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Politik: „Wir leben nicht auf einer juristischen Insel“

Europapolitiker begrüßen Urteil / Chef des EU-Ausschusses im Bundestag für schnelle Neuregelung

Berlin - Beim Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung geht es zunächst einmal um die Sache selbst – also den Umgang mit rückfallgefährdeten Schwerkriminellen. Nebenbei hatten die Karlsruher Richter aber auch darüber zu befinden, welche Bedeutung eigentlich Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg haben. Schließlich waren es die Straßburger Richter gewesen, die bereits mehrfach Anstoß an der deutschen Praxis der nachträglichen Sicherungsverwahrung genommen hatten. In seiner Einschätzung, was denn von Entscheidungen der Menschenrechtshüter zu halten ist, war das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil am Mittwoch dann auch denkbar deutlich. Straßburg befindet sich auf Augenhöhe mit Karlsruhe – so lautet sinngemäß gleich der erste Satz des Verfassungsgerichtsurteils. Europapolitiker begrüßten den Spruch des obersten deutschen Gerichts.

Im Dezember 2009 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland erstmals verurteilt, weil die Praxis der nachträglichen Sicherungsverwahrung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und insbesondere gegen das Grundrecht auf Freiheit verstoße. Im vergangenen Januar rügten die Menschenrechtshüter die nachträgliche Sicherungsverwahrung erneut. Dass sich die Karlsruher Richter nun der Beurteilung des Menschenrechtsgerichtshofs angeschlossen haben, stößt bei dem Grünen-Europaabgeordneten Jan Philipp Albrecht auf ein positives Echo. „Das Bundesverfassungsgericht hat gut daran getan, die Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Urteile des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs gleichwertig in seine Rechtsprechung mit einfließen zu lassen“, sagte Albrecht dem Tagesspiegel. „Die Europäische Menschenrechtskonvention sollte unsere Leitlinie sein“, forderte der Grünen-Abgeordnete. „Wenn wir in Deutschland von anderen erwarten, dass sie sich an die hohen Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention halten, dann müssen wir das im Gegenzug auch mal tun.“

Auch der FDP-Innenexperte im EU-Parlament, Alexander Alvaro, begrüßte die Karlsruher Entscheidung. Bei der bisherigen Regelung der Sicherungsverwahrung sei der Grundsatz nicht beachtet worden, dass ein Straftäter beim Urteil klar wissen müsse, was ihn erwartet. Künftig müsse es in Deutschland zu einer deutlicheren Abgrenzung zwischen der Strafhaft und der Sicherungsverwahrung kommen, forderte Alvaro. Außerdem solle die Rechtsprechung der Straßburger Menschenrechtshüter hierzulande eine stärkere Berücksichtigung finden. „Wir leben in Deutschland weder auf einer juristischen Insel noch auf einer Insel des Menschenrechts“, sagte Alvaro. „Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht Straßburg nicht als Konkurrenz, sondern als Ratgeber empfindet.“

Der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestages, Gunther Krichbaum (CDU), forderte Bund und Länder auf, zügig Beratungen über eine gesetzliche Neuregelung aufzunehmen. Dabei müsse das „Schutzbedürfnis der Bevölkerung“ beachtet werden, sagte Krichbaum dem Tagesspiegel: „Bei allen schützenswerten Grundrechtsbelangen der Täter muss das Sicherheitsinteresse der Bevölkerung im Auge behalten werden.“ Wenn etwa frühere Sexualstraftäter auf freien Fuß gesetzt würden, dann dürfe man die Polizei bei der Überwachung „nicht im Regen stehen lassen“, sagte Krichbaum.

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