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Wladimir Putin trägt seinen eigenen Leichnam: Eine Wandmalerei in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

© Nikolay Doychinov, AFP

Wie lässt sich eine Atommacht besiegen?: Das derzeit wahrscheinlichste Szenario für ein Ende des Ukraine-Krieges

Zur Wahrheit von Putins Angriffskrieg gehört: Ein diplomatisches Ende der Invasion wird schmutzig und schmerzhaft sein. Auch für den Westen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Solche Sätze sind jetzt oft zu hören: Der Tyrann muss gestoppt, möglichst gestürzt werden. Sollte er mit seinem Angriffs- und Eroberungskrieg gegen die Ukraine durchkommen, wird er weitermachen, immer weiter. Moldau, Georgien, das Baltikum. Wladimir Putin versteht nur die Sprache der Macht. Er reagiert auf Stärke und Entschlossenheit. Man muss ihm das Rückgrat brechen. Wenn der Krieg vorbei ist, wird er sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof für seine Verbrechen verantworten müssen.

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Russland ist eine Atommacht. Putin hat in Syrien bewiesen, dass er keine Skrupel hat, Chemiewaffen einzusetzen. Er hat Grosny und Aleppo in Schutt und Asche legen lassen. Man muss ihn beim Wort nehmen, sagen diejenigen, die schon seit langer Zeit vor ihm gewarnt hatten. Aber muss dann nicht auch seine Drohung mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen ernst genommen werden? Lässt sich eine Atommacht besiegen?

Vielleicht hat Putin bereits verloren. Sein Angriff auf die Ukraine war ein katastrophaler Fehler. Der Widerstand der Ukraine ist ungebrochen, die russische Armee hat sich blamiert. Eine länger andauernde Besatzung der Ukraine scheint aufgrund der Kräfteverhältnisse ausgeschlossen zu sein. Die Sanktionen treffen Russland hart. Der Westen ist geeint, Nato-Länder liefern Waffen. Viele erhöhen ihre Verteidigungsetats. Es ist schwer zu sehen, wie Putin diese Bilanz noch zu einem Sieg umdeuten will.

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Putin ist KGB-geschult, er wittert Intrigen

Doch wie soll der Krieg enden? Drei Szenarien sind möglich. Erstens könnte Putin entmachtet, gestürzt, umgebracht werden. Das Ausmaß an Zorn und Frust innerhalb Russlands, auch über die stalinistischen Unterdrückungsmethoden jeglicher Art von Opposition, sollte nicht unterschätzt werden.

Große Teile der Elite verlassen das Land. Innerhalb des Militärs und in Kreisen der Oligarchie könnte die Einsicht reifen, dass die inhumanen Eskapaden des Präsidenten untragbar geworden sind. Es ist ein mögliches, aber leider nicht sehr wahrscheinliches Szenario. Putin ist KGB-geschult, er wittert Intrigen. Bislang deutet nichts auf einen machtinternen Kontrollverlust hin.

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Zweitens könnte Russland militärisch den Krieg verlieren. Die Invasoren würden weiterhin massive Verluste verzeichnen, Soldaten desertieren. Am Ende würde der verbliebene Rest der Armee schmählich wieder abziehen. Auch das ist ein mögliches, aber leider nicht sehr wahrscheinliches Szenario.

Womöglich dreht er weiter an der Eskalationsschraube

Der ukrainische Widerstand ist in der Lage, eine Reihe von Angriffen abzuwehren, doch nicht stark genug, um besetztes Gelände in substanzieller Größenordnung zurückzuerobern. Außerdem dürfte Putin, in die Enge gedrängt, nicht etwa zur Besinnung kommen, sondern an der Eskalationsschraube drehen.

Das hat er in anderen Fällen bereits praktiziert. Ein Putin, der nichts mehr zu verlieren hat, sondern gezwungen werden soll, sich der Ukraine, unterstützt von Nato-Waffen, geschlagen zu geben, dürfte alles tun, um genau das zu verhindern.

Bleibt als drittes die Diplomatie. Mit Putin reden hat keinen Sinn, lautet der Einwand, er hält sich an keine Abmachung, bricht jeden Vertrag. Das stimmt. Bloß hält der russische Präsident die Zügel in der Hand. Es gibt keinen anderen, mit dem sich sinnvoll verhandeln ließe.

Fehlkalkulationen, die aus Verzweiflung resultieren

Zur traurigen Wahrheit gehört: Ein diplomatisches Ende dieses Krieges wird schmutzig und schmerzhaft sein. Womöglich werden Scharfmacher ein Weiterkämpfen um jeden Preis fordern oder sogar eine Intervention der Nato. Denn ein Putin, der sich schwer verkalkuliert hat, braucht ein Ergebnis, das er in Russland trotzdem als Erfolg verkaufen kann.

Das wiederum wird die ukrainische Regierung ihren Bürgern erklären müssen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass die vielen Opfer umsonst gewesen waren. Der Westen schließlich wird vor der Frage stehen, ob er nach einer Einigung zwischen Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin bereit ist, Sanktionen zu lockern, obwohl Putin im Amt bleibt.

In einer aktuellen Analyse der US-Zeitschrift „The Atlantic“ wird vor einer unheilvollen Dynamik gewarnt. Falls der Westen – ausgelöst durch eine Kombination aus Putins Barbarei, ukrainischen Erfolgen gegen die russische Armee und westlichem Optimismus bezüglich eines möglichen Sieges über Russland – seine Unterstützung für die Ukraine intensiviert, könnte das auf russischer Seite Fehlkalkulationen zur Folge haben, die aus Verzweiflung resultieren. „Je länger die Krise dauert, desto größer die Gefahr.“ Die weltpolitische Lage sei bedrohlicher als während der Kubakrise 1962.

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