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Nach den tödlichen Fußballkrawallen in Port Said kommt es seit zwei Tagen in mehreren ägyptischen Städten erneut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Gegnern des Militärrates.

© dpa

Wieder Tote in Ägypten: Demonstranten stürmen Regierungsgebäude in Kairo

Den zweiten Tag in Folge hat es in Ägypten Krawalle gegeben. In Kairo lieferten sich Demonstranten vor dem Innenministerium Straßenschlachten mit der Polizei. Revolutionäre Jugendgruppen riefen den "Freitag des Zorns" aus.

„Weg mit dem Militärrat – hängt den Feldmarschall auf“, skandierte die Menge und „Wir haben von einem Umbruch geträumt, sie aber haben uns zum Narren gehalten.“ Seit der blutigen Tragödie im Stadion von Port Said entladen sich in Ägypten Wut und Empörung gegen die Herrschaft des Militärrates und dessen Chef, Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi. Bereits den zweiten Tag lang versuchten am Freitag tausende aufgebrachter Protestierer, mit Gewalt zum dem durch Beton und Stacheldraht abgeriegelten Innenministerium in Kairo vorzudringen. Ein wütender Mob hat am Freitag ein Gebäude der Steuerbehörde in Kairo gestürmt. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen flogen Brandbomben. Die Eindringlinge hätten Möbel und Akten zerstört, hieß es. Gleichzeitig versammelten sich Zehntausende auf dem Tahrir-Platz, die in Sternmärschen aus allen Stadtteilen in das Zentrum gezogen waren.

„Das Ministerium könnt ihr schützen, warum dann nicht ein Fußballstadion“, schrie die Menge in der Mohamed Mahmoud Straße. Viele schwenken Fahnen der Ultra-Fanclubs von Ahly und Zamalek, den beiden Erstliga-Vereinen aus Kairo. „Diesmal werden wir nicht mehr zurückweichen“, schwor einer der Ahly-Ultras, die bekannt sind für ihre Härte im Straßenkampf mit der Polizei. Als ein Mannschaftstransporter aus Versehen in eine Seitenstraße voll mit Protestierern abbog, wurde der Wagen eine Dreiviertelstunde lang mit Steinen bombardiert, bis ihm schließlich andere Demonstranten mit einer Menschenkette halfen zu entkommen.

Nur während des Freitagsgebets hielten die Kämpfer kurz inne, dann gingen die Krawalle bis in den Abend unvermindert weiter. Vereinzelt waren Schüsse zu hören, schwarzer Rauch von brennenden Autoreifen waberte durch die Straßen. Die hinter Stacheldraht verbarrikadierte Sonderpolizei antwortete mit Salven von Tränengas. Mindestens ein Mann starb – ihn traf eine Kugel in die Brust. Bis zum Abend wurden allein in Kairo rund 1400 Menschen verletzt. Immer wieder brechen Demonstranten plötzlich zusammen und verfallen in schwere Krämpfe, ausgelöst durch das eingesetzte Tränengas. Andere haben gebrochene Arme oder Augenverletzungen durch die eingesetzten Gummigeschosse.

Auch in anderen Teilen Ägyptens kam es am Freitag zu Unruhen. In Suez gab es zwei Tote und über 200 Verletzte, als die Menge versuchte, eine zentrale Polizeistation zu stürmen und die Beamten das Feuer eröffneten. Zahlreiche Geschäfte wurden geplündert. In Port Said dagegen, wo sich am Mittwochabend das Drama mit 74 Toten und über tausend Verletzten abgespielt hatte, verliefen die Kundgebungen zunächst ohne Zwischenfälle.

In Suez waren am Donnerstagabend bei einem Polizeieinsatz gegen Demonstranten zwei Menschen erschossen worden. Streit gab es darüber, wer die tödlichen Schüsse abgab: Während Zeugen von heftiger Polizeigewalt berichteten, erklärten Sicherheitskräfte, das Feuer sei von Demonstranten eröffnet worden. Am Donnerstag waren nach jüngsten Angaben des ägyptischen Innenministeriums in Suez und Kairo insgesamt rund 1500 Menschen verletzt worden, bevor sich die Lage in der Nacht beruhigte.

Für das Wochenende haben revolutionäre Jugendgruppen unter dem Motto “Freitag des Zorns“ zu Massenprotesten gegen den regierenden Militärrat aufgerufen. Die Demonstranten werfen dem Militärrat vor, er wolle trotz gegenteiliger Versicherungen die Macht nicht an eine gewählte Regierung abgeben.

Unterdessen verteidigte Innenminister Mohamed Ibrahim, gegen den im neu gewählten Parlament einen Misstrauensantrag gestellt worden war, die Sicherheitskräfte von Port Said. Die Katastrophe im Stadion sei ausgelöst worden durch gegenseitige Provokationen der beiden Fan-Blöcke, sagte er. Schlachtenbummler aus Kairo hatten während des Spiels ein Transparent entfaltet mit der Aufschrift „Port Said ist eine Schrottstadt und hier gibt es keine echten Männer“. Dagegen zeigten Fernsehbilder nach dem Schlusspfiff, wie die Polizisten untätig in der Arena herumstanden, während um sie herum der rasende Mob aufeinander losging. Auch wurden die Ultras der Heimmannschaft vor dem Spiel nicht auf Messer und Knüppel durchsucht, obwohl sie im Vorfeld von einem „Tag der Abrechnung“ getönt hatten. Und so kursierten auch am Freitag immer neue Theorien über die Hintergründe der Tragödie. Manche der Protestierer auf dem Tahrirplatz sind überzeugt, das Ausland stecke dahinter, weil es die ägyptische Revolution zerstören wolle. Andere halten alte Kader des Mubarak-Regimes sowie den Militärrat für die Drahtzieher. Parlamentspräsident Saad Katatni von der Muslimbruderschaft dagegen nannte die Gewalt einfach nur „ein Werk des Teufels“.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) fordert von dem ägyptischen Militärrat Konsequenzen aus den blutigen Krawallen in Port Said. Westerwelle sagte am Freitag in München, er sei „bestürzt über die vielen Opfer“. Er fügte hinzu: „Wir rufen in aller Form Ägypten dazu auf, die Umstände und die Hintergründe dieser Welle von Gewalt aufzuklären und auch die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.“ Westerwelle mahnte zugleich, die Demokratisierung des Landes dürfe nicht infrage gestellt werden. Es sei „ganz entscheidend, dass der Fahrplan für die Übergabe der Verantwortung an zivile Stellen im vollem Umfange eingehalten wird“. Der Außenminister betonte, er sei „besorgt über die Entwicklungen, die mit dem heftigen Ausbruch von Gewalt in Ägypten einhergehen“. (mit dpa/dapd/AFP/rtr)

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