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Politik: Wir schrumpfen uns kaputt

KRITIK AM WACHSTUM

Von Ursula Weidenfeld

Seit Anfang der Siebziger Jahre sind die Deutschen weithin der Meinung, dass die Grenzen des Wirtschaftswachstums nicht durch die Konjunktur, sondern durch die Vernunft gesetzt werden: Seit der renommierte Club of Rome 1972 in seiner Studie „Die Grenzen des Wachstums. Zur Lage der Menschheit" festgestellt hatte, dass ungebremstes Wachstum der industrialisierten Länder unverantwortlich viel Umwelt und natürliche Ressourcen verbraucht, gilt es als ein bisschen naiv, ordentliche Wachstumsraten gut zu finden. Weniger Wachstum muss nicht schlecht sein, finden viele Anhänger und wichtige Akteure gerade der rotgrünen Koalition, im Gegenteil: Es zeigt, dass wir verstanden haben. Dass wir verantwortungsbewusst mit den nicht erneuerbaren Energien umgehen und der sich entwickelnden Welt, die unseren Energieverbrauch nicht nachmachen darf, eine faire Chance einräumen. Außerdem können hoch entwickelte Industrieländer ohnehin nicht mehr so stark wachsen, sagen sie.

Wenn das so wäre, wäre Deutschland ein vorbildliches Land. Deutschland hat im Augenblick nämlich überhaupt kein Wirtschaftswachstum. Und selbst wenn die Konjunktur wieder anzieht und der Aufschwung kommt, wird es kaum besser: Nur ein Prozent Wachstum ist drin, haben Volkswirte in der vergangenen Woche ausgerechnet.

Aber nicht einmal überzeugte Wachstumskritiker sehen damit ihre Wünsche erfüllt. Denn die Grenzen des Wachstums in Deutschland werden eben nicht von der Vernunft gesetzt. Sie werden von Starrheit und Unvermögen, von Alter und Arroganz, von Feigheit und Verzagtheit gesetzt: Würde die Volkswirtschaft unter derzeitigen Gegebenheiten nämlich stärker wachsen als ein Prozent, würden bei anhaltend hoher Massenarbeitslosigkeit die Arbeitskräfte schon wieder knapp. Es sei denn, die Löhne würden sinken. Aber das hat es in der Bundesrepublik noch nie gegeben. Im Gegenteil: Die Gewerkschaften würden für diejenigen, die Arbeit haben und auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden, satte Lohnerhöhungen fordern – während fast fünf Millionen Menschen arbeitslos blieben. Denn neue Jobs gibt es in Deutschland nach langjähriger Erfahrung erst ab einem Wachstum von zwei bis zweieinhalb Prozent.

Nicht nur deshalb ist das Gerede von den zufriedenen, satten, in sich ruhenden Volkswirtschaften falsch und zynisch: Eine Gesellschaft, die keine neuen Arbeitsplätze mehr schafft, grenzt immer mehr Erwerbsfähige von einem erfüllten und produktiven Leben aus und beschneidet ihre Chancen, persönlichen Wohlstand zu erwirtschaften. Schlimmer noch aber ist, dass eine stagnierende Volkswirtschaft mit wachsenden sozialen und demografischen Lasten ihre Verteilungskonflikte auf die Dauer nicht mehr lösen kann: Denn ohne Wachstum wird es nicht mehr, sondern weniger Arbeit geben, statt mehr Steueraufkommen weniger Einnahmen für den Staat. Gleichzeitig aber werden die Ansprüche an die arbeitende Bevölkerung erst einmal weiter wachsen, sogar, wenn es eine große Reform der Sozialsysteme gibt. Die Älteren erwarten von den Erwerbstätigen die Finanzierung der Renten. Sie selbst müssen zusätzlich für das eigene Alter sparen. Und die Nachkommenden erwarten zu Recht, dass bei Schulen und Universitäten nicht gespart wird.

Das alles führt aber auf die Dauer dazu, dass der Wohlstand, in dem wir heute noch leben, nach und nach verbraucht wird, dass das Land gleichzeitig älter, ärmer und noch wachstumsfeindlicher wird. Gerade deshalb brauchen wir Wachstum, um eine älter werdende Bevölkerung versorgen zu können. Wir brauchen Wachstum in allen Bereichen: Die Jungen müssen länger und mehr arbeiten als bisher – dann wächst der Faktor Arbeit, auch wenn die Bevölkerung schrumpft. Wir müssen mehr sparen, damit mehr investiert werden kann und die Wirtschaft leistungsfähiger wird. Dazu gehören auch Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung. Denn nur ein hochproduktives Land kann auf die Dauer den Wohlstand bewahren und die Löhne bezahlen, die die Deutschen gewöhnt sind.

Deshalb brauchen wir Wachstum. Dynamisches Wachstum. Einfach mehr Wachstum.

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