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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) präsentiert in Berlin eine Biografie über ihren Vorgänger Gerhard Schröder (SPD).

© dpa

Wie Angela Merkel die Schröder-Biografie vorstellte: Das Risiko der Bundeskanzlerin

Angela Merkel stellt eine neue Biografie über ihren Vorgänger Gerhard Schröder vor. Ist die Flüchtlingskrise ihr Agenda-Moment, in dem sie viel riskiert?

Von Hans Monath

Einst hat er Angela Merkel in aller Öffentlichkeit prophezeit, sie werde nicht Regierungschefin werden. Fast auf den Tag genau zehn Jahre nach diesem Verdikt sitzt Gerhard Schröder in einem schwarzen Ledersessel auf einem Podium und hört zu, wie seine Nachfolgerin eine neue Biografie über ihn preist. "Unbedingtes Machtbewusstsein, Pragmatismus und Kämpfer", so beschreibt Merkel den Vorgänger. Schröder mahlt mit den Kiefern, beißt die Zähne zusammen, aber er lächelt immer wieder. Es ist nicht das berüchtigte Wolfslächeln des Alphatieres Schröder, der gleich zubeißen wird. Der Altkanzler scheint das Lob zu genießen.

"Wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen. Sie wird keine Koalition mit meiner Partei zustande kriegen. Machen Sie sich da nichts vor", donnerte Schröder am 18. September 2005 am Wahlabend in die Berliner Runde von ARD und ZDF, wo er mit Merkel und anderen Parteichefs den knappen Ausgang der Abstimmung kommentieren sollte.

Nach ihrem Lob auf das Buch des Erlanger Historikers Gregor Schöllgen ("Das Buch ist es wert, von A bis Z gelesen zu werden") setzt sich die Kanzlerin zu dem Biografen und zu ihrem Vorgänger. Schöllgen beschreibt in seinem 1000-Seiten-Werk ausführlich auch die TV-Debatte vom September 2005.

Schröders testerongesteuerten Macho-Auftritt deutet er als politischen Schlüsselmoment: Weil Merkel angesichts eines schlechten Wahlergebnisses damals parteiintern unter Druck stand, habe Schröders Attacke ihreWidersacher zur Loyalität mit ihr gezwungen und ihr so erst den Weg zur Macht gebahnt.

Der Altkanzler selbst beschreibt seinen damaligen Ausbruch dann selbstironisch. "Es ist ja eine der wirklichen Kultsendungen im deutschen Fernsehen", meint er: "Das war ebenso lustvoll wie suboptimal." Vollends distanzieren will der 71-Jährige sich nicht: Er wolle diesen Moment "nicht missen", erklärt er.

Heute aber dankt er voller Respekt dafür, dass die Kanzlerin die Laudatio auf das Buch übernommen hat. Das sei "nach langen Jahren der politischen Auseinandersetzung nicht selbstverständlich", meint er: "Ich habe mich, liebe Frau Merkel, sehr darüber gefreut, dass Sie das übernommen haben."

Die Kanzlerin wiederum geizt nicht mit großen Worten für das politische Vermächtnis Schröders. "Wir waren und sind in manchen Punkten, gerade in der Außenpolitik, fundamental anderer Meinung, aber das ändert nichts an meiner Hochachtung für die Leistungen des Reformers Gerhard Schröder", sagt sie. Es ist nicht das erste Mal, dass sie den Vorgänger für die Agenda 2010 lobt.

Schröder seinerseits hat in den vergangenen Jahren immer wieder mit kleinen Sticheleien Zweifel an Merkels Leistungen als Regierungschefin gesät. Politische Führung bedeute, für ein wichtiges Anliegen das Risiko einzugehen, nicht wieder gewählt zu werden, sagte er etwa im vergangenen Jahr und fügte hinzu: "An dieser Bereitschaft zum Risiko mangelt es Frau Merkel."

Der Altkanzler warnt vor Legendenbildung

Den Gedanken von der Notwendigkeit der Risikobereitschaft nimmt der Altkanzler auch diesmal wieder auf, aber er wendet ihn nicht offen gegen seine Nachfolgerin. Die Kanzlerin ist mit ihrer Öffnungspolitik in der Flüchtlingskrise ein so hohes Wagnis eingegangen wie kaum irgendwann zuvor in ihrer Amtszeit, das muss auch Schröder wissen. Der Zuzug von womöglich einer Millionen Flüchtlinge nach Deutschland allein in diesem Jahr, den sie selbst befördert hat, wird das Land verändern. Und wird von vielen in ihrer eigenen Partei und von fast der gesamten CSU mit Skepsis gesehen oder gar abgelehnt.

Hat Angela Merkel als Kanzlerin in diesen Wochen also ihren Agenda-Moment gefunden, der sie zugleich gefährdet und ihr einen Platz im Geschichtsbuch sichert? Schröder verweigert sich einem Vergleich und einem Urteil: "Ich kommentiere heute keine deutsche Politik, und ich kommentiere schon gar nicht die Arbeit der Frau Bundeskanzlerin." Immerhin so viel Kritik erlaubt er sich: Die Flüchtlingsfrage sei "eine der ganz großen Herausforderungen" der Politik, meint er: "Wie es ausgehen wird, wird nach meiner Auffassung auch davon abhängen, wie schnell und mutig ein neues Einwanderungsgesetz, das ich für erforderlich halte, gemacht wird." Schröders Sozialdemokraten dringen schon lange auf ein Einwanderungsgesetz, die CDU hat sich gerade mühsam zu diesem Ziel durchgerungen, die Schwesterpartei CSU aber stellt sich entschieden dagegen.

Auch auf die Frage nach dem größten Fehler in der Amtszeit Merkels verweigert Schröder die Antwort. Die amtierende Kanzlerin ist da urteilsfreudiger, schließlich sei die politische Zeit des Vorgängers zu Ende. Als Fehler sieht die CDU-Chefin die Entscheidung des damaligen Kanzlers, nach Kritik aus den eigenen Reihen an der Agenda 2010 und Niederlagen bei Landtagswahlen im Jahr 2004 den SPD-Vorsitz abzugeben: "Das war für mich ein Punkt, wo ich gedacht habe: Das hat Konsequenzen."

Für Schröder ist Schöllgens Werk ohnehin weniger in politischer Hinsicht bedeutend als vielmehr in privater. Zwar sei es "ganz schön", mal ein "Kompendium" seines 50-jährigen politischen Wirkens "zusammengetragen zu bekommen", meint der SPD-Politiker salopp. Die neuen Funde des Historikers zu seiner Familiengeschichte haben Schröder offenbar mehr beeindruckt. So fand Schöllgen ein Polizeifoto des Vaters des Altkanzlers, es zeigt Fritz Schröder nach einer Verhaftung wegen schweren Diebstahls. Er habe gewusst, dass sein im Krieg gefallener Vater Hilfsarbeiter war, sagte Schröder: "Die Verurteilung kannte ich nicht."

Schröder, der in einfachsten Verhältnissen aufwuchs, erfuhr noch mehr über seine Vorfahren. So wusste er zuvor auch nicht, "dass mein Großvater mütterlicherseits, ein Militärarzt, meine Großmutter, eine junge Näherin, schwängerte und sich dann aus dem Staube machte". Dies sei "bemerkenswert und Kennzeichen einer Zeit, die hoffentlich bald endgültig überwunden ist", meint er.

Schöllgens Deutung, wonach erst Schröders TV-Ausbruch Merkel ins Amt brachte, widersprechen beide Politiker. Sie sei sich am Wahlabend sicher gewesen, dass man aus dem Ergebnis "etwas machen kann", erinnert sich die Kanzlerin. Schröder warnt Schöllgen gar vor "Legendenbildung": Er habe immer gewusst, dass die CDU "zu machtbewusst" sei, um so eine Chance nicht zu nutzen.

Dass sie selbst über das gleiche Machtbewusstsein verfügt, das sie Schröder attestiert, macht Merkel klar, als sie danach gefragt wird, ob sie sich Schröder nie als Mitglied ihres Kabinetts gewünscht habe. "Die Frage hat sich nie gestellt", meint die Kanzlerin und fügt dann hinzu: "Da wär’ ich auch mit klargekommen."

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