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Politik: Wir bauen auf den Frieden

Von Clemens Wergin

Als Israels erster Botschafter Asher Ben Natan 1965 nach Deutschland aufbrach, gab ihm Ministerpräsident David Ben Gurion ein Bibelzitat des Propheten Hesekiel mit auf den Weg: „Der Sohn soll nicht tragen die Schuld des Vaters, und der Vater soll nicht tragen die Schuld des Sohnes.“ Ein neues Deutschland sei entstanden, außerdem sei Israel so gefährdet, dass es auf jede Hilfe angewiesen sei: Aus dieser Überzeugung heraus hatte Ben Gurion schon 13 Jahre vorher das Wiedergutmachungsabkommen geschlossen.

40 Jahre deutschisraelische Beziehungen werden nun dieses Jahr gefeiert. Und wenn Bundespräsident Horst Köhler morgen vor der Knesset spricht, dann darf man doch ein wenig erstaunt darüber sein, welch feste Bindung aus den ersten zaghaften, skeptischen Annäherungen entstanden ist. Skepsis nicht nur in der israelischen Bevölkerung, die sich lange schwer tat, an ein neues Deutschland zu glauben. Skepsis auch auf der deutschen Seite, die peinlich lange gezögert hatte, Israels Angebot zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen anzunehmen. In einer einsamen Entscheidung hat sich Kanzler Ludwig Erhard über Befürchtungen hinweggesetzt, die arabischen Staaten könnten im Gegenzug die DDR anerkennen.

Die Beziehung hat sich für beide Seiten gelohnt. Für Israel, weil der isolierte Staat einen wichtigen und treuen Fürsprecher auf europäischem und internationalem Parkett gewann. Und für Deutschland, weil die Verbesserung der Beziehung zu Juden und zum jüdischen Staat so etwas wie das Entréebillet, war für die Wiederaufnahme in den Kreis der demokratischen Nationen. Auf eine stille, meist hinter den Kulissen wirkende Weise wurde Deutschland zum wichtigsten Verbündeten Israels nach den USA. Außerdem hat Deutschland in Joschka Fischer einen Außenminister, der idealtypisch steht für die Solidarität mit dem Staat, der aus der Asche des europäischen Judentums entstand.

Die offiziellen Beziehungen waren selten so gut wie heute, zumal, da der Friedensprozess wieder in Gang kommt. Dennoch sollte man nicht verschweigen, dass die letzten Jahre zu einer Entfremdung beider Gesellschaften geführt haben. Viele gerade jüngere Deutsche haben wenig Verständnis für die anhaltende Besetzung palästinensischer Gebiete und die Politik der harten Hand, mit der die Regierung Scharon den palästinensischen Terror versuchte einzudämmen. In Israel sind viele enttäuscht, dass das pazifistisch gestimmte Europa nicht sehen wollte, wie existenziell sich die Israelis von der Terror-Intifada bedroht fühlten. Dass in manchen linken Zirkeln in Europa der Staat Israel wieder in Frage gestellt wird, Holocaust hin oder her, ist den Israelis auch nicht entgangen. Amos Oz hat das in seinem autobiografischen Roman „Geschichten von Liebe und Finsternis“ so aufgespießt: Im Europa der 30er Jahre, aus dem seine Eltern flüchten mussten, seien die Wände mit hasserfüllten Wandparolen überzogen gewesen: „Juden geht zurück nach Palästina“. Heute stehe auf denselben Wänden: „Juden, haut ab aus Palästina“.

Das Einstehen für das Existenzrecht Israels wird Staatsräson und Grundlinie deutscher Außenpolitik bleiben. Ein Deutschland, das sich seiner historischen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk entledigte, würde auch von den Nachbarn in Europa wieder gefürchtet werden. Genauso ist aber abzusehen, dass die moralische und emotionale Bindungskraft der Geschichte abnehmen wird. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die deutsch-israelischen Beziehungen nicht nur auf die Vergangenheit gegründet bleiben. Tatsächlich gibt es sie ja, die Zukunft: Jugendaustausch genauso wie deutsche Freiwillige in Israel, Israelis, die in Deutschland arbeiten, dazu vielfältige Kontakte auch in den Zukunftsbranchen Informations- und Biotechnologie.

Eine gemeinsame Zukunft aufzubauen heißt nicht, auf Kritik zu verzichten. Aber ein wenig mehr Empathie dürfte schon sein mit dem Volk, das wir Deutsche einst aus Europa vertrieben haben. Zu einer Zeit, als die Juden, wie Oz schreibt, noch die einzigen Europäer in Europa waren.

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