zum Hauptinhalt

Politik: "Wir haben eine Systemkrankheit"

Ellis Huber war zwölf Jahre Präsident der Berliner Ärztekammer. Seit Juli 2001 leitet er die Krankenkasse Securvita und ist im Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

Ellis Huber war zwölf Jahre Präsident der Berliner Ärztekammer. Seit Juli 2001 leitet er die Krankenkasse Securvita und ist im Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

Müssen wir uns denn an den Gedanken gewöhnen, dass wir von betrügerischen und korrupten Medizinern umgeben sind?

Ärzte sind Menschen wie andere auch. Sie sind so korrupt wie Bauunternehmer, Politiker oder Müllverbrennungsanlagen-Betreiber. Ärzte sollten aber etwas besser sein.

Ärzteverbände sprechen von Einzelfällen ...

Die Ärzteverbände sind verantwortlich für den Schlamassel, in dem die Ärzteschaft immer wieder steckt. Der Skandal ist Symptom für eine tiefer liegende Krankheit des Versorgungssystems. Es fehlt eine gesunde Mitte zwischen gruppenegoistischen Interessen und sozialer Verantwortlichkeit. Also: Es geht nicht um einzelne schwarze Schafe, sondern um eine Unkultur im Umgang mit den Segnungen der Pharmaindustrie. Diese Unkultur abzustellen wäre Aufgabe der berufsständischen Eliten, und da haben sie ohne Zweifel versagt.

Wie verbandelt sind denn unsere Mediziner mit den Pharmakonzernen?

Seit Jahren wissen wir, dass die Pharmaindustrie eine Übermacht besitzt in der Informationspolitik für sinnvolle und weniger sinnvolle Medizin. Sie hat auf Grund ihrer drittmittelfinanzierten Forschung und des Sponsorings ärztlicher Fortbildung auch übergroßen Einfluss auf die Qualifikation und Meinungsbildung der Ärzte. Es wäre sinnvoll, diese nötigen Servicedienste - Qualifizierungs-Maßnahmen und Info-Management - zwischen Krankenkassen und der Ärzten direkt zu vereinbaren. Letztlich bezahlen die Kassen ja über die Arzneimittelpreise die Bestechung der Ärzte zu ihren Lasten mit.

Wo beginnt für Sie Korruption?

Die Abhängigkeitsverhältnisse sind schleichend. Ich selbst überlege, ob es nicht schon der erste Schritt in die Unterwerfung ist, wenn ich einen bezahlten Vortrag für ein Pharmaunternehmen halte. Etwa ein Drittel der Ärzte schöpft die Abrechnungs- und Einkommensmöglichkeiten zynisch und gewissenlos aus. Ein Drittel ist humanistischen und sozialen Idealen verpflichtet. Diese Ärzte empfangen in der Regel auch keine Pharmareferenten, sind aber materiell benachteiligt. Das letzte Drittel ist ambivalent. Insbesondere bei Professoren der Medizin herrscht ein zu hohes Maß an Willfährigkeit und Abhängigkeit gegenüber dem medizinisch-industriellen Komplex.

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Im Gesundheitswesen ist nicht klar entschieden, dient es den Pharmakonzernen mit ihren Kapitalinteressen oder der Bevölkerung mit ihren Gesundheitsbedürfnissen. Wenn Regierung und Bundestag mit einigen hundert Millionen von der Pharmaindustrie veranlasst werden können, konzerndienliche Gesetze zu erlassen, darf sich die Politik nicht wundern, wenn ein kleiner Arzt sich auch mal 1000 bis 5000 Mark geben lässt für ein Verhalten, das er persönlich für sinnvoll hält, das aber trotzdem nicht in Ordnung ist.

Wie lange kann es sich unsere Gesellschaft denn noch leisten, in der Medizin auf systematische Abrechnungs- und Qualitätskontrolle zu verzichten?

Ein System, das von gegenseitigem Misstrauen zerfressen wird, kommt sehr viel teurer und ist wirkungsloser als eines, wo man klare, sozial verantwortliche Ziele verfolgt und sich gegenseitig vertraut. Korruption bei den Ärzten geht ja parallel mit entsprechenden Verführbarkeiten von Krankenkassen-Funktionären, und die Politik ist, wie wir wissen, auch nicht frei von diesem Problem. Man sollte nicht mit dem Finger auf den anderen zeigen, sondern begreifen: Wir haben eine Systemkrankheit.

Bedarf es besserer Kontrollmöglichkeiten?

Natürlich: Ein Gesundheitswesen, in dem nicht Profitgier die sozialen Ziele überwuchert, braucht Transparenz. Ich plädiere dafür, dass alles, was getan wird - auf Kassenseite, bei den Ärzten, in der Politik - transparent gemacht wird und für jeden einsehbar. Gute Ärzte haben keine Scheu, ihre Ergebnisse offen zu legen. Ärzte allerdings, die ihren Eigennutz höher stellen als das Patientenwohl, haben Angst vor Transparenz.

Müssen wir uns denn an den Gedanken gewö

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false