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Von einander abgewandt: Boris Johnson und Angela Merkel.

© Ludovic Marin/AFP

Widerstand gegen Brexit-Kurs: Revolte gegen Boris Johnson

No Deal ist verantwortungslos. London kann ihn auch nicht erzwingen. Es bleibt nur, Nordirland beim Austritt der Briten im Binnenmarkt zu lassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Nervosität wächst. Und der Widerstand. Fünf Kabinettsmitglieder in London meutern gegen Boris Johnsons Brexitkurs, berichtet „The Times“. 50 konservative Abgeordnete würden die Partei verlassen, meldet die "Financial Times". Schottlands Oberstes Gericht behält sich vor, am 21. Oktober einen Antrag an die EU auf Fristverlängerung zur erzwingen, falls Johnson sich weigert, ihn zu stellen, obwohl das britische Parlament ihn dazu verpflichtet hat, sofern am 19. Oktober kein vom Parlament gebilligter Austrittsvertrag vorliegt.

Ohne Vertrag drohen Versorgungsenpässe Anfang November

Das Pokern um den Brexit und BoJos Flirt mit einem No Deal war nie nur ein Spiel, auch wenn er und andere Schlüsselfiguren sich oft so verhalten haben, als ginge es nur darum, wer die bessere oder schlechtere Figur macht – und wer mit besseren Aussichten in die nächste Wahl geht. 70 Millionen Menschen in Großbritannien und Irland sind unmittelbar betroffen, wenn die Entwicklung der politischen Kontrolle entgleitet, weil am 1. November nicht geregelt ist, was passiert. Dann drohen ernste Versorgungsengpässe, rechtliche Unsicherheit und die Gefahr neuer Gewalt zwischen Protestanten und Katholiken auf der irischen Insel.

500 Millionen EU-Bürger werden die Folgen indirekt spüren, wenn auch nicht so existenziell wie Briten und Iren. Die Deutschen wären wegen der engen Verflechtung mit der britischen Wirtschaft besonders betroffen; der vermeidbare Schaden könnte das Land vollends in eine Rezession stürzen.

In der Not können selbst destruktive Taten helfen

In der außergewöhnlichen Situation sind Entwicklungen, die normalerweise als destruktiv gelten, womöglich hilfreich: der Leak, was Kanzlerin Merkel Johnson am Telefon zum Verbleib Nordirlands im EU-Binnenmarkt gesagt hat; die Revolte der Regierungsmitglieder in London; das Aufbegehren der schottischen Richter gegen das englische Vorgehen. Sie weisen den Weg zu möglichen Lösungen. Und wie sich ein No Deal samt seinen katastrophalen Folgen vermeiden lässt, falls Johnson sich nicht freiwillig beugen sollte.

Die Darstellung der Tories, der „Backstop“ – kein Ausscheiden Großbritanniens aus dem Binnenmarkt ohne eine Auffanglösung für die Irlandfrage – sei eine Zumutung und notfalls würde London das Problem durch No Deal los, ist eine Lüge. Die Pflichten aus dem Karfreitagsabkommen, darunter das Verbot einer harten Grenze zwischen Irland (EU) und Nordirland (Großbritannien), bleiben, unabhängig davon, ob und wie Großbritannien die EU verlässt.

Der Preis des Brexits wird für die Engländer klarer

Die vernünftigste Alternative ist: Nordirland bleibt im Binnenmarkt und in der Zollunion. Die Zollgrenze verliefe dann zwischen England und Nordirland. Das kann zum Einstieg in die Trennung Nordirlands vom Königreich und zur Vereinigung mit der Republik Irland führen. Aber das gehört dann eben zum Preis, den die Engländer für den Brexit zahlen. Viele wird das wohl nicht stören. Der letzte Verhandlungsvorschlag Johnsons klang so, als wolle er in diese Richtung gehen.

Und wenn Parlament und Gerichte die Tories zurück auf den Pfad der Verantwortung zwingen, wäre auch das ein Sieg der Vernunft.

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