären Ruf erworben hat, weil er jahrzehntelang ein meist glückliches Händchen beim Handeln mit Anleihen hatte. Häufig übrigens für die großen Pensionsfonds und Versicherer. Gross verfasst jeden Monat einen meist lesenswerten Kommentar, mit dem er die Meinungen zur globalen Finanzlage zu beeinflussen versucht. Seit einiger Zeit predigt er die „neue Normalität“: eine Welt, in der wegen dauerhaft niedriger Zinsen, hoher Verschuldung (nicht nur der Staaten, sondern auch vieler Privathaushalte) und geringem Wachstum zumindest für die Industriestaaten eine neue Epoche begonnen habe. In der, so der Tenor, die bisherigen Erwartungen nicht mehr tragen. Es ist kein ganz angenehmer Ausblick für die Mittelschichten, die solide anlegen möchten und vom Zocken weder etwas verstehen noch es gutheißen. Denn glaubt man Gross, dann muss man sich von Renditen verabschieden, wie man sie in den von den Babyboomern geprägten Wachstumsdekaden seit 1970 gewohnt war. Auf diesen Renditeerwartungen basieren freilich die Rentenpläne dieser Babyboomer.

Das Problem ist Teil eines Teufelskreises, in dem das große Geldkarussell schon seit einiger Zeit steckt. Die Zinsen sind niedrig, weil das Wirtschaftswachstum der Industriestaaten lahmt und aufgepäppelt werden soll. Zudem sind sie niedrig, weil viele Staaten in zu hohe Schulden geraten sind, nicht zuletzt wegen der Rettung von Finanzinstituten, deren Geschäftsmodell weniger mit dem Ansparen für die Rente zu tun hatte als mit dem Ansammeln großer Reichtümer oder der Bereicherung auf Kredit. Dieses Retten wiederum war nötig, weil das Geld dank niedriger Zinsen billig war und damit zum Schuldenmachen verlockte. Das Ergebnis war unter anderem die kreditgetriebene Blase im Häusermarkt der USA und auch anderswo (England und Spanien etwa), und weil nun die Entschuldung sanft abgewickelt werden soll (bei Banken, Staaten und Privaten), bleiben die Zinsen niedrig. Was wiederum die nächsten Blasen verursachen kann und damit auch die nächsten Rettungsmaßnahmen.

Niedrige Zinsen bedeuten geringe Renditen für all jene, die ihr Geschäftsmodell unter anderem auf Staatsanleihen gebaut haben (und auch auf Unternehmensanleihen, deren Zins meist höher ist, aber tendenziell denen der Staatspapiere folgt). Und das sind eben die Pensionsfonds und Lebensversicherer. Die bekommen nun Probleme, ihre Zusagen einzuhalten. Das hat ganz konkrete Folgen. In den Niederlanden zum Beispiel ist diese „neue Normalität“ schon zu spüren. Henk Brouwer hat seinen Kunden im Pensionsfonds ABP, meist Staatsdiener und Lehrer, 2,8 Millionen Leute insgesamt, unlängst eine schlechte Nachricht vermelden müssen: Die ABP-Zusatzrenten, im Schnitt um die 700 Euro im Monat, wurden zum 1. April um 0,5 Prozent gekürzt. „Sehr schmerzhaft“ nannte Brouwer die Entscheidung und gab dafür zwei Gründe an: Zum einen würden die Holländer immer älter, die Auszahlungszeit werde dadurch länger, man muss die Summen also strecken. Und zum Zweiten seien die Zinsen einfach zu niedrig, um mittel- und langfristig genügend Rendite zu erwirtschaften.

Eine Beitragserhöhung und die Entkopplung von der allgemeinen Gehaltsentwicklung hatten nicht genügend Luft verschafft. ABP war 2012 trotz guter Ergebnisse am Aktienmarkt wegen des niedrigen Zinsniveaus in eine rechnerische Unterdeckung gerutscht. Das Verhältnis des Anlagevermögens zu den Verpflichtungen lag nur noch bei 96 Prozent – das Ziel ist aber, über 104 Prozent zu liegen. Dabei haben die Niederländer, deren Pensionsverwalter traditionell stark in solide Zinspapiere investieren, die Risiken in den letzten Jahren hochgefahren, um höhere Renditen zu erzielen. Nur noch ein gutes Fünftel des ABP-Geldes steckt in Staatsanleihen, aber 17 Prozent in Unternehmensanleihen. Aktien machen etwa ein Drittel des Vermögens aus, Immobilien zehn Prozent. Dazu kommen Investitionen in direkte Unternehmensbeteiligungen, Rohstoffe, Infrastrukturprojekte. Seit einigen Jahren betreibt ABP sogar einen eigenen Hedgefonds in New York. Die reale Rendite, nach Abzug der Inflation, beträgt über die Jahre hinweg 5,1 Prozent. Das ist nicht schlecht. Nötig wären aber eher sieben Prozent, um die Verpflichtungen sicher erfüllen zu können.

In Deutschland wurden die Renten gerade erhöht, auch die aus Steuern gezahlten Beamtenpensionen steigen. Man verschiebt das letztlich auch bei uns bestehende Deckungsproblem in die Zukunft. Im Umlagesystem geht das. Doch auch in Deutschland gibt es Kapitaldeckung, seit einigen Jahren bei der Riesterrente und seit jeher bei den Betriebsrenten und den Lebensversicherungen. Deren Anbieter dringen schon seit einiger Zeit darauf, dass ihr Garantiezins sinken muss, weil sie nicht glauben, ihre Auszahlungsversprechen halten zu können.

Nimmt man die Zahlen der Beratungsfirma Towers Watson, dann besteht trotz guter Anlageergebnisse im vorigen Jahr bei den hundert großen deutschen Firmen, die börsennotiert sind, eine Unterdeckung ihrer Betriebsrentenversprechen. Den Pensionsverpflichtungen von knapp 360 Milliarden Euro stehen extra dafür zurückgestellte Vermögenswerte von etwas mehr als 200 Milliarden Euro gegenüber. Auch das hat mit dem niedrigen Zins zu tun: Verpflichtungen müssen deshalb mit einem höheren Wert in die Bilanzen aufgenommen werden. Der Ausfinanzierungsgrad (das ist das Verhältnis von ausdrücklich reserviertem Pensionsvermögen zu den Verpflichtungen) liegt in den Dax-Unternehmen im Schnitt bei 61 Prozent. Das heißt noch nicht, dass die Rentenzusagen nicht eingehalten werden können. Doch bei vielen Unternehmen müssen diese wohl aus den allgemeinen Bilanzrückstellungen finanziert werden, die freilich nicht ausdrücklich für Rentenzahlungen reserviert sind und gegebenenfalls anders eingesetzt werden müssen.

Die drei EU-Finanzaufsichtsbehörden haben im März in einem gemeinsamen Bericht auf die Risiken und absehbaren negativen Folgen einer „längeren Phase niedriger Zinsen“ hingewiesen, von der die Aufseher offenbar ausgehen – sie sprechen sogar von „bedeutend länger“. „Fundamentale Verteilungseffekte“ könnten dadurch entstehen, zugunsten der Schuldner (also nicht zuletzt der Staaten und der Banken) und zulasten der Sparer. Lebensversicherer und Pensionsfonds bekommen vor allem dann Probleme, wenn sie konkrete Zahlungsgarantien gegeben haben. Zwar gebe es bisher offenbar noch keine Anzeichen, dass die Fonds in riskantere Anlagen umschichten – offenbar verlassen sie sich vorerst auf die Rücklagen. Aber wenn die Niedrigzinsphase wirklich „bedeutend länger“ dauern wird, dann müssen sie wohl ihre Strategien ändern. Mit allen Risiken, die darin liegen.



DIE ZINSEN BLEIBEN WOHL ERST MAL NIEDRIG

Ausgerechnet unter der kalifornischen Sonne fallen die Prognosen derzeit besonders düster aus. Bei Pimco nimmt man an, dass im kommenden Jahrzehnt der Realzins (also der von der Zentralbank festgesetzte Leitzins minus der erwarteten Inflation) bei minus einem Prozent liegen wird. Bis 2030 werde er im Schnitt auf minus 1,25 Prozent fallen. Derzeit steht der Realzins in den USA bei minus 1,3 Prozent. Die Markterwartungen dagegen laufen laut Pimco auf einen höheren durchschnittlichen Realzins hinaus, von minus 0,6 Prozent bis 2023 und danach bis 2030 von plus 0,6 Prozent. Das hieße: Die Renditeerwartungen sind möglicherweise zu hoch. Hinter dem Pimco-Szenario steht die Annahme, dass die Phase der langsamen Entschuldung – nicht nur des Staates, sondern auch der privaten Haushalte – und der Wirtschaftsankurbelung durch Niedrigzins noch eine ganze Weile dauern wird. Auch in Europa dient die Niedrigzinspolitik diesem Ziel.

Die finanzielle Repression, wie man dieses Vorgehen auch nennt, trifft aber eben die Sparer und ihre Manager. Bei den Verantwortlichen steckt dahinter eine nüchterne Abwägung, wie sie der US-Zentralbankchef Ben Bernanke schon im November 2011 zusammenfasste: „Uns ist durchaus bewusst, dass sehr niedrige Zinssätze, vor allem über einen längeren Zeitraum hinweg, für eine ganze Menge Leute Kosten verursachen“, sagte er damals. Die Antwort darauf sei, dass es ein „höheres Gut“ gebe – „die Gesundheit und Genesung der US-Wirtschaft“. Wenn man mit seinen Investments Geld verdienen wolle, dann müsse man schließlich in eine Wirtschaft investieren, die auch wachse. Es ist, wie gesagt, ein Teufelskreis.

Ähnliches erleben die Japaner schon seit zwei Jahrzehnten. Dort sind nach dem Aktien- und Immobiliencrash Anfang der 90er Jahre die Leitzinsen massiv gesenkt und seither unten gehalten worden. Wachstum stellte sich freilich nicht ein. Zur Enteignung der Sparer kam es nur nicht, weil wegen fortgesetzter Deflation keine negativen Realzinsen entstanden. Takahiro Mitanis Riesenfonds konnte daher bislang zwei Drittel seines Anlagevolumens in japanischen Staatsanleihen anlegen, ohne auf reale Rendite verzichten zu müssen – und finanzierte damit einen Teil der riesigen Staatsschuld Japans. Ein solides, dauerhaftes Modell ist das aber nicht.

Bleiben die Zinsen niedrig und liegt die Inflationsrate darüber, müssen sich die Geldverwalter nach anderen Möglichkeiten als Anleihen umschauen. Es bleiben neben Aktien vor allem Rohstoffe, Derivatkonstruktionen, Immobilien. Allesamt riskantere Anlagen, bei denen sich dann auch wieder Investitionsblasen aufbauen könnten. Der Anteil dieser „alternativen Investments“ in den Pensions- und Versicherungsfonds steigt freilich seit Jahren schon und hat bisweilen 20 Prozent des Volumens erreicht, wie Fachleute sagen. Da ist also möglicherweise gar nicht so viel Spielraum.



PENSIONSFONDS ALS NEUE BANKEN

Daher werden noch alternativere Formen gesucht. Der oberste Investmentmanager des Pensionsfonds der britischen Kaufhauskette Tesco, Steven Daniels, sagte unlängst: „Pensionsfonds sind die neuen Banken. Alle sehen uns jetzt als langfristige Geldverleiher.“ Altersvorsorgebeiträge werden als Kredite an Investoren ausgereicht, die mit Banken nicht arbeiten wollen oder können – auch weil die vielfach überschuldeten Banken ihre Bilanzen in Ordnung bringen müssen und daher bei der Kreditvergabe zurückhaltender sind. Freilich riskieren die Pensionsfonds damit auch, ähnlich wie die Banken, mit dem einen oder anderen Projekt Schiffbruch zu erleiden, weil Kredite nicht zurückgezahlt werden. Auch die klammen Staaten sehen offenbar in den Pensionsfonds zunehmend Partner, um neue Infrastrukturvorhaben auf den Weg zu bringen, für die das Geld im Etat nicht da ist.

Aber alle diese Anlageformen haben ihre Grenzen. Am Ende kommen die Investmentprofis wohl um Staatsanleihen nicht herum. Und die Staaten und Zentralbanken wissen das. Die Renditen werden dann eben wegen der negativen Realzinsen geringer sein. Das bedeutet, dass viele Babyboomer in den Industriestaaten möglicherweise ein wenig länger arbeiten müssen als gedacht. Viele werden vielleicht sogar einen Rentnerjob annehmen müssen.

Es könnte freilich auch sein, dass die älter werdenden Gesellschaften des Westens sich dagegen zu wehren beginnen. Immerhin ist die Mittelschicht auch ein Heer von Wählern. Ein erstes Umdenken scheint sogar schon einzusetzen. Jedenfalls in Europa. Der deutsche EZB-Direktor Jörg Asmussen deutete das am vergangenen Donnerstag an, als er die Erwartungen auf eine nochmalige Leitzinssenkung im Euro-Raum dämpfte. „Langfristig führen zu niedrige Zinsen zu Verzerrungen“, sagte er. „Die Kosten sehr niedriger Zinsen sind real, und sie steigen mit der Zeit.“

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