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Belastung. 1977 bot Niedersachsen Gorleben als Endlager an. Seit 1983 wird unterirdisch erkundet – mit einer zehnjährigen Pause nach dem rot-grünen Atomkonsens.Foto: dpa

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Politik: „Wir brauchen ein Endlager erst 2030“ Grünen-Fraktionschef Trittin fordert Verfahren ohne Vorfestlegung auf Gorleben als Standort für Atommüll

Herr Trittin, Sie haben in der Endlagerdebatte den Standort Gorleben nicht ausgeschlossen. Bleibt es dabei?

Herr Trittin, Sie haben in der Endlagerdebatte den Standort Gorleben nicht ausgeschlossen. Bleibt es dabei?

Es gibt seit Monaten Verhandlungen der Bundesländer mit dem Bund. Erst in der letzten Phase sind wir als Bundestagsfraktion miteinbezogen worden. Konsens zwischen den Ländern war von Beginn an, dass es eine weiße Landkarte gibt, dass es also keine Vorfestlegungen gibt und dass kein Standort ausgeschlossen wird. Das war die Grundvoraussetzung für die Verhandlungen. Das ist durch Bundesparteitagsbeschlüsse der Grünen und durch Beschlüsse des grünen Landesverbands Niedersachsen gedeckt. Ohne diese Verständigung von 16 Ministerpräsidenten würde es keine Verhandlungen geben. Hätte der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann nicht einen Neuanfang bei der Endlagersuche durchgesetzt, dann würde es nur Gorleben als Endlager geben. Kretschmann hat sich um die Wendländer sehr verdient gemacht. CDU und CSU müssen einem Verfahren zustimmen, das das Resultat haben kann, dass Gorleben draußen ist.

Wie muss das Endlagergesetz gestaltet sein, damit es am Ende nicht doch auf Gorleben hinausläuft?

Das Gesetz regelt ein Verfahren. Es soll das sicherste Endlager auf Basis wissenschaftlicher Kriterien gefunden werden. Es soll einen Suchprozess geben, der demokratisch legitimiert ist und die Bevölkerung miteinbezieht. Die Entscheidung wird durch den gesetzgebenden Souverän und nicht durch Behörden getroffen. Das Verfahren hat keine Vorfestlegungen. Ich persönlich bin überzeugt, dass die wissenschaftliche Basis der Entscheidung dazu führen wird, dass Gorleben herausfällt. Aber das zu klären, ist nur in einem geordneten Verfahren möglich.

Was passiert gerade?

Zurzeit verhandeln wir über dieses Verfahren – nicht über Standorte. Erstens: Wie geht man mit den Vorfestlegungen, die Gorleben betreffen, um? Wird Gorleben auf null zurückgestellt? Das ist Dissens. Zweitens: In welchem Umfang werden diese wissenschaftlichen Kriterien im Gesetz wiedergegeben? Drittens: Wie viele Standorte werden am Ende miteinander verglichen? Viertens: Das Bundesumweltministerium wollte die Endlagersuche einem neuen Bundesinstitut für Endlagerung übertragen und das Bundesamt für Strahlenschutz mit seiner kerntechnischen Kompetenz faktisch zerschlagen. Da ist mit uns nicht zu machen, was wir Herrn Altmaier auch deutlich vermittelt haben.

Sie saßen mit ihm und dem SPD-Chef Gabriel zusammen und haben verhandelt. Worüber?

Wir sprachen ausschließlich über die Frage, welche Aufgaben künftig das Bundesamt für Strahlenschutz haben soll. Über die anderen Fragen haben wir nicht diskutiert. Darauf lege ich großen Wert. Da müssen die Länder mit an den Tisch. Die weiße Landkarte ist Grundvoraussetzung für die Verhandlungen.

Ist Ihr grüner Landesverband in Niedersachsen in der Frage verbohrt?

Der Landesverband und der Parteirat haben sogar einstimmig beschlossen, dass weiter verhandelt wird. Das ist klug. Denn ohne Verhandlungsergebnis wird in Gorleben weitergebaut.

Die öffentlichen Meinungsäußerungen sind andere. Gorleben dürfe es auf keinen Fall als Endlager geben.

Grüne wollen aus der Vorfestlegung für Gorleben heraus. Deshalb wird verhandelt. Aber es gibt Alternativen: Ein Genehmigungsverfahren für Gorleben wird eröffnet in der Hoffnung, dass es schiefgeht. Das ist brandgefährlich. In dem Verfahren, das wir anstreben, werden nicht geeignete Standorte ausgeschlossen. Das muss ein Bundestagsbeschluss sein. Ebenso entscheidet der Bundestag über oberirdische Vergleiche. Dann folgen unterirdische Standortvergleiche – ebenfalls vom Bundestag beschlossen.

Wie wollen Sie Bürger miteinbinden?

Planfeststellungsverfahren beziehen sich auf das Wie. Wir wollen darüber entscheiden lassen, ob wir an dieser Stelle ein Endlager errichten.

Diese Entscheidung trifft der Bundestag oder eine Volksabstimmung?

Wir Grüne wären auch für eine Volksabstimmung, aber solange sich die Union gegen deren Einführung wehrt, müssen zumindest die direkten Repräsentanten des deutschen Volkes darüber entscheiden, sprich: der Bundestag.

Wann steht fest, wo das Lager steht?

Das Verfahren wird sich über mehr als ein Jahrzehnt erstrecken, weil sie ja auch die Erkundungsarbeiten miteinrechnen müssen. Aber das ist nicht tragisch. Denn es geht hier um hochradioaktiven Müll, der Jahre braucht, bis er genügend abgekühlt ist. In Deutschland geht 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz. Wir benötigen frühestens 2030 ein Endlager. Es besteht kein Grund, in Hektik zu verfallen. Wir brauchen eine sorgfältige Auswahl des Standortes.

Im Januar wählt Niedersachsen. Warum drängen Sie darauf, dass es noch zügig zu einem Kompromiss kommt?

Ein Weiterbau in Gorleben, wie er derzeit läuft, ist unerträglich. Jeder Tag ist zu viel. Ich glaube, dass es schwer sein wird, in der heißen Wahlkampfphase zu einem Konsens zu finden. Jetzt haben allen Seiten ein Interesse an einer Lösung und dieses Zeitfenster muss man nutzen.

Auch, um eine Hürde für ein schwarz-grünes Bündnis abzubauen?

Die Niedersachsen-CDU hat sich unter dem Druck der Castor-Demos in der Gorlebenfrage begonnen zu bewegen. Aber in der Ausländer- oder der Schulpolitik sind die Widersprüche mit den Grünen enorm scharf. Wir wollen die CDU in Niedersachsen in die Opposition schicken und streiten für ein rot-grüne Mehrheit.

Jürgen Trittin, 58, ist ehemaliger Bundesumweltminister und derzeit Fraktionschef der Grünen im Deutschen Bundestag.

Mit ihm sprachen

Sabine Beikler und

Christian Tretbar.

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