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Nationalstolz. In Budapest wurde an die Revolution gegen die Habsburger erinnert. Vor 165 Jahren hatten die Revolutionäre unter anderem Pressefreiheit gefordert. Foto: Imre Foldi/dpa

© dpa

Politik: „Wir geben Ungarn nicht mehr her“

Viele Anhänger Orbans sehen Brüssel als fremde Macht / Großdemo am Nationalfeiertag fiel aus.

Der Schnee reicht bis zur ungarischen Trikolore – zumindest auf den kleinen Papierfähnchen im Garten des Nationalmuseums. Bis zu zehn Zentimeter Neuschnee haben der offiziellen Regierungsveranstaltung den Rest gegeben. Ordner räumen die Lautsprecher wieder ab, während sich ein paar Dutzend Orban-Fans verdutzt die Augen reiben.Der Rentner Istvan etwa ist extra aus Kroatien zurückgekehrt, um den 165. Jahrestag der antihabsburgischen Revolution von 1848 zu feiern. Der stattliche Mann in seiner Volkstracht hat das Kommunikat im Staatsradio verpasst, wonach alle Feierlichkeiten wegen des schlechten Wetters abgesagt sind. „Wir geben Ungarn nicht mehr her und verteidigen es bis zum letzten Blutstropfen – auch gegen Einmischung aus der EU!“, sagt seine Begleiterin. Die jüngste Verfassungsnovelle sei von der Auslandspresse ohne genaue Textkenntnis vorverurteilt worden, erklärt Istvan mit ruhiger Stimme. So gefasst und auskunftsfreudig sind nicht alle vor dem Nationalmuseum. Mit der westeuropäischen Presse spreche sie prinzipiell nicht mehr, erklärt eine Passantin.

Die Ordner an den Eingangstoren weisen derweil die enttäuschten Teilnehmer der abgesagten Demonstration ab. Auch die Opposition hat sämtliche Massenveranstaltungen abgesagt oder auf Sonntag verschoben. Selbst die rechtsextreme Jobbik wollte nur noch einen Kranz niederlegen.

In einem sogenannten Friedensmarsch hätten hunderttausende aus allen Landesteilen hergekarrte Fidesz-Unterstützer nach den Reden vom Nationalmuseum zum Präsidentenpalast auf den Burghügel pilgern sollen – eine Machtdemonstration von und für den Ministerpräsidenten Viktor Orban. Dort hatte Präsident Janos Ader tags zuvor verkündet, die umstrittene vierte Verfassungsnovelle unterschreiben zu wollen. Die neue Verfassung verpflichte ihn dazu, begründete Ader, der Gründungsmitglied der mit einer Zweidrittelmehrheit regierenden Partei Fidesz ist. Am selben Tag erhielt das oppositionelle Klubradio endlich eine feste Sendelizenz. Damit wird der Kritik an der angeblich mangelnden Pressefreiheit etwas Wind aus den Segeln genommen.

Staatssekretäre der Regierung Orban erklären dabei im persönlichen Gespräch, die Verfassungsänderungen seien inzwischen der Venedig-Kommission des Europarates unterbreitet worden und würden bei Beanstandungen selbstverständlich angepasst. Orban erklärte derweil in Brüssel, die Verfassungsänderungen verstießen nicht gegen „europäische Werte“. EU-Justizkommissarin Viviane Reding hat eine Prüfung angeordnet und mit möglichen Subventionskürzungen für Ungarn oder einer Stimmrechtseinschränkung gedroht. „Mit dem Grundgesetz spielt man nicht, man kann nicht alle sechs Monate hingehen und es ändern“, sagte Reding.

Dass ausgerechnet Orban zum Nationalfeiertag in Brüssel statt in Budapest weilt, gefällt nicht allen vor dem Nationalmuseum. So wie 1848 Habsburg und damit Wien als Besatzer abgelehnt wurde und sich die Ungarn 1956 gegen Moskau erhoben, so wird von vielen auch Brüssel als fremde Macht angesehen. Zumal sich die meisten Ungarn vom EU-Beitritt vor allem ökonomisch mehr erhofft haben. Derweil erlebt das Land eine seiner schlimmsten Wirtschaftskrisen. Orban ist zwar eine Stabilisierung der Staatsschulden gelungen, doch die Löhne bleiben tief, die Arbeitslosigkeit hoch.

„Brot und Arbeit!“, schreien da plötzlich gut drei Dutzend Jugendliche. Sie sind mit Transparenten in den Nationalfarben aufmarschiert und skandieren nun: „Es lebe Orban, es lebe die Partei!“ Das deutsch-ungarische antifaschistische Spassguerilla-Bündnis unter dem Sammelbegriff „Apfel-Front“ kündigt an, zum Parlament zu marschieren, und wird im Nu von Einsatzwagen der Polizei umzingelt. Doch statt ihre Knüppel zu zücken, verhandeln die Polizisten über die Marschroute der Spontandemo. „Sehen Sie, wir haben hier keine Diktatur“, sagt eine Passantin, die sich wie so viele schnell als Fidesz-Anhängerin zu erkennen gibt.

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