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Politik: Wie wäre es mit abschaffen? (Kommentar)

Die Pflegeversicherung ist am Ende. Es wäre redlich gewesen, wenn Gesundheitsministeren Andrea Fischer den Bürgern das mitgeteilt hätte, als sie Ende März fünfjähriges Jubiläum feierte: Die Pflegeversicherung habe die letzte große Lücke der sozialen Versorgung in Deutschland geschlossen, schwadronierte sie stattdessen.

Die Pflegeversicherung ist am Ende. Es wäre redlich gewesen, wenn Gesundheitsministeren Andrea Fischer den Bürgern das mitgeteilt hätte, als sie Ende März fünfjähriges Jubiläum feierte: Die Pflegeversicherung habe die letzte große Lücke der sozialen Versorgung in Deutschland geschlossen, schwadronierte sie stattdessen.

Als fünfte Säule des Sozialstaates gilt sie ihren Anhängern als Vollendung des Bismarckschen Sozialstaats. Jetzt bricht die Säule zusammen. 1999 rutschten die Pflegekassen erstmals in die roten Zahlen. Nicht erst seit den Meldungen der "Bild-Zeitung" ist bekannt: Das Defizit von 74 Millionen Mark im Jahr 1999 wird sich nach Schätzungen des Bundesversicherungsamtes in diesem Jahr bereits auf 1,4 Milliarden Mark erhöhen. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis die Rücklagen von derzeit rund zehn Milliarden Mark aufgezehrt sind.

Dass es so kommen wird, haben Mitte der neunziger Jahre alle gewusst (wenn auch nicht gesagt). Denn die Bevölkerung altert weiter; das allein vervielfacht die Zahl der Pflegefälle.

Hinzu kommen jene Mitnahmeeffekte, die allen Umlageversicherungen eigen sind: Wer einzahlt, will auch etwas zurück bekommen. Pauschale Eintrittspreise machen Appetit. Das ist am sonntäglichen Brunch-Buffet nicht anders als in der Pflegeversicherung.

Jetzt schon erhalten fast 1,9 Millionen Pflegebedürftige ambulant und stationär Unterstützung aus den Kassen. Damit nicht genug: Ministerin Fischer verspricht sogar, dass die Leistungen noch ausgeweitet werden sollen - und vertröstet zugleich, finanziell sei das alles kein Problem. Das ist nicht wahr. Sollte das System bleiben, führt an einer Erhöhung der Beitragssätze kein Weg vorbei. Oder war da vielleicht noch ein Rest aus den Zuflüssen der Ökosteuer, der in den Pflegetopf umgegossen werden könnte?

Das muss wie Hohn klingen für jene Bürger, die der Regierung glauben, sie strebe eine Reform der sozialen Sicherungssysteme an. Zugegeben: Die grüne Gesundheitsministerin hat die Pflegeversicherung geerbt. Dickköpfig, wie er sein kann, hatte CDU-Minister Norbert Blüm das Projekt gegen den Widerstand der meisten Experten durchgesetzt. Die FDP, schwach erinnern wir uns, war dagegen, aber nicht intensiv genug. Das hing damals mit dem Überlebenswillen einer kleinen Partei zusammen, der gerne zu Wankelmut tendiert.

Dabei hätte es damals die erste Chance gegeben, das Pflegerisiko zu privatisieren. Vorschläge zur Einführung einer - sogar obligatorischen - privaten Vorsorge gab es zuhauf. Doch Blüm schmetterte sie ab, weil er gerne als zweiter Bismarck in die Sozialgeschichte eingehen wollte.

Andrea Fischer hat solche historischen Ambitionen nicht. Deshalb sollte sie jetzt rasch die Wende einleiten. Viel zu lange stand das Gesundheitsministerium der neuen Regierung unter der Knute von Rudolf Dressler. Er wirkte wie der Anwalt Blüms mit dem etwas anderen Parteibuch. Doch die Ära Blüm-Dressler ist unwideruflich zu Ende. Wäre es nicht so, müsste man ernste Zweifel hegen gegenüber einem Programm größerer Eigenvorsorge, das alle Texte und Reden des Kanzlers und seines Kandidaten in Nordrhein-Westfalen durchzieht.

Das Reformprogramm der Regierung ist gespalten. Mutigen Visionen zur Sanierung von Haushalt und Steuern stehen Zauderlichkeiten bei den Sozialsystemen gegenüber. Bei der Pflegeversicherung gibt es nichts zu reformieren. Sonst verkrüppelt sie wie die Rentenversicherung. Die Pflegeversicherung ist jung genug, dass man sie wieder abschaffen kann. Die Ansprüche der Beitragszahler kann man bedienen wie in einem Konkursverfahren. Mehr würde später auch nicht heraus kommen. Niemand müsste fürchten, deswegen im Alter ohne Hilfe zu darben. Denn die private Versicherung ist die überzeugendere Vorsorge-Alternative.

Rainer Hank

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