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Politik: Wie lange halten Sie das durch, Herr Gysi?

Für einen Senatorenposten ist er eigentlich nicht geeignet: Gregor Gysi (53) hasst Akten, Aktenberge und natürlich auch Stasi-Akten. Im letzten Fall hat er eine ausgetüftelte Taktik entwickelt, um nicht allzu sehr in die Nähe dieser Akten zu rücken.

Für einen Senatorenposten ist er eigentlich nicht geeignet: Gregor Gysi (53) hasst Akten, Aktenberge und natürlich auch Stasi-Akten. Im letzten Fall hat er eine ausgetüftelte Taktik entwickelt, um nicht allzu sehr in die Nähe dieser Akten zu rücken. Manchmal verliert der Jurist ganz gern den Boden unter den Füßen. Vor ein paar Jahren machte er im Brandenburgischen den Pilotenschein. Und als sozialistischer Frontmann prescht er oft so schnell an seiner Partei vorbei, dass seine Genossen Schwierigkeiten haben, seinen intellektuellen Vorstößen hinterher zu kommen. Wenn er dann immer noch nicht verstanden wird, entfaltet sich Gysi erst richtig zu rhetorischer Größe. Mit der Umsetzung seiner Ideen hat er aber mitunter Schwierigkeiten. Bald wird der Senator und stellvertretende Bürgermeister Berlins in spe ausprobieren müssen, wie sich seine proklamierte Politik der sozialen Gerechtigkeit in der Regierungsverantwortung anfühlt. Das kann verdammt weh tun.

Herr Gysi, Sie haben unlängst gesagt, dass gebildete Menschen weniger zum Extremismus neigen. Besteht die PDS deshalb so nachdrücklich darauf, dass bei der Kultur nicht gespart wird?

Ein wichtiger Zweck von Politik ist ein Mehr an Kultur. Kultureinschränkung hat immer etwas Antizivilisatorisches. Kultur und Bildung sind das Feld, wo sich Chancengleichheit in einer Gesellschaft bestätigen muss. Berlins Stärken bei Wissenschaft und Kultur können sich allerdings nur dann als Stärken erweisen, wenn die Bildung funktioniert.

Ist es eine Illusion, mit Kultur die innere Einheit zu schaffen? In der Nachkriegszeit sind in Berlin zwei Kulturen entstanden.

Kultur spielt eine Rolle, aber Bildung spielt eine viel größere Rolle für die innere Einheit. Bei der Überwindung von zwei Teilgesellschaften spielt die Frage der Chancengleichheit, der Besetzung des Respekts gegenüber unterschiedlichen Biographien, auch des Respekts gegenüber unterschiedlichen Sichten auf die Geschichte der Stadt eine vielleicht sogar größere Rolle. Finden wir etwas, worauf sich Berliner aus Ost und West gleichermaßen verständigen können? Da komme ich wieder zu einem meiner Lieblingsthemen, nämlich die Klärung der Rolle Berlins als Hauptstadt in Deutschland.

Aber ist die Vereinigung nicht weiter fortgeschritten als viele geglaubt haben? Es gibt keine Barrikaden in West-Berlin, nur weil jetzt mit der PDS verhandelt wird ...

Oft ist die Bevölkerung weiter als die Politik. Die PDS hat sich in den letzten Jahren stärker im Westteil Berlins verankert. Und es gibt auch im Westteil eine andere Akzeptanz dafür, ein vornehmlich im Ostteil der Stadt erzieltes Wahlergebnis zu respektieren. Wenn die Menschen fast zur Hälfte PDS wählen, kann man das im elften Jahr nach der Wende nicht weiter ignorieren. Das Scheitern der Ampelkoalitionsverhandlungen hat dazu geführt, dass ein Bewusstsein da ist: Na gut, wenn das nicht geht, dann muss man eben was anderes versuchen.

Oder muss die PDS erst recht mit Ablehnung rechnen, weil sie von einer Ost-Berliner Sondererscheinung zum Berliner Machtfaktor geworden ist?

Das hängt davon ab, was diese Regierung leistet. Es kann sein, dass die Leute noch mehr die Nase voll von der PDS haben. Es kann aber auch sein, dass sie sagen, sie hätten sich getäuscht. Erst wenn es eine Selbstverständlichkeit ist, dass die PDS wie andere Parteien mal regiert, mal in der Opposition ist, dann haben wir Normalität. Die PDS muss nicht die nächsten 30 Jahre in der Landesregierung sein. Irgendwann wird die Frage der Regierungsbeteiligung eine Frage des Wahlergebnisses sein - und nicht eine historisch-politische Frage. Werden wir europäisch normal, gehört zum akzeptierten politischen Spektrum in Deutschland auch eine Kraft links von der Sozialdemokratie. Oder soll es wirklich dabei bleiben, dass das in Frankreich oder in Italien so ist, nur in Deutschland nicht?

Fürchten Sie die Selbstentzauberung der PDS durch eine Regierungsverantwortung in Berlin? Hier sind keine Wohltaten zu verteilen.

Richtig. Aber Wähler sind viel klüger als angenommen. Sie sitzen nicht da und sagen sich: Wenn jetzt die PDS mitregiert, wird mein Haus wahrscheinlich vergoldet. Die Wähler wissen, wie die Realitäten in Berlin sind. Jede Partei, die hier regiert, steht vor dem gleichen finanziellen Desaster.

Trotzdem drängt die PDS in den Senat.

Von Drängen kann keine Rede sein. Erst mal sind SPD, FDP und Grüne gescheitert. Wir hatten uns schon längst wieder auf die Oppositionsrolle eingestellt. Und wir werden auch Enttäuschungen provozieren. Das ist völlig klar. Wenn aber schmerzhafte Maßnahmen für gerecht gehalten werden, dann haben wir eine Chance. Und wenn wir durch das Tal der Tränen einigermaßen durch sind, den Haushalt konsolidiert bekommen, dann wird der Respekt in der Bevölkerung auch größer.

Wie wollen Sie Personalkosten sozial gerecht um zwei Milliarden Mark kürzen?

Die sozialste Gerechtigkeit besteht darin, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten und die natürliche Fluktuation zu nutzen. Man muss auch über Altersteilzeit nachdenken. Darüber müssen wir mit den Gewerkschaften sprechen. Zuallererst aber brauchen wir eine Aufgabenkritik: Wo kann Personal eingespart werden, ohne notwendige Dienstleistungen zu gefährden?

Diese Aufgabenkritik machen wir in Berlin seit bald zehn Jahren.

Trotzdem haben sich die Strukturen kaum verändert. Jetzt wollen wir erstmals vor allem Stellen in der Hauptverwaltung und im Vergleich dazu weniger in den Bezirken streichen. Das wirft Fragen auf. Wie sinnvoll ist eine zentrale Schulverwaltung, wie viele Beschäftigte braucht das Mega-Ressort Stadtentwicklung, Umwelt, Bauen, Verkehr, und was kann außerhalb der Behörde erledigt werden? Wir brauchen meines Erachtens Budgethoheit für die einzelnen Verwaltungen. Was glauben Sie, was das einspart, wenn zum Beispiel für die Ausarbeitung eines Vertrages ein Mensch in einer Senatsverwaltung zuständig ist, statt je einer in drei Senatsverwaltungen? Das verstehe ich unter Aufgabenkritik. Eines ist aber auch klar: Man darf nicht so einsparen, dass die Stadt ruiniert ist. Deswegen kann man nicht mit einem Knüller sparen, wo alle sagen, guck mal, mit der Hälfte klappt das auch. Das ist illusorisch. Dann ist die Stadt tot.

Knüller waren die Absage an den Großflughafen und an die Olympischen Spiele, also die Absage an Perspektiven, die der Stadt Attraktivität gegeben hätten.

Wir sind uns einig, dass Berlin einen internationalen Großflughafen benötigt. Ich kann nur nichts dafür, dass ein Planfeststellungsverfahren läuft, zu dem wir uns bekannt haben, das von den drei verantwortlichen Eignern so fehlerhaft gestaltet worden ist, dass wir in dieser Situation sind. Deswegen ist das Problem von der Politik auf die Justiz verlagert.

Soll man die Privatisierung stoppen?

Nein. Das Verfahren ist zu fortgeschritten. Ich bin übrigens auch kein Gegner von Olympia. Die Erfahrung der Berliner ist aber ein Fiasko beim letzten Versuch. Wir sind in einer Situation, wo alles reduziert wird, wo die Leute aufschreien, und wo es auch sozial ungerecht wird. Und dann bewerben wir uns für Olympia, obwohl wir nicht wissen, wer das bezahlt? Nein, eine Bewerbung muss zeitlich passen. Deshalb lehnen wir die Bewerbung für das Jahr 2012 ab. Ich will offenlassen, was 2016 ist.

Das Verfassungsgericht hat beim Unterrichtsfach LER einen Vergleichsvorschlag für Brandenburg gemacht. Auch in Berlin verlangt das Thema nach einer Lösung.

Jeder Schulabgänger sollte etwas mit den großen Weltreligionen anfangen können. Das ist eine Bildungsfrage. Ich will aber schulisch eine Unterrichtung über Religion und nicht zu einer bestimmten Religion. Ich fürchte eine gottlose Gesellschaft, obwohl ich nicht religiös bin. Eine gottlose Gesellschaft wäre heute eine wertelose Gesellschaft. Und das ist ein wirkliches Risiko. In unserer Gesellschaft stehen alle Werte, von denen wir meinen, dass sie außerhalb bestimmter religiös verankerter Werte liegen, auf sehr tönernen Füßen. Und der Kapitalismus ist nun auch nicht dazu angetan, dauerhafte moralische Werte zu vermitteln. Das tut mir Leid, das auch mal sagen zu müssen.

Sparen, sparen, sparen. Wo liegt eigentlich die Perspektive für die Stadt?

Es geht um die unbeantwortete Frage, was der Zweck einer Hauptstadt in einem sich europäisch integrierenden Deutschland ist.

Wir haben eine föderale Tradition.

Wenn wir doch mal eine föderale Tradition gehabt hätten! Wir haben einen Föderalismus, der viel zu häufig als Kleinstaaterei missverstanden wird. Föderalismus ist in einem europäisch sich integrierenden Deutschland ein großer Vorzug. Wir brauchen eine regionale Identitätsmöglichkeit, sonst ist Europa zu anonym. Viele Menschen bekämen Angst vor dem Verlust kultureller Identität und sozialer Sicherheit. Dann würden der Rechtsextremismus und die Revitalisierung des Nationalismus in ungeahnte Höhen schnellen.

Was soll eine Hauptstadt leisten?

Wir müssen die Stärken Berlins im Bereich Wissenschaft, Forschung und Kultur definieren und klären, welche Initialzündungen von hier ausgehen können. Was hat eine Region in Bayern, in Thüringen oder in Schleswig-Holstein von einer Hauptstadt? Oder haben die gar nichts davon? Wenn das so wäre, dann bekäme man die Finanzfragen nicht gelöst, weil dann eben Hauptstadtkultur und nicht Kulturhauptstadt herauskommen würde. Warum sollten dann die Passauer uns Kultur finanzieren?

Berlin war immer der Kostgänger des Bundes. Der Bund muss doch denken, jetzt wollen die schon wieder Geld von uns haben.

Deswegen brauchen wir eine gesellschaftliche Akzeptanz für die Hauptstadtidee. Da muss man einen Anfang machen. Ich schlage eine Hauptstadtkommission vor unter Leitung von Persönlichkeiten wie Hans-Jochen Vogel und Richard von Weizsäcker, mit Vertretern aus allen Bundesländern, die in einer öffentlich begleiteten Diskussion die Fragen der Aufgaben und der Finanzierung einer deutschen Hauptstadt aufwirft. Zusätzlich müssen wir in Verhandlungen mit dem Bund treten, weil in Berlin nationale Kulturschätze mit hohem Kostenaufwand verwaltet werden. Bundespolitiker müssen wissen, dass das Ding ja nicht aus Versehen Staatsoper heißt und eben nicht Stadtoper.

Sie reden wie der Regierende Bürgermeister. Stehlen Sie Klaus Wowereit die Show?

Ach, Quatsch. Sie schätzen mich falsch ein. Ich bin loyal. Ich weiß, was meine Rolle wäre: Ich bin der zweite und eben nicht der erste Mann.

Was heißt dann verhandeln auf gleicher Augenhöhe?

Es geht darum, dass der eine nicht dem anderen das Ergebnis diktiert. Wir sind kein kleiner Koalitionspartner wie FDP oder Grüne. Natürlich akzeptieren wir, dass die SPD stärker ist und sie den Regierenden Bürgermeister stellt.

Und die PDS stellt vier Senatoren.

Wir haben noch gar nichts gefordert.

Gleiche Augenhöhe: Der Senat hat acht Senatoren.

Der Senat besteht aus neun Mitgliedern. Sie können doch den Regierenden Bürgermeister als wichtigste Figur nicht vergessen. Ich rechne hier nicht mit acht, ich rechne natürlich, was bei einer Zahl von Neun bei dem unterschiedlichen Wahlergebnis zwischen den beiden Parteien uns zustünde. Über Personalfragen haben wir noch kein einziges Mal gesprochen. Das würde auch sofort die Verhandlungsatmosphäre vergiften.

Ist Rot-Rot in Berlin ein Probelauf für den Bund 2002?

SPD und PDS sind auf Bundesebene zurzeit nicht koalitionsfähig. Die politischen Widersprüche sind einfach zu groß. Und außerdem sind wir ja noch nicht mal im Traum bei fünf Prozent in den alten Bundesländern angelangt. Für 2002 ist Rot-Rot im Bund nicht real. Für 2006 sehe ich das anders.

Also ist Rot-Rot in Berlin eher ein Probelauf für die Ost-Länder?

Wenn die SPD in Berlin mit der Geschichte dieser Stadt, mit der Mauer, in der Lage ist, mit der PDS eine Koalition zu bilden, dann ist es für eine SPD in einem anderen neuen Bundesland viel leichter, diesen Weg zu beschreiten. Aber auch PDS und CDU stehen mittelfristig vor der Frage, ob sie es zulassen wollen, dass eine Partei entscheidet, wer in den neuen Bundesländern regiert, wenn es keine absolute Mehrheit gibt. Dadurch, dass sie sich gegenseitig für unberührbar erklären, kommt immer raus, dass die SPD das allein entscheidet. Das kann beiden Parteien auf Dauer nicht gefallen.

Die Frage nach dem Verbleib des SED-Vermögens kommt wieder hoch. Gefährdet das den rot-roten Senat?

Das ist völliger Unsinn. Wir haben 1995 einen Vergleich mit der Unabhängigen Kommission und der Treuhandanstalt geschlossen, in dem diese Fragen geregelt worden sind, auch die der Darlehensverträge. Die Kommission hat seit elf Jahren eine Million Mark ausgelobt für Hinweise auf weiteres SED-Vermögen. Glauben Sie, dass unter solchen Leuten, die davon wissen, nicht einer dabei ist, der sich die Million nicht abholte?

Herr Gysi[dass ge], Sie haben unlängst gesagt[dass ge]

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