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Politik: Wie dick dürfen wir noch werden, Frau Schmidt?

Die Gesundheitsministerin will Menschen belohnen, die gesund leben

Frau Schmidt, wie geht es Ihnen?

Prima.

Obwohl Ihnen der Kanzler am Donnerstagabend befohlen hat, mit der Gesundheitsreform schneller voranzumachen und den Gesundheitsexperten Bert Rürup mit seiner Kommission einzubeziehen?

Sie sind falsch informiert. Befohlen wurde gar nichts. Nach dem von Ihnen erwähnten Gespräch geht es mir übrigens noch besser.

Sie sind nicht entmachtet worden?

Nein. Das ist eine blödsinnige Unterstellung. Wir haben uns über die Punkte unterhalten, die ich jetzt angehen möchte. Da herrscht Einvernehmen. Dass, was ich in der Gesundheitspolitik mache, ist immer sehr eng mit dem Kanzler abgestimmt gewesen. Da gibt es keine Differenzen. Es geht jetzt darum, einen konkreten Weg zu finden, die einzelnen Stufen der Gesundheitsreform für 2003 festzulegen und zu verzahnen. Da sind wir selbstverständlich im Gespräch mit unserer Expertenkommission. Es gilt: Zuerst muss man die Strukturen in Ordnung bringen, dann die künftige finanzielle Basis klären.

Bisher sehen wir nicht einmal allgemeine Reformschritte. Haben wir etwas verpasst?

Das scheint tatsächlich der Fall zu sein. 2003 ist das Jahr der großen Reformen in den Sozialsystemen. Einiges ist schon auf den Weg gebracht: die Neuordnung des Risikostrukturausgleichs, der Aufbau einer integrierten Versorgung als Regelversorgung, Chronikerprogramme und Beitragssatzsicherung.

Aus dem Blickwinkel des Patienten hat sich bisher nichts verändert – außer, dass er mehr in die Krankenkasse einzahlen und demnächst beim Arzt länger warten muss.

Damit sagen Sie, die ChronikerProgramme würden Patienten nichts nutzen. Aber lassen wir das. Wir werden das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem erhalten. Wir sorgen dafür, dass alle die notwendigen medizinischen Leistungen bekommen.

Aber das Strategiepapier aus dem Kanzleramt, das die Linie für die nächsten Jahre bestimmt, das war nicht mit Ihnen abgestimmt.

Die Linie in der Gesundheitspolitik bestimmt die Gesundheitsministerin. Das von Ihnen erwähnte Papier muss nicht mir mir abgestimmt werden. Auch in meinem Hause werden jede Menge Referentenpapiere ohne ständige Rundum-Abstimmung erstellt.

Wie gehen Sie mit dem Misstrauen um?

Ich stehe unter Dauerstress, was die öffentliche Debatte angeht. Aber nicht im Kabinett, nicht beim Kanzler und nicht in der Koalition. Das Gesundheitssystem ist sehr kompliziert. Manches, was auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, ist nicht mehr machbar, wenn man in die Tiefe geht. Die Frage ist: Bleiben wir im solidarischen System? Soll auch morgen noch jeder das medizinisch Notwendige und Angemessene erhalten, unabhängig von seinem Geldbeutel? Welche Reformen müssen wir angehen, damit dieses System, das ich gut finde, auch morgen bestehen kann?

Ja, und welche?

In wenigen Tagen kommt mein Gesamtkonzept. Und ein Zeitplan, der die Reformschritte so setzt, dass wir vor der Sommerpause mit der parlamentarischen Beschlussfassung fertig sind. Wenn alles nach Plan läuft, können die Reformgesetze dann zum 1. Januar 2004 in Kraft treten.

Und wie soll das mit der Rürup-Kommission abgestimmt werden?

Mir liegt an einer engen kommunikativen Verbindung zur Rürup-Kommission. Die Kommission soll noch mit aufnehmen, was meine Strukturreform auf den Weg bringt. Es gibt ohnehin eine enge personelle Verzahnung. Dadurch, dass Mitglieder der Kommission auch in meinem Haus an der aktuellen Gesundheitsreform mitarbeiten.

Täuscht der Eindruck, dass das die Mitglieder der Kommission sind, die entschieden etwas anderes wollen als der Vorsitzende Rürup?

Wer für was in der Kommission steht, das wird sich zeigen. Alle Mitglieder der Kommission wollen gute Ergebnisse. Und die will ich auch.

Welchen Beitrag soll die Rürup-Kommission zur Gesundheitsreform leisten?

Rürup soll herausfinden, wie der Faktor Arbeit entlastet werden kann. Steigende Sozialversicherungsbeiträge erschweren, dass neue Beschäftigung entsteht.

Können die Beiträge zur Krankenversicherung überhaupt sinken?

Natürlich können und sollen die sinken. Langfristig darf man sich keine Illusion machen: Eine sehr gute Gesundheitsversorgung wird für immer weniger Geld nicht zu haben sein. Die Menschen, die wirklich krank sind, wollen aus gutem Grund vom medizinischen Fortschritt profitieren. Und der kostet. Mittelfristig können wir aber über Reformen Beitragssenkungen erreichen.

Nennen Sie doch mal eine Hausnummer, um wie viel die Beiträge sinken können.

Nicht ums Verplatzen werde ich das tun.

Noch keiner ihrer Vorgänger hat den Kampf gegen die mächtigen Lobbyisten gewonnen. Warum sollte Ihnen das gelingen?

Weil ich mir das zutraue! Bei allem Geschrei der Funktionäre erfahre ich auch eine ganze Menge an Unterstützung. Es gibt Ärztinnen und Ärzte, die den Reformweg mitgehen wollen. Ich mache mir aber keine Illusionen. Notfalls verbünden sich die verschiedenen Lobbyisten mit einem gemeinsamen Ziel: Mehr Geld ist für uns alle gut.

Was sind die Argumente dagegen?

Die Interessen der Patientinnen und Patienten, der Versicherten. Die vertrete ich. Und da dürfen sich die Funktionäre keine Hoffnungen machen: Ich fühle mich stark. Ich packe das jetzt an.

Halten Sie den Konflikt mit den Ärzten auch dann durch, wenn Patienten bald keine Termine mehr bekommen?

Unterschätzen Sie die Patienten nicht! Die Funktionäre der Kassenärzte schüren das Feuer – und das völlig zu Unrecht. Mit der Nullrunde bei den Honoraren bekommen sie ja schließlich nicht weniger Geld. Das rechtfertigt keinen Streik. In Wahrheit geht es um etwas anderes. Die Ärztefunktionäre protestieren, weil wir die Strukturen im Gesundheitswesen verändern wollen.

Müssen die Kassenärzte für ihre Boykotthaltung jetzt büßen?

Ich will Ärzte verpflichten, sich regelmäßig fortzubilden und zu qualifizieren. Sonst bekommen sie ihre Kassenzulassung nicht verlängert. Bei ihrer Arbeit geht es schließlich um Menschen. Wenn jemand sich nicht fortbilden will, muss das Konsequenzen haben. Der hat eine Kassenzulassung nicht verdient.

Bereuen Sie es, dass Sie zwei Jahre mit den Ärzten verkuschelt haben?

Nichts gegen Kuscheln. Aber in diesem Punkt haben Sie Unrecht. Wer ein Amt übernimmt, muss mit allen ins Gespräch kommen. Das gehört sich so.

Funktioniert Gesundheitspolitik im Konsens oder nur im Konflikt?

Da gibt es keine Formel. Man muss sich im Konflikt durchsetzen. Trotzdem sollte man sich bemühen, einen möglichst breiten Konsens zu finden. Und man sollte nicht sofort an Verschwörung denken. Manchmal reicht als Erklärung Geldgier oder Dummheit.

Bei der Rente scheint es einen Konsens nicht zu geben. Brauchen wir nun eine Reform, die vor 2015 greift oder nicht?

Professor Rürup hat immer gesagt, bis mindestens 2010 ist die Reform-Frage in der Rente geklärt. Was dann geschieht, wird in der Rürup-Kommission erörtet.

Und wenn die Rentenversicherung in diesem Jahr mit dem Geld wieder nicht auskommt?

Wollen Sie ins Gesetz eingreifen und den Rentnern Geld wegnehmen?

Soll die Rürup-Kommission etwa empfehlen, dass die Rentenversicherungsbeiträge einfach um ein paar Prozentpunkte mehr steigen?

Ich bin optimistisch, dass wir in diesem Jahr Arbeitsplätze schaffen und einen Aufschwung bekommen. Dann verringern sich die Probleme der Rentenversicherung.

Und wenn nicht?

Wenn die Politik nur mit dem Schlimmsten rechnet, geht das nicht gut. Die 19,5 Prozent Beitragssatz wollen wir halten.

Und wenn die Konjunktur nicht anspringt?

Die Bundesregierung reagiert schnell. Wenn Sie unsere Reaktionsgeschwindigkeit mit dem Schneckentempo der neunziger Jahre vergleichen, werden Sie das selber sehen. Wir werden alles tun, um die Situation beherrschbar zu halten. Wir wissen, dass die 19,5 Prozent knapp berechnet sind. Wir versuchen ja, den Motor in Gang zu bringen.

Würden Sie zur Not in diesem Jahr die Rentenerhöhung doch noch opfern?

Nein.

Für Ihre Reformen brauchen Sie Unterstützung, auch im Bundesrat. Werden Sie mit der Union auch über Selbstbehalte bei den Krankenkassen diskutieren?

Selbstbehalte sind im solidarischen System kein gangbarer Weg. Das Solidarprinzip bedeutet: Jeder wird von der Kasse zum gleichen Beitrag genommen, unabhängig vom individuellen Risiko. Vielleicht finden wir mit der Union einen gemeinsamen Weg bei den Anreiz- und Bonussystemen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir werden die Kassen gesetzlich verpflichten, ein Hausarztmodell einzuführen. Der Hausarzt soll in Zukunft der Lotse im Gesundheitswesen sein, der die Fäden zusammenhält.

Wer sich als Patient verpflichtet, zuerst den Hausarzt aufzusuchen, zahlt weniger Krankenkassenbeiträge?

Das wäre fatal. Das entzieht dem System Geld. Wer beim Hausarztmodell mitmacht, vermeidet unnötige Doppeluntersuchungen und überflüssige Facharztbesuche. Das Geld im Gesundheitssystem wird sparsamer eingesetzt. Davon profitieren letztlich alle: über stabile oder hoffentlich sinkende Beiträge.

Aber der Einzelne soll doch auch etwas davon haben, oder?

Natürlich. Wer an einem Hausarztmodell teilnimmt, soll nach meinen Vorstellungen von Zuzahlungen ganz oder teilweise befreit werden. Wir wollen sowieso den Gesamtbereich der Zuzahlungen neu regeln mit dem Ziel, gesundheitsfördernde Anreize zu setzen. Wer nicht mitmacht, muss eben bei den Medikamenten normal zuzahlen.

Auch die Barmer will gesundes Leben fördern.

Die Krankenkasse entwickelt gerade ein Modell: Wer starker Raucher ist und an einem Therapieprogramm teilnimmt, soll einen Bonus erhalten. Oder wer stark übergewichtig ist und ein Ernährungsprogramm macht.

Bekommen wir auch einen Rabatt, wenn wir schon immer gesund gelebt haben?

Die Barmer will denen Anreize bieten, die ihr ungesundes Leben aufgeben wollen.

Müssen wir dann etwa mit dem Rauchen anfangen und zwanzig Kilo zunehmen, damit wir einen Rabatt bekommen?

Das ist egoistisch gedacht. Heute bezahlen alle Versicherten mit, dass manche ungesund leben. Wenn die Ungesunden gesund leben, verringern sich die Kosten insgesamt. Und weil wir viel Geld für Unnützes ausgeben, steigen die Beiträge immer weiter.

Aber ist das gerecht, wenn nur Versicherte Rabatte erhalten, die ungesund gelebt haben?

Der alte Trick: die individuelle Gerechtigkeit gegen das gemeinsame Anliegen. Wenn das so einfach wäre! Es darf nicht sein, dass alle den Rabatt für denjenigen bezahlen müssen, der sich plötzlich gesundheitsbewusst verhält. Deshalb will ich nur Bonusmodelle, die für beide einen Vorteil bringen: für die Gesunden und für die Kranken. Ich möchte, dass wir uns mehr Gedanken darüber machen, wie man gesund lebt.

Frau Ministerin, Sie müssten Vorbild für die Versicherten sein. Was tun Sie denn für Ihre eigene Gesundheit?

Ich esse viel Obst – fünfmal am Tag. Ich schaue, dass ich genug Gemüse esse und viel Wasser trinke. Außerdem treibe ich so oft wie möglich Sport.

Und welches ungesunde Laster werden Sie nicht los?

(Lacht) Schokolade.

Wird es dafür in Zukunft einen Straftarif bei den Krankenkassen geben?

Nö. Strafen – das ist das falsche Prinzip. Wir müssen Anreize bieten, damit die Menschen ihre Verhaltensweisen ändern.

Das Interview führten Cordula Eubel, Lutz Haverkamp und Ursula Weidenfeld.

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