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Politik: „Wir brauchen Mindeststandards am Arbeitsmarkt“

Vor dem ersten Treffen der EU-Sozialminister bei Müntefering: Italien will mehr gemeinsame Regeln

Die EU-Verfassungskrise hat stark mit der Angst in den alten Mitgliedstaaten vor sozialen Verlusten zu tun. Zu Recht? Und hilft dagegen mehr EU-Sozialpolitik?

Die soziale Frage hat, mit anderen, sicherlich dazu beigetragen, dass das Interesse an einer Stärkung Europas schwächer geworden ist. Da brauchen wir neue Antworten. Ich freue mich deshalb, dass Deutschland die Sozialpolitik zu einem Schwerpunkt seines Präsidentschaftshalbjahrs machen will.

Luxemburgs Premier Juncker sagte kürzlich, er habe nicht EU-Kommissionspräsident werden wollen, weil er die Regierungen nie für ein sozialeres Europa gewonnen hätte. Hat Europa ein soziales Defizit?

Juncker ist ein überzeugter Europäer, der sich immer für eine sozialere EU eingesetzt hat. Deshalb habe ich vor seiner Sicht großen Respekt. Ich meine aber, dass wir einen neuen Anlauf nehmen können, ein soziales Europa zu schaffen – trotz der objektiven Schwierigkeiten, in einer EU der 27 auch in der Sozialpolitik gemeinsam zu handeln. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen, die Debatte um das Grünbuch der Kommission „Modernisierung des Arbeitsrechts“: Da könnte man deutlich über den Text hinausgehen.

Sie waren lange Gewerkschaftsfunktionär. Wie würden Sie einer fünfzigjährigen arbeitslosen Arbeiterin die Vorteile Europas oder der Globalisierung erklären?

Ein geeintes Europa mit gemeinsamen Institutionen gibt schon die beste Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung, es macht sie beherrschbar und von einem Risiko zu einer Chance für alle. Konkreter gesagt: Der fünfzigjährigen Arbeiterin müssen wir so rasch wie möglich wieder Arbeits- und Weiterbildungsmöglichkeiten geben und sie absichern, solange sie arbeitslos ist.

Die deutsche EU-Präsidentschaft setzt in der Sozialpolitik vor allem auf den Erfahrungsaustausch der Mitgliedstaaten. Genügt das oder braucht der EU-Arbeitsmarkt verbindliche Standards?

In der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik hat die EU heute schon einige Instrumente. Es ist sicher wichtig, die Wirtschafts- und Sozialpolitik zu koordinieren; ich bin aber auch überzeugt, dass wir die Möglichkeit brauchen, Mindeststandards für die Arbeitsbedingungen festzulegen, die dann auf dem gesamten Gebiet der EU angewandt werden.

Anders als Deutschland hat Italien seinen Arbeitsmarkt für die neuen EU-Mitglieder geöffnet und auch die Aufenthaltsrechte vieler Nicht-EU-Bürger erweitert. Fürchten Sie nicht für Italiens Arbeitsmarkt?

Unterschiedliche nationale Arbeitsmärkte und Industriemodelle erfordern unterschiedliche Politik. In Italien hat die Legalisierung von Nicht-EU-Bürgern dazu beigetragen, dass die Beschäftigungsquote gestiegen ist. Schwarzarbeit bekämpfen wir natürlich weiter.

Vor gut 30 Jahren begann die Beschäftigungskrise, die Politik spricht weiter von Vollbeschäftigung. Eine fromme Lüge?

Vollbeschäftigung ist keine Illusion, sondern ein Ziel, das wir ständig im Auge behalten müssen. Im Übrigen ist mehr und bessere Arbeit auch Teil der Lissabon-Strategie der EU. Wir müssen eine Politik machen, die uns dem Ziel schrittweise näherbringt. Ich bin meinerseits froh, dass die Arbeitslosenquote in Italien Jahr für Jahr um sinkt – auch wenn das nicht notwendig bedeutet, dass die Qualität der Arbeit besser wird.

Das Gespräch führte Andrea Dernbach.

Cesare Damiano ist Mitglied der Linksdemokraten und seit Mai 2006 Arbeitsminister im Kabinett Prodi. Zuvor war er lange einer der führenden Funktionäre der Metallarbeitergewerkschaft Fiom.

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