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Politik: Westerwelles Tabubruchlandung

Von Robert Birnbaum Na also, es geht doch! Vor die ultimative Wahl gestellt, den Rückzug anzutreten oder aus dem politischen Angebot der FDP zurückgezogen zu werden, hat Jürgen W.

Von Robert Birnbaum

Na also, es geht doch! Vor die ultimative Wahl gestellt, den Rückzug anzutreten oder aus dem politischen Angebot der FDP zurückgezogen zu werden, hat Jürgen W. Möllemann kapituliert. Den Ex-Grünen Karsli hat blitzartig die Einsicht befallen, dass er sich besser aus der FDP-Fraktion in Düsseldorf davonmacht, und Möllemann hat über Nacht geübt, „Entschuldigung“ zu sagen. Und nun ist alles wieder gut? Von wegen!

Gut ist ganz und gar nicht das Bild, das der Parteivorsitzende abgibt. Guido Westerwelle hat die Notbremse gezogen. Das war richtig, aber viel zu spät. Die wochenlange Verzögerung ist nicht zu entschuldigen mit den üblichen gruppendynamischen Hinweisen, der Parteichef müsse auf Geschlossenheit achten, dürfe dem politischen Gegner keine Flanke bieten, usw. Derlei Taktieren würde in einem Streit über, sagen wir, die Steuerpolitik als geschicktes Ausmanövrieren eines Unbotmäßigen gelten. Aber nicht bei einem Konflikt über die Grundausrichtung der FDP. Es bestand übrigens nie die Gefahr, dass Möllemann austritt und sich selbstständig macht. Man stelle sich doch nur mal versuchsweise vor, der Vorsitzende einer JürgenWMöllemannpartei hätte am vorigen Wochenende verkündet, er wolle nach der Wahl das Gesundheitsministerium – was hätten wir alle gelacht! Der Mann braucht genau diese alteingeführte FDP als Kulisse für seine Solo-Nummern.

Nein, Möllemann hat sich als Brandstifter betätigt, und Westerwelle hat zugeschaut. Bestenfalls war das ein Ausdruck von Schwäche und Naivität des Parteichefs. Schlimmstenfalls bleibt der Eindruck, dass Westerwelle sich gerne an dem Feuerchen gewärmt hätte. Der Eindruck ist keineswegs völlig erledigt angesichts der großen Schonung, die der Chef seinem Vize bis zuletzt angedeihen ließ. Auch hier ist egal, welche guten taktischen und innerparteilichen Gründe der FDP-Chef dafür hat. Was zählt ist, um Westerwelle zu zitieren, das Ergebnis.

Das Ergebnis ist nicht, dass das Feuer nun ausgetreten wäre. Jene Bürger, die Möllemann Beifall klatschen, jene Leute, die ein Gespräch mit der Versicherung beginnen, man möge sie nicht falsch verstehen, sie seien keine Antisemiten, aber der Möllemann habe doch die Wahrheit gesagt – diese Salon- und Sofa-Antisemiten haben ihren neuen Helden. Einen Helden, der vor laufender Kamera immer noch und immer wieder an der falschen und dummen Behauptung festhält, man dürfe die Politik der israelischen Regierung „nicht frei“ kritisieren. Man darf. Man darf nur liberale Gedankenfreiheit nicht so auslegen, dass man bauchredet, ohne sich Gedanken zu machen.

Mit alledem hat Westerwelle geduldet, dass sein eigenes „Projekt 18“ diskreditiert wird. Das Vorhaben konnte bisher als interessantes Mittel zu einem guten Zweck gelten: Die FDP führt Menschen, die mit normalen politischen Mitteln nicht für Politik und schon gar nicht für liberale zu gewinnen sind, wieder heran. Von nun an aber steht jeder neue Tabubruch, jede neue Berufung auf Volkes Stimme unter Verdacht. Wenn Westerwelle mit dem „Guidomobil“ auf Campingplätzen nächtigt, werden seine Wahlkampfplaner vorher gut schauen müssen, wer sich mit ihrem Volkstribunen zusammen ans Grillfeuer hockt.

Den Verdacht des schmutzigen Spiels mit Antisemitismus mag die FDP beizeiten wieder loswerden. Westerwelle könnte das vielleicht beschleunigen, wenn er selbst einräumte, Fehler gemacht zu haben. Der Verdacht des haltlosen Populismus bleibt. Dagegen war das „Projekt 18“ nie gefeit. Es ist ja ein schmaler Grat zwischen dem Versuch, die Menschen in ihrer Sprache anzusprechen, und der Versuchung, ihnen nach dem Mund zu reden. Doch von nun an wird noch genauer hinzuschauen sein, ob die FDP die Balance wahrt. Das „Projekt 18“ hat seine Unschuld verloren.

Eines noch zu Jürgen W. Möllemann. Der Mann hat sich bei den jüdischen Mitbürgern entschuldigt. Nur um dann hinterherzuschieben: Bei Friedman aber ausdrücklich nicht, der habe das nicht verdient mit seinem „unerträglichen Habitus". Einem Zehnjährigen würde man jetzt einen kleinen Vortrag darüber halten, wie übel Rechthaberei ist. Bei einem vom Jahrgang 1945 kommt derlei pädagogische Bemühung vermutlich zu spät. Was für ein Kleingeist!

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