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Kinder, Kinder – doch wie bekommen die Eltern Beruf und Familie unter einen Hut? Foto: Oliver Berg/dpa

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Wie bekommt Deutschland mehr Kinder?: Perfekte Eltern gibt es nicht

In Deutschland werden zu wenig Kinder geboren - trotz Elterngelds und Kita-Ausbaus. Viele junge Menschen haben Angst, dem idealen Elternbild nicht zu genügen. Doch Fehler bei der Erziehung gehören dazu. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Für Kinder ist uns nichts zu teuer. Über 200 Milliarden Euro investiert Deutschland jährlich für das Wohl der Familie – in Kindergeld, Elterngeld, Erziehungsgeld, Kinderfreibeträge oder Bafög. So gut ging es Familien noch nie. Insgesamt 158 verschiedene Instrumente zählen Experten, ein dichtes Geflecht der Zuwendung und Hilfe. Aber alle Diskussionen über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Frauenförderung oder Babypause für Väter lassen die Geburtenrate nicht steigen, auch die bessere Versorgung mit kostenlosen Kitaplätzen oder Ganztagsschulen mit verlässlicher Betreuung ändert bisher nichts an der geringen Bereitschaft, Kinder zu bekommen.

Dass Frauen in Deutschland viel weniger Kinder bekommen als anderswo, erscheint dennoch paradox. Denn dafür ist nicht ein Hedonismus verantwortlich, bei der Kinder nur als störend für die Selbstverwirklichung gesehen werden. Im Gegenteil: Für die große Mehrheit der jungen Erwachsenen gehören Kinder zu den wichtigsten Lebenszielen, ergibt die Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsentwicklung, zu der 5000 Menschen im Alter zwischen 20 und 39 Jahren befragt wurden. Gute Eltern zu sein aber trauen sich viele Männer und Frauen trotz kräftiger Hilfe durch die Politik nicht zu – deshalb lassen sie es lieber.

Knapp die Hälfte der Eltern nimmt einen starken Druck der Gesellschaft wahr

Es sind gerade überhöhte Ansprüche an die Elternrolle sowie ein empfundener Druck, möglichst perfekt zu sein, die eine Elternschaft behindern, so der Befund. Der Perfektionsdruck führt sogar dazu, dass in gleichberechtigten Partnerschaften vor allem Frauen entgegen eigener Überzeugung in tradierte Rollen zurückfallen, um dem Elternbild zu genügen. Knapp die Hälfte der Eltern nimmt einen starken Druck der Gesellschaft wahr, sich für die Kinder aufzuopfern und sich komplett deren Bedürfnissen unterzuordnen.

Wer vor dem Zeugungsakt eine Kosten-Nutzen-Analyse anstellt, wird nie Kinder bekommen. Denn Kinder können das Leben der Eltern bereichern, ganz sicher aber machen sie das Leben anstrengender. Jedes familienpolitische Instrument, so sinnvoll es auch ist, hilft nicht bei der Frage, ob man sich vorstellen kann, Kinder zu bekommen. Auch materieller Wohlstand wie hierzulande erleichtert die Wahl offenkundig nicht. Sonst hätte in der Nachkriegszeit, als Deutschland in Trümmern lag und Familien nur das Nötigste hatten, niemand auf die Idee kommen dürfen, sich auch noch Kinder aufzuhalsen.

Heute herrscht eine Kultur der Bedenken, der Zweifel und Sorgen in Hinblick auf eine Elternschaft, sagen die Wissenschaftler. Wenn 80 Prozent der Eltern glauben, dass man bei der Erziehung zu viel falsch machen kann, und deswegen Kinderlos bleiben, läuft was falsch. Denn natürlich machen Eltern Fehler bei der Erziehung – so wie unsere Mütter und Väter früher ebenfalls Fehler gemacht haben. Diese Generation hat es freilich als normal empfunden, die heutigen Eltern machen daraus eine dramatische Selbstkasteiung.

Ja, es ist kein Akt rationaler Überlegung, überhaupt Kinder haben zu wollen. Es kommt nur auf eines an: Es zu wollen, ohne Rücksicht darauf, wie schwierig schon ohne Kind der Alltag ist, ohne Besinnen darauf, welche Last das Leben erst mit Kind wird. Durchwachte Nächte, fiebernde Kleinkinder, nervende Elternabende und ungewisse Chancen für einen Studienplatz für den Nachwuchs. Dazu braucht es Mut. Auch den Mut, zu scheitern am eigenen Anspruch, alles richtig zu machen. Je mehr der Staat aber die Rolle des vollversorgenden Ersatzerziehers übernimmt, um so geringer wird die Wagnisbereitschaft. Helikopter-Eltern, die unablässig über ihren Kindern schweben, damit bei denen bloß nichts schiefgeht, die schon eine Berufsperspektive planen, wenn das Kind noch gestillt wird, sind auch ein Reflex auf immer neue Familienhilfen, die den Perfektionsdruck erhöhen.

Wir benötigen nicht mehr Kindergeld

Die Politik hat sich auf die Verbesserung der strukturellen und materiellen Bedingungen konzentriert – was nicht falsch ist, aber die kulturelle Dimension und den Erwartungsdruck zu wenig berücksichtigt. Wir benötigen nicht mehr Kindergeld. Bedürfnisgerechter ist eine Ermutigung der jungen Erwachsenen. Die Gesellschaft muss anerkennen, dass es vor allem Werte sind, die Menschen dazu bringen, Kinder haben zu wollen, weil es einfach dazugehört, auch wenn die eigene Berufsperspektive nicht klar vorgezeichnet ist bis zum Renteneintritt. So wichtig die Akzeptanz für veränderte Familienbilder von Patchwork bis alleinerziehend ist, so sehr wurde darüber die traditionelle Familie zum rumpeligen Auslaufmodell. Wo mit „Herdprämie“ pauschal diffamiert wird, wenn Frauen sich für ein entschleunigtes Aufwachsen des Kinds entscheiden, wird eben auch die Selbstverständlichkeit ausgetrieben, eigenen Nachwuchs zu haben.

Sich keinen Stress machen, gelassen bleiben, und keine Angst vor Fehlern zu haben, darin sollte die Politik die jungen Eltern ermutigen. Noch gibt es wenige Vorschläge, der gehetzten Generation der 25- bis 40-Jährigen zu helfen in der „Rushhour des Lebens“, wenn sich die Belastungen durch Studienabschluss, erste Karriereschritte und Familienbildung gleichzeitig ballen. Den Druck auf die jungen Eltern zu verringern, ist ein richtiger Ansatz. Damit aus einem falschen Leitbild der perfekten Familie nicht ein Leidensbild wird.

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