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Politik: Westerwelles Schicksalswahl

Bis zuletzt setzte der FDP-Chef auf das Bündnis mit der CDU. Nun ist klar: Zur Macht reicht das nicht

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die Mehrheitsverhältnisse in Hessen nach der Landtagswahl in Hamburg, Ende Februar, durchaus Parallelen finden könnten. Und natürlich auch nächstes Jahr in Berlin bei der Bundestagswahl: Ein Fünf-Parteien-Parlament ohne Mehrheit für Rot-Grün oder Schwarz-Gelb und ohne Koalitionsoption mit den Linken.

Für Guido Westerwelle wäre das die denkbar schlimmste Situation. Zumindest aus heutiger Sicht stünde er dann womöglich wieder wie ein bockiger Spielverderber da. Einer, der sich zwar – wie vor einer Woche in Hessen – von seinen Anhängern für die „Substanzgewinne“ bei den Wählerstimmen und die „Charakterstärke“ – „Wir sind keine Umfaller“ – bei den Koalitionsoptionen feiern lässt. Allerdings dann zum wiederholten Male seit 2005 auch als einer, der keine Antwort auf die alles entscheidende Frage dieser siegreichen Liberalen hat: die nach der Macht.

„Where is the beef?“ – Um diese berechtigte Frage eines jeden, der überlegt, ob er 2009 FDP wählen soll, werden sich die nächsten Monate des Guido Westerwelle drehen. Im Wahlkampf, den der FDP-Chef glaubwürdig nur als Fortsetzung seiner bürgerlichen Mitte-Strategie wird führen können. Bei der Koalitionsaussage, die folgerichtig nur zugunsten der Union ausfallen kann. Und schließlich bei den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl, so Westerwelle rechnerisch beteiligt sein wird.

Und hier wird es spannend: Westerwelle weiß das, ja er ließ es sogar schon vor der Hessen-Wahl mit dem Begriff „Schicksalswahl“ durchblicken. Der wurde von den meisten zwar als eine der üblichen semantischen Überhöhungen Westerwelles missgedeutet. Gemeint hatte Westerwelle jedoch das Schicksalhafte der Hessen-Wahl für seine eigene Strategie, nämlich die der bürgerlichen Zweierbündnisse. Es gehe in Hessen darum, sagte er, „ob noch bürgerliche Mehrheiten möglich sind.“ Noch?

Sie sind es nicht, wie man seit vergangenem Sonntag weiß – Ausrutscher wie in Niedersachsen ausgenommen. Zumindest nicht so, wie es Westerwelle seit der letzten Bundestagswahl seinen Liberalen mantraartig als Marschrichtung vorgegeben, ja aufgenötigt hat: „Allein mit der Union oder ab in die Opposition“. Diese Politik-Phase des Guido Westerwelle ist wohl seit letztem Sonntag beendet. Was folgt? Man könnte es das vorsichtige Herantasten an die Grünen nennen. Im Westerwelleschen Verständnis natürlich nur als eine mögliche Ergänzung zur bürgerlichen Mehrheit aus CDU und FDP. Aber, ganz abhängig vom künftigen Kurs der SPD unter Beck, durchaus auch als liberales Korrektiv von Rot-Grün. Jamaika in Hessen: Man trifft viele Spitzenliberale in diesen Tagen, die eine solche Konstellation ganz und gar nicht als „Ablenkungsmanöver“ oder nicht ernst gemeintes „Sandkastenspiel“ verstehen. Für sie ist Jamaika vielmehr eine ersehnte Möglichkeit, der selbst eingegangen Umklammerung durch die CDU zu entkommen.

Dass der Hamburger FDP-Spitzenkandidat Hinnerk Fock diese Wendung in seiner Partei noch nicht nachvollzieht, mag man mit hanseatischen Sondereffekten begründen. In Berlin zuckten die Liberalen allerdings zusammen, als Fock – ähnlich wie die Hessen zuvor – alles außer dem Zweierbündnis mit der CDU „kategorisch“ ausschloss.

In Hessen ist man da weiter gekommen, FDP-Landeschef Jörg-Uwe Hahn scheint mittlerweile grüne Kreide gefressen zu haben. „Von Anbeginn an nicht gänzlich ausgeschlossen“ habe er Jamaika, versucht Hahn seit Freitag, seine Position vom vergangenen Montag umzudeuteln. Nur zur Erinnerung: Vor einer Woche bezeichnete er noch die Selbstverleugnung der Grünen als Grundvoraussetzung für ein Bündnis. Davon will er nichts mehr wissen. Genauso wenig wie Generalsekretär Dirk Niebel. Und selbst FDP-Vizechef Andreas Pinkwart, bekennender Atom-Forschungsfreund und Grünen-Kritiker aus Nordrhein-Westfalen, mutiert zum Jamaika-Kreativen. Sogar zu „Angeboten an die Grünen“ rief er auf. Damit man in Hessen in strittigen Feldern vorankomme.

Risikoreich ist dieser Weg für die FDP, nicht zuletzt wegen des eigenen Profils und jener Wählerschichten, die von der FDP wie von den Grünen angesprochen werden. Die Alternativen sind jedoch begrenzt, will man 2009 nicht noch einmal als dogmatischer Verweigerer dastehen. Vor einer Wahl nichts mehr „kategorisch“ auszuschließen, damit man hinterher keine Angst vor dem eigenen Umfaller-Image haben muss: Mit einer solchen Lockerung der eigenen Fesseln an die Union wird Westerwelle in seiner Partei jedenfalls offene Türen einlaufen.

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