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Das Kopftuch bleibt umstritten.

© imago/Mauersberger

Wie Deutschland Migration sieht: Fremdenhass gedeiht, wo es keine Fremden gibt

Freunde, Schule, Nachbarn, Job: Je mehr Kontakte es zu Migranten gibt, desto optimistischer sehen die Deutschen Migration. Frauen sind gelassener als Männer.

Seit inzwischen fast zehn Jahren erhebt der unabhängige "Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration" (SVR) Daten zur Stimmung im Land, was Einwanderung betrifft. Auch diesmal ist die ziemlich gut. Die Ergebnisse des aktuellen "Integrationsbarometers" bildeten einen, wie SVR-Vorsitzender Thomas Bauer es ausdrückte, „Kontrapunkt zum medialen Diskurs“: Die Mehrheit der Menschen in Deutschland äußert sich positiv über Eingewanderte und deren Nachkommen und ist auch weiter bereit, Flüchtlinge aufzunehmen – wobei sich gut die Hälfte der Menschen wünscht, dass weniger kommen. Quer über die Bevölkerungsgruppen sei die Stimmung in puncto Integration „stabil“, heißt es im Bericht.

Die Haltung zur Integration insgesamt ist noch immer deutlich positiv. Der vom SVR erhobene „Integrationsklimaindex“ liegt auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten bei mehr als 60 und dies für alle untersuchten Bevölkerungsgruppen, also autochthone Deutsche, (Spät-)Aussiedler, Türkeistämmige, EU-Bürgerinnen und Menschen aus der übrigen Welt. Dabei waren Menschen, die selbst einen Migrationshintergrund haben, erneut optimistischer (68,0 Punkte) als solche ohne (63,8). Die Zahlen sind zwar seit dem Jahr 2015 etwas gesunken – damals kamen etwa 900.000 Menschen ins Land – aber „deutlich weniger, als die öffentliche Debatte erwarten ließ“, wie es im Bericht des SVR heißt. Der 2015 erhobene Index verzeichnete 65,4 und 69 Punkte.

EU-Bürger sind skeptisch, Türkeistämmige werden optimistischer

Im aktuellen Bericht bestätigt sich ein Ergebnis der letzten Untersuchung: Wer viel Kontakt mit Menschen mit Migrationshintergrund hat, beurteilt auch die Lage der Integration im Land positiver. Daneben werde diese Haltung vom Bildungsniveau der Befragten beeinflusst und ob sie selbst Diskriminierung erlebt haben. Sowohl Menschen aus migrantischen Familien wie auch Alteingesessene sind optimistischer, je mehr Kontakt sie mit kultureller Vielfalt durch Freundschaften, am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft haben und je höher ihre Bildung ist. Und mangelnder Kontakt macht offenbar auch pessimistischer: "Dass die Befragten ohne Migrationshintergrund das Integrationsgeschehen 2017/18 etws schlechter beurteilen als 2015, lässt sich auf zwei Gruppen zurückführen: Ostdeutsche und männliche Befragte." Nicht im Bericht, aber bekannt: Der Migrantenanteil im Osten ist niedrig, und Frauen (siehe unten) stellen das Gros der Engagierten in der freiwilligen Flüchtlingshilfe.

Ausgerechnet der Integrationsoptimismus von europäischen Bewohnern Deutschlands, deren mindestens rechtliche Bedingungen die günstigsten sind, ist seit der letzten Untersuchung vor zwei Jahren gesunken und zwar auf allen Feldern, sei es Nachbarschaft (minus 2), soziale Beziehungen (-2,3) oder Integration in der Bildung (-2,7). Die Arbeitsmarktlage sehen sie sogar um 2,9 Punkte schlechter als seinerzeit. Optimistischer sind dagegen Aussiedler und Türkeistämmige. Menschen mit türkischer Familiengeschichte legten mit plus 2,5 Punkten am stärksten zu.

Alle in Sorge um die Schulen

Wie schon in den früheren Befragungen des SVR sehen alle Befragten die Aussichten von Schule in einer Einwanderungsgesellschaft kritisch. Während sie deren soziale Beziehungen - Arbeit, Nachbarschaft, Freundeskreis – mehrheitlich positiv sehen und sogar eine Mehrheit in allen Gruppen Flüchtlinge als kulturelle wie wirtschaftliche Bereicherung für Deutschland ansieht, sieht das für Bildung anders aus: Da meint „rund die Hälfte der Befragten mit und ohne Migrationshintergrund nach wie vor, dass kulturelle Vielfalt die Lernleistung der Schülerinnen und Schüler beeinträchtigt“, schreiben die Autorinnen und Autoren des Berichts.

Dazu passen auch die Ergebnisse der Befragung zum Zankapfel Kopftuch: So sind ohnehin nur etwas mehr als ein Viertel (27,5 Prozent) der Menschen ohne Migrationshintergrund dafür, dass Musliminnen das Tragen eines Kopftuchs bei der Arbeit in einer Behörde erlaubt werden sollte. Noch deutlich weniger aber wollen das Kopftuch an Schulen sehen, lediglich 21,8 Prozent.

Spannend auch, wie unterschiedlich alte und neue Einwanderer gesehen werden. „Die letzten beißen die Hunde“ resümiert das Integrationsbarometer des SVR etwas flapsig das Ergebnis zu diesem Punkt. Es bestätigt nach Ansicht der Fachleute ein „konstantes Muster“. Sie fragten, wie Alte und Neue sich auf Kriminalität und die Wirtschaft Deutschlands ausgewirkt und wie sie das Land kulturell geprägt hätten. Dabei bekommen die Alt-Einwanderer, also die länger etablierten, regelmäßig die besseren Noten. Das sei ein „allgemeingültiger Mechanismus“ der Wahrnehmung von Migranten, heißt es in der Studie: „Anfängliche Befürchtungen werden schrittweise abgebaut, alles Neue und Unbekannte verliert mit der Zeit seinen Schrecken.“

"Der gewalttätige Einwanderer ist eine Angstfigur der Medien"

Ein interessantes Einzelergebnis gibt es dabei zum Thema Kriminalität: Dass sie durch Flüchtlinge zugenommen habe, meinen fast 70 Prozent der Aussiedler, die übrigen Gruppen sind in der Frage gespalten. Was allerdings Migration insgesamt angeht, ist man sich einig: „Über alle Herkunftsgruppen hinweg meinen etwa sieben von zehn Befragten, dass die Kriminalität durch die Zuwanderung nicht gestiegen sei.“

Die Angst vor Kriminalität scheint ohnehin wenig der Realität zu tun zu haben. Die Zahl der Straftaten ging 2017 so stark zurück wie seit 20 Jahren nicht mehr. Der Hamburger Medienforscher Thomas Hestermann gab den Medien die Schuld daran, dass die Angst dennoch größer werde. Sie hätten „den gewalttätigen Einwanderer als Angstfigur neu entdeckt“. So gebe es heute viermal mehr Fernsehberichte über kriminelle Zuwanderer als noch vor vier Jahren, dabei gebe es nur ein Drittel mehr nichtdeutsche Tatverdächtige. Gleichzeitig sei die Zahl der Berichte über ausländische Gewaltopfer um die Hälfte geschrumpft, obwohl die Kriminalstatistik zeige, dass sie vermehr Opfer von Gewalt würden.

Widmann-Mauz: Geschlechtermischung überall, auch in der Integrationspolitik

Das SVR-Team verzeichnet zudem eine westdeutsche Geschlechterlücke im Blick auf Integration: Männer im Westen sehen sie pessimistischer als die Frauen dort. Während der männliche Integrationsindex nur 61 Punkte erreicht, liegen die Westfrauen bei 67 – Bildungsunterschiede etwa als Grund schließt der SVR aus, der Unterschied hält sich außerdem für alle Felder, Bildung, Freunde, Arbeitsplatz. SVR-Ratsmitglied Claudia Diehl verwies als möglichen Grund auf die allgemein größeren Sozialkontakte von Frauen, die ja offenbar zum Abbau von Ängsten und Vorurteilen beitragen. Ob es da nicht ein Problem sei, dass die für Migration hauptverantwortlichen Innenminister sämtlich Männern seien, fragte eine Journalistin während der Vorstellung der Studie. Die diplomatische Antwort der anwesenden Annette Widmann-Mauz, die nicht nur Staatsministerin für Integration ist, sondern auch Chefin der CDU-Frauenunion: „Ich bin überall für gemischte Teams. Das Feld der Integration ist da keine Ausnahme.“

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