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Soldaten während eines Angriffs in der Schlacht von Verdun 1916

© AFP

Widerstand im Ersten Weltkrieg: Die sturen Bauern des Valle Padana

Die städtischen Eliten hielten sie für unpolitisch. Doch die katholischen Bauern in Norditalien waren die heftigsten Gegner des Ersten Weltkriegs.

Der Erste Weltkrieg als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts – das ist inzwischen unbestritten. Entsprechend drehen sich auch in diesem Gedenkjahr, hundert Jahre später, die meisten Fragen um das Warum und die Schuld daran. Wer sich dem Großen Krieg entgegenstemmte, bleibt da zwangsläufig im Schatten. Etwas Licht auf die Akteure der anderen Seite hat nun Claudia Baldoli geworfen. Die Historikerin an der Universität Newcastle sah sich den Widerstand auf dem Land in Norditalien an – und kam dabei zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die radikalsten und wirkungsvollsten Kriegsgegner waren keine Roten, sondern die „weißen Ligen“, die genossenschaftlich geprägten katholischen Landgewerkschaften, in denen Bauern wie Tagelöhner organisiert waren. „Während des gesamten Ersten Weltkriegs opponierten die leghe bianche unnachgiebig gegen den Krieg”, sagt Bandoli. Die „Roten Ligen“ hingegen seien der Sozialistischen Partei gefolgt, die zwar 1914 noch für Neutralität eintrat, dies aber bald aufgab. Ganz im Gegensatz zum Intellektuellen-Vorurteil, das schon die  Vordenker des Risorgimento, der italienischen Einigungsbewegung, gepflegt hätten, seien die Bauern nicht unpolitisch und apathisch gewesen: „Weil sie politisiert waren, waren sie dagegen“, sagt Baldoli. „Nicht alle natürlich, aber in der Po-Ebene hatten die Ligen, rote wie weiße, zigtausende Mitglieder.“ Dass das Ja zum Krieg eher bürgerlich-städtisch, das Nein Sache der Landbevölkerung war, habe auch damit zu tun gehabt, dass den Bauern ihre Ernte wichtiger war als dem Kaiser in Wien die Reste italienischen Gebiets zu entreißen. 

Die weißen Ligen waren ironischerweise das Ergebnis eines päpstlichen Politikverbots. Pius IX. hatte gegen jenes neue Königreich Italien, das der Kirche den Staat nahm und 1870 sogar die Stadt Rom, den Bann des „Non expedit“ („Es ist nicht angebracht“) verhängt: Die Formel verbot frommen Katholiken seit 1868 , sich ins Parlament wählen zu lassen oder auch nur wählen zu gehen. Wollten sie sich sozial engagieren, mussten sie folglich eigene Organisationen gründen. Die katholische Bauerngewerkschaft holte bei Verhandlungen mit den Landbesitzern schon vor dem Krieg mehr heraus als die linken Rivalinnen; nach dem Krieg  organisierten sie Hofbesetzungen und –räte und setzten Mitbestimmung in Agrarbetrieben durch. In hundert Tagen Streik erkämpften sie 1921, dass es ein Gesetz dafür gab.

Entsprechend hart war der Kampf gegen die linken Katholiken, denen auch die Amtskirche die kalte Schulter zeigte: Ihr unpatriotisches Nein wurde in den Zeitungen angegriffen, ihre eigene Presse bis zum Schluss zensiert, die Bewegung überwacht, ihre Führungsfiguren wurden tätlich angegriffen und auch juristisch verfolgt. Aber erst in Nachkriegsjahren folgten Morde und die Zerstörung ihrer Häuser und Druckereien: Die Bewegung erstickte in den Gewaltexzessen der Grundbesitzer und der Schlägertrupps des neu entstehenden Faschismus. Die Kriegsjahre waren wohl die Blaupause dafür. Die Attacken gegen die pazifistischen Bauern, sagt Baldoli, seien „Vorboten“ des Faschismus gewesen.

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