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Politik: „Wir sind alle miteinander verbunden“

Michael Blumenthal über den Konflikt im westsudanesischen Darfur und warum die Welt nicht mehr wegsehen sollte

Es hat einen hohen Symbolwert, dass das Jüdische Museum eine Aktionswoche zum Konflikt in der westsudanesischen Region Darfur veranstaltet. Dort werden Muslime von Muslimen verfolgt. Was ist Ihr Grund?

Wir wollen auf diese menschliche Tragödie aufmerksam machen. Es wird von den Regierungen nicht genug getan, um diese schrecklichen Ereignisse zu beenden. Es ist ein Teil unseres Selbstverständnisses, wo immer in der Welt Minderheiten verfolgt werden, dagegen anzukämpfen. Denn die Geschichte der deutschen Juden ist immer wieder von solchen Ausschreitungen gezeichnet gewesen. Wir fühlen eine besondere Verantwortung. Für uns ist es egal, um welche Religion, Rasse oder ethnische Minderheit es sich handelt. Für uns ist wichtig, dass es sich um Menschen handelt.

Wird Sudans Regierung vertreten sein?

Es werden wohl Repräsentanten der sudanesischen Botschaft kommen. Sie sind auch sehr willkommen.

Warum ist das in den USA in der Zivilgesellschaft so ein großes Thema?

Amerika ist ein besonderes Land. Es setzt sich aus vielen Minderheiten zusammen. Alle waren irgendwann mal Einwanderer, oder zumindest ihre Vorfahren waren es. Auch wegen der vielen „African-Americans“ gibt es ein großes Interesse an afrikanischen Themen. Es wird auch mehr über Darfur berichtet. Außerdem ist Amerika ein religiöses Land. Auch die Kirchen sind in dieser Frage sehr aktiv. Schon um den Opfern zu helfen. Das scheint aber auch hier so zu sein. Die Kirchen und der Zentralrat der Juden haben sofort zugesagt, als wir sie angesprochen haben.

In Deutschland ist das Interesse geringer.

Wenn hier ein Kind in Brandenburg oder Berlin verloren geht oder umgebracht wird, dann ist das auf der ersten Seite. Aber wenn tausende in Afrika unter schrecklichen Umständen umkommen, Dörfer niedergebrannt werden, Frauen vergewaltigt und Kinder umgebracht werden, wird das zwar bedauert, aber es fehlt das Interesse. Dabei glaube ich, dass gerade Deutsche aufgrund ihrer Geschichte eine besondere Verantwortung haben, wenn so etwas passiert wie in Darfur.

Seit 2003 bewegt sich bei diesem Thema nichts. Die Menschen leben unter furchtbaren Bedingungen in Flüchtlingslagern. Warum sollten wir uns trotzdem für die Katastrophe in Darfur interessieren?

Als ich ein Kind war und als Verfolgter in diesem Land gelebt habe, da war es auch so, dass die Welt das von außen beobachtet hat. Hier und da haben Menschen in New York oder sonst wo demonstriert. Die Regierungen haben gesagt: Ist ja schrecklich, was die Nazis diesen unschuldigen Menschen antun. Aber gemacht haben sie auch nichts. Und selbst als wir ausgeraubt wurden, als wir Flüchtlinge geworden sind, da wollte uns niemand aufnehmen. Es hieß: „Geht doch woandershin, aber nicht zu uns. Wir haben Arbeitslosigkeit, und ihr Flüchtlinge seid nicht unser Problem.“ Die Welt hat damals viel zu lange weggesehen. Wenn das nicht so gewesen wäre, wenn die Welt energischer reagiert hätte, wer weiß, ob das Morden in Deutschland tatsächlich so möglich gewesen wäre. Daraus sollten wir eine Lehre ziehen. In dieser globalen Welt, die so klein geworden ist, in der wir alle miteinander so verbunden sind, haben wir Verantwortung füreinander. Wir dürfen nicht nur unser Bedauern ausdrücken. Dass der Konflikt in Darfur nicht einfach zu lösen ist, dass es schwer ist, reinzukommen, um Menschen zu versorgen oder darüber zu berichten – all das darf uns nicht davon abhalten, etwas zu tun. Zumindest so viele Menschen wie möglich zu retten. Man darf nicht einfach mit den Achseln zucken und resignieren.

Das Gespräch führte Dagmar Dehmer.

Michael Blumenthal (81) ist seit 1997 Direktor des Jüdischen Museums in Berlin. Dort findet von Donnerstag an eine Aktionswoche und eine Ausstellung zum Morden in Darfur statt.

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