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Politik: „Wir bekommen Geld, das nicht hilft“

Sachsens Ministerpräsident über den demografischen Wandel und falsche EU-Politik

Herr Milbradt, die auf Wachstum ausgerichtete EU-Politik passt nicht zu den Regionen, deren Bevölkerung schrumpft. Das schreiben Sie in einem Positionspapier europäischer Regionen, das Sie am Montag der Brüsseler Kommission übergeben. Was genau passt da nicht?

Die EU gibt Geld zur Förderung beispielsweise des Wohnungsbaus, aber wir in Sachsen reißen Wohnungen ab – weil sie leer stehen. Die Geburtenquote ist niedrig, die Abwanderung hoch. Und das ist eben nicht nur im Osten Deutschlands so, sondern in vielen anderen Regionen Europas. In der EU-Kommission aber geht es immer nur um Wachstum. So sind auch die Indikatoren für den Erfolg des Einsatzes von EU-Fördermitteln unbrauchbar für Regionen mit abnehmender Bevölkerung.

Wieso sind sie unbrauchbar?

Da wird zum Beispiel auf das absolute Wirtschaftswachstum geschaut, aber in einer schrumpfenden Region fällt das Wachstum entsprechend gering aus. Sinnvoller wäre es, auf das Wirtschaftswachstum pro Kopf der Bevölkerung zu schauen.

Sind sie einfach betrübt, dass Sie in Sachsen und den anderen schrumpfenden Regionen absehbar weniger Geld bekommen?

Es geht nicht darum, dass wir weniger Geld bekommen –, sondern dass wir Geld bekommen, das nicht hilft. Da wird in die Infrastruktur investiert, in Straßen und Flughäfen, in Schulen. Das erzeugt hohe Folgekosten. Rückbau von Infrastruktur kostet Geld, für das es keine Förderung gibt. Und bei schrumpfender Bevölkerung brauchen wir in manchen Regionen diese zusätzliche Infrastruktur gar nicht. Wer heute ein Schwimmbad baut, sollte daran denken, ob in fünfzehn Jahren noch jemand darin schwimmt. Es muss viel stärker in die Zukunft gedacht werden. Uns geht es darum, Fehlinvestitionen zu vermeiden. In Sachsen mussten wir in den vergangenen Jahren 800 Schulen schließen – wir brauchen stattdessen mehr Geld für die Gesundheitsversorgung, für Altersheime.

Also geht es doch auch ums Geld?

Man darf in schrumpfenden Regionen nicht einfach im gleichen Verhältnis zum Bevölkerungsrückgang die öffentlichen Dienstleistungen kürzen. Wird hier zu viel gestrichen, dann nimmt die Abwanderung zu. Und das ist dann ein Teufelskreis. Statt Rasenmäherpolitik brauchen wir zum Beispiel eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Krankenversorgung. Da können wir einiges lernen von den schon immer nur dünn besiedelten skandinavischen Ländern. Aber wir müssen uns darum kümmern, von alleine passiert nichts. Das Altern der Gesellschaft wird in Brüssel aber erst jetzt wirklich als zentrale Herausforderung erkannt.

Woran liegt das?

Seit der EU-Erweiterung nach Osten wächst die Zahl der Regionen, die ähnliche Probleme haben wie Sachsen. In den Ländern des Baltikums gibt es eben auch eine starke Abwanderung. Deshalb wird jetzt erkannt, dass das kein ostdeutscher Sonderfall ist. In Westeuropa hingegen, dem alten EU-Kern, stellen sich ganz andere Fragen. Hier geht es eher darum, Zuwanderer zu integrieren, was andere Probleme aufwirft.

Ist Europa demografisch gespalten?

Die Regionen im Osten Deutschlands und Europas sind nur die Pioniere bei Alterung und Rückgang der Bevölkerung. Es ist eine Frage der Zeit, bis auch die übrigen EU-Länder vom demografischen Wandel erfasst werden. Darauf müssen wir uns alle gemeinsam einstellen – und zwar rechtzeitig. Also jetzt.

Wie kommt es, dass Sachsen nun bei diesem Vorstoß in Brüssel für die verschiedenen Regionen spricht, von Nordwest-England bis zum tschechischen Liberec?

Wir haben die anderen Regionen einfach gefragt, ob sie mitmachen. Manche versuchen leider, ihren Bevölkerungsrückgang zu verleugnen. Es ist ihnen unangenehm. Leugnen aber hilft nichts. Wir in Sachsen gehen offensiv mit dem Problem um. Nur so kann man den Wandel positiv gestalten.

Sie als Ministerpräsident machen sich in der Union auch persönlich für eine modernere Familienpolitik stark. Beim Familiensplitting etwa wollen sie im Parteiprogramm die Förderung von Familien mit Kindern nach vorne stellen. Geht es Ihnen auch dabei um die Demografie?

Ja. Aber wenn es tatsächlich gelingt, dass wir durch eine an Kindern ausgerichtete Politik höhere Geburtenzahlen bekommen, dann wirkt das erst langfristig. Kurzfristig müssen wir bei der EU-Politik etwas tun.

Das Gespräch führte Jonas Viering.

Georg Milbradt (61), geboren im sauerländischen Eslohe und aufgewachsen in Dortmund, ist Ministerpräsident des Freistaates Sachsen seit 2002. Der Volkswirt gehört der CDU seit 1973 an.

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