zum Hauptinhalt

Politik: Wie ein Grüppchen Beamter in Armagh den Nordirland-Vertrag mit Leben füllt

Die Schreibunterlage des Beamten zeigt blaue Rechtecke, die mit Linien zu einem Organigramm verbunden sind. Hier werden Hierarchien abgesteckt.

Die Schreibunterlage des Beamten zeigt blaue Rechtecke, die mit Linien zu einem Organigramm verbunden sind. Hier werden Hierarchien abgesteckt. Aus dem Fenster des Tiefparterres kann man in einen schuttübersäten Innenhof sehen, die Fenster des gegenüberliegenden Gebäudeflügels starren blind in die Landschaft, denn bis dorthin ist die Renovierung noch nicht vorgedrungen. Das kleine Büro zittert im Baulärm. Zehn Beamte - fünf nordirische und fünf irische - haben sich unter dem alten Bezirkskrankenhaus von Armagh eingenistet. Kein Büroschild verrät ihre Existenz - aus der bislang unbegründeten Angst vor lärmigen Protesten heraus.

Erst gestern, bekennt der Beamte, der anonym bleiben will, sei das Schutzgitter am Fenster montiert worden. Vorher hätte jeder einsteigen können, und der nächste Nachbar ist doch die Jugendherberge. Wir sind im Sekretariat der so genannten Nord-Süd-Behörden, ein bemühter Ausdruck, um das Wörtchen "gesamtirisch" zu umgehen, das für manche nach schleichender irischer Wiedervereinigung riecht. Gleich neben dem Krankenhausbau aus rotem Bruchstein erhebt sich die protestantische Kathedrale von Armagh. Sie schaut übers Tal hinweg auf ihre katholische Schwester, ein mächtiges Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, selbstbewusstes Zeugnis der katholischen Emanzipation. Sowohl der anglikanische wie auch der katholische Primas der ganzen Insel Irland residieren in Armagh, beide Kathedralen sind dem Heiligen Patrick geweiht. Hier also überschneiden sich die beiden Hoheitsgebiete, hier will man die Zusammenarbeit auf der geteilten Insel proben.

Die beiden Beamtengruppen arbeiten getrennt, aber Hand in Hand. Es kommt schon mal vor, dass die eine Seite für beide tippt, und das Fernziel besteht darin, dass die Minister in Dublin und Belfast dieselben Memoranden erhalten, separat, aber einvernehmlich ausgearbeitet. Treffpunkt ist die so genannte Krypta, ein schmales, fensterloses Gewölbe, das die wichtigsten Utensilien enthält: den gemeinsamen Teekocher und den Fotokopierer.

Die nordirischen Beamten verraten durch nichts, dass sie sich auf ein Abenteuer eingelassen haben: Business as usual eben. Dabei ist der Versuch, das britische Nordirland mit der unabhängigen Republik zu verknüpfen, schon zweimal gescheitert - 1920 und 1974. Die panische Angst der nordirischen Protestanten, geschluckt zu werden, verhinderte eine Zusammenarbeit.

Das Dilemma ist diesmal sogar innerhalb der nordirischen Verwaltung verankert. Denn das Sekretariat ist dem Doppelministerium des unionistischen Chefministers David Trimble und seines nationalistischen Stellvertreters Seamus Mallon unterstellt. Die Beamten dienen zwei Herren, denn Trimble wolle keine überstürzten Schritte, während Mallon den raschen Ausbau der Kooperation fordere. Da müsse man schon den konkreten Nutzen einer geplanten Maßnahme nachweisen, zum Beispiel die Entrümpelung des Ulster-Kanals für Ferienboote. Typischerweise wählen die Beamten ihr Beispiel aus der einzigen der sechs gemeinsamen Behörden, die wirklich Ämter in beiden Inselteilen ersetzt. Sie soll sich künftig um die Binnengewässer kümmern. Alle andern bringen bloß Konsultation, Informationsaustausch, Abgleichung.

"Telegramm aus Ankara": Gleich mehrfach taucht diese kryptische Anspielung in den Ausführungen der nordirischen Gewährsleute auf. Es geht, so stellt sich allmählich heraus, um die irischen Kollegen nebenan. Die kommen nämlich allesamt aus dem irischen Außenministerium. "Die haben eine globale Perspektive", heißt es mit einem Anflug von Minderwertigkeitsgefühl. Sie verfügen oftmals über Erfahrungen aus Brüssel, wo die grenzüberschreitende Zusammenarbeit täglich praktiziert wird. Und einmal muss sich eben eine Meldung aus der Türkei nach Armagh verirrt haben, was die nordirischen Kollegen zu faszinieren scheint. Trotzdem sehen sie sich in gewissem Sinne als Bremser, denn die schlauen Iren wollen natürlich auch einen zügigen Ausbau der Beziehungen, nicht zuletzt, weil die Sinn-Féin-Partei ihren eigenen Anhängern das gesamtirische Element als vitalen Bestandteil des ganzen Friedensplanes verkauft hat.

Das Telegramm wird ohnehin bald obsolet. Denn es reift ein kühner Plan: In Armagh sollen die geschützten internen Telefonsysteme der beiden Verwaltungen verbunden werden. Die Nordiren sind schon an ihr eigenes Netz angeschlossen, die Iren erhalten bald ihre eigene Standleitung, quer über nordirisches Territorium. Die Verknüpfung der beiden Netze erlaubt dann dem irischen Justizbeamten, der im südwestlichen Killarney über seinen Papieren brütet, den Kollegen im nordirischen Finanzamt in Bangor intern anzurufen. Die Insel wird zur Verwaltungseinheit.

Draußen braut sich bereits die nächste Krise zusammen, Nordirlands Zeitungen sind voll von düsteren Orakeln, dass die frisch gebackene Koalitionsregierung schon Mitte Februar wieder aufgelöst oder eingefroren wird. Einmal mehr geht es um die Rückgabe unbenutzter Waffen. Aber in den Beamtenbüros ist von Hektik nichts zu spüren, das Provisorische beschränkt sich auf die Äußerlichkeiten. Früher, so erzählen die Beamten, war ein englischer oder schottischer Minister gleich für mehrere Ministerien zuständig und weilte bloß zwei oder drei Tage die Woche in Nordirland. Da hatten die Beamten freie Hand, sie waren ja auch die Einzigen, die sich in der verworrenen und verbitterten Lokaltopographie zurechtfanden. Jetzt aber gibt es fast doppelt so viele Ministerien, allesamt mit ihrem einheimischen Vorsteher, und die haben überdies noch ihre eigenen Berater von außerhalb der Beamtenschaft mitgebracht. Alles ist komplexer geworden; Politik besteht nicht mehr einfach darin, englische Politiker in die Pfanne zu hauen und unerfüllbare Forderungen zu stellen. Die Selbstverantwortung hat ihren Preis.

Martin Alioth

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false