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Politik: Wie lange reicht der Sauerstoff?

In den USA bereiten sich die Bürger auf einen möglichen Terrorangriff vor – und decken sich mit Material für Schutzräume ein

Es ist ein bizarres Bild. Einige hundert Wirtschaftsvertreter, adrett und teuer gekleidet, sitzen im Atrium eines Bürogebäudes, nur wenige Straßen vom Weißen Haus entfernt, vor einem leicht gestressten Polizisten. Der fragt in die Runde: „Wie viele von Ihnen wissen, wie man die Zentralheizung in Ihrem Unternehmen abstellt?" Nur drei Menschen heben die Hand. Nächste Frage: „In welche Richtung fliehen Sie im Falle einer Evakuierung?" Nächste Frage: „Wenn in Ihrer Nähe eine radioaktive Bombe gezündet wird, was ist dann besser – alle Fenster in einem Raum mit Plastikdecken zu verkleben, oder so schnell wie möglich in einen Keller oder U-Bahnhof zu gelangen?" Wie lautet die richtige Antwort im Falle eines biochemischen Terrorangriffs? Und zuletzt: Nach wie vielen Stunden geht einer vierköpfigen Familie, die sich in einem luftdicht abgeriegelten 16 Quadratmeter großen Zimmer verschanzt hat, der Sauerstoff aus?

Über all diese Probleme wird in diesen Tagen in Washington diskutiert. Die Stadt gilt, gemeinsam mit New York, als das attraktivste Ziel für Terroristen. Kapitol und Weißes Haus liegen in Sichtweite, dazwischen die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, ein paar Kilometer entfernt das Pentagon. Am Wochenende wurde der Terroralarm auf „orange" heraufgesetzt, das ist die zweithöchste Stufe. Rund um die amerikanische Hauptstadt wurden Luftabwehrraketen in Stellung gebracht. Am Dienstag schließlich folgte die Aufforderung an alle Bürger, sich vor biologischen, chemischen und radioaktiven Angriffen zu schützen. Nach dem 11. September, den Anthrax-Briefen und der Mordserie durch die geheimnisvollen Scharfschützen hieß es, die Furcht lasse sich nicht mehr steigern. Sie lässt sich steigern.

Offiziell hat die Regierung mehrere Vorsichtsmaßnahmen empfohlen. Die Familien sollen sich mit Plastikklebeband für Fenster und Türrahmen eindecken, mit Taschenlampen und Batterien, mobilen Heizgeräten und Transistorradios, einem Erste-Hilfe-Set sowie einem Lebensmittelvorrat, der für mindestens drei Tage reicht. Prompt schnellte die Nachfrage durch die „Emergency Shoppers" nach oben. Die Bau- und Supermärkte reagierten schnell. Erste Engpässe sind inzwischen überwunden.

Was bleibt, ist ein diffuses Gefühl der Angst. Polizisten mit Sprengstoff-Hunden durchstreifen die U-Bahnhöfe. Jede Tüte, die herumsteht, jeder verlassene Karton ist verdächtig. Am Mittwoch wurden mehrere zentrale Straßenzüge stundenlang wegen Terroralarms gesperrt. Alle Kantinengespräche drehen sich nur noch um ein Thema: Wie schütze ich mich am besten? Immer klarer jedoch wird, dass es auf diese Frage keine eindeutige Antwort gibt.

Für Experten hingegen hat die allgemeine Katastrophen-Vorbereitung einen ganz anderen positiven Effekt. Am gefährlichsten, sagen sie, sei im Falle eines Terror-Angriffs mit Massenvernichtungswaffen die Möglichkeit einer Massenpanik. Panik wird verursacht durch das Gefühl der Hilflosigkeit. „So lange Menschen glauben, handeln zu können, verfallen sie nicht so leicht in Panik", sagt einer von ihnen. Die abgedichteten Fenster mögen von geringem Nutzen sein, das Abdichten der Fenster jedoch, das hilft.

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