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Politik: „Wir brauchen Patriotismus“

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden über rechte Gewalt und die Untätigkeit der Politik

Im Kampf gegen rechte Gewalt planen Bundesinnenminister Schäuble und seine Länderkollegen eine verstärkte Polizeipräsenz in besonders betroffenen Regionen. Ist das ein beruhigendes Signal?

Es geht gerade nicht darum, mehr Polizei, mehr Justiz zu schaffen. Das ist wieder einmal ein Versuch der Politik, sich hinter Polizisten und Justizbeamten zu verschanzen und der eigenen Verantwortung davonzulaufen. Die Rechten lachen sich ins Fäustchen über das Unvermögen der Politik, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Wenn ich Schönbohm und Schäuble höre, kann ich nur sagen: In den vergangenen Wochen hat man versucht, das Problem wieder einmal kleinzureden. Es ging in erster Linie darum, das Image Deutschlands nicht zu beschädigen. Das ist eine ganz gefährliche Fehleinschätzung. Wir müssen uns jetzt endlich hinsetzen und überlegen, wie wir dem Problem zu Leibe rücken können.

Was heißt das konkret?

Patentrezepte gibt es nicht. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Initiative, über die Parteigrenzen hinweg. Denn es ist ein Angriff auf die Demokratie, und nicht nur auf die Minderheiten, die die Leidtragenden sind. Bestehende Programme gegen rechts müssen fortgesetzt werden. Aber es kann nicht sein, dass dabei hauptsächlich etablierte Verwaltungsstrukturen großer Träger finanziell unterstützt werden. Eine Opferberatungsstelle vor Ort muss praktisch jemanden einstellen, um die bürokratischen Hürden für die Beantragung von Geldern zu nehmen.

In der Debatte um No-go-Areas hört man oft das Argument, es sei ein Erfolg für die Rechten, wenn der Staat Gebiete benennt, in die Ausländer besser nicht gehen.

Diese No-go-Areas gibt es seit Jahren. Es geht um die körperliche Unversehrtheit derer, die in dieses Land kommen. Natürlich will keiner den Eindruck vermitteln, dass es in Deutschland Gegenden gibt, in denen der Rechtsstaat nicht mehr Herr der Bürgersteige ist. Aber das ist seit Jahren eine Tatsache. Die Politik hat in den vergangenen Jahren geschlafen. Alle haben sich gern bei der Initiative „Gesicht zeigen“ eingeschrieben, damit ihr Name auf der Teilnehmerliste steht. Aber wenn es darum geht, diese Fragen politisch umzusetzen, war man nur mit Imagekampagnen beschäftigt, statt sich um die Probleme der Jugendlichen zu kümmern.

Was läuft in der Jugendarbeit schief?

Jugendprogramme dürfen sich nicht nur auf so genannte infizierte Rechte konzentrieren. Wir müssen die Jugendarbeit vor Ort insgesamt stärken, damit es gar nicht zu solchen Infektionen kommt. Außerdem müssen Kommunalpolitiker dazu ermuntert werden, Flagge zu zeigen. Die Rechten im vorpolitischen Raum müssen merken, dass sie mit Widerspruch zu rechnen haben. Hier passiert viel zu wenig.

Was muss sich innerhalb der Gesellschaft ändern?

Wir brauchen einen Bewusstseinswandel. Gerade bei den Jugendlichen ist das Selbstwertgefühl völlig gestört. Wir haben keine Antworten auf die Frage nach Patriotismus und Nationalgefühl. Dabei geht es nicht um Nationalismus. Aber wir können doch sehr stolz auf das sein, was nach 1945 in der Bundesrepublik erreicht worden ist, mit allen Schwierigkeiten und Problemen. Es will mir nicht in den Kopf, warum man hier nicht stolz sein kann auf sein Land, auch auf den Kampf gegen die Rechten. Wir sollten offen darüber diskutieren, wie ein gesunder Patriotismus aussehen kann, um uns eine Identifikationsmöglichkeit zu geben.

Sie meinen eine Art Verfassungspatriotismus?

Ja. Aber wir sollten das nicht nur auf die Intellektuellen beschränken. Wir brauchen einen Patriotismus, der auch die einfachen Menschen mitnimmt. Wenn jemand erklärt, er kann die deutsche Fahne nicht zeigen, weil das eventuell gegen die Political Correctness verstößt, dann kann ich nur sagen: Das ist ein Irrtum, und das ist auch ein Armutszeugnis. Diese Bundesrepublik steht für ein wunderbares Modell der Demokratie, des Parlaments, der Kontrolle. Mit vielen Schwierigkeiten, wie sie jede Demokratie hat. Aber man sollte endlich aufhören, das zu verteufeln. Denn dadurch entsteht ein Vakuum, das ein Feld für die ganz Linken und die ganz Rechten öffnet. Und damit ein Weg, der in gefährliche Stereotype zurückführt. Das dürfen wir nicht zulassen.

Wie ist zurzeit die Stimmung in den jüdischen Gemeinden?

Wir machen uns große Sorgen. Uns macht nicht der antisemitische Drohbrief zu schaffen, sondern die stereotype Fremdenfeindlichkeit in den mittleren Bereichen der Gesellschaft, also Antisemiten mit Anzug und Krawatte. Es sind die Wohlsituierten, die Verständnis haben für rechte Sprüche, die akzeptieren, wenn man sagt: Naja, die Juden machen ja auch dieses oder jenes. Vordergründig geht es derzeit um Muslime und um Ausländergruppen in der Gesellschaft. Aber keiner von uns weiß, ob es in zwei, drei Jahren nicht wieder die Juden sind, die am Pranger stehen.

Das Gespräch führte Claudia von Salzen.

Stephan J. Kramer

ist Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der Jurist und Volkswirt führt die Geschäfte des Dachverbands mit über 105 000 Mitgliedern.

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