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Politik: Wir sind so frei

In den USA sind die Bürgerrechte drastisch eingeschränkt worden. Aber es scheint nur wenige Amerikaner zu stören. Viele fordern sogar ein noch härteres Vorgehen

Von Malte Lehming,Washington

Die liberale Presse in Amerika feiert einen Helden – den Richter Damon J. Keith. Mit zwei Kollegen fällt Keith die Entscheidungen des Bundesberufungsgerichts in Cincinnati im Bundesstaat Ohio. Von diesem Gremium fing sich die US-Regierung vor gut 14 Tagen einen kräftigen Rüffel ein. „Demokratien sterben hinter verschlossenen Türen“, schrieb Richter Keith in der Urteilsbegründung. „Wenn die Regierung die Türen verschließt, kontrolliert sie nach Belieben Informationen, die rechtmäßig dem Volk gehören.“

Nach dem Urteil des Bundesberufungsgerichts verstieß die US-Regierung gegen geltendes Recht, als sie nach den Terroranschlägen vom 11. September Hunderte von Abschiebeverhören im Geheimen führte.

Gegen die offene Demokratie

Diese Praxis stelle gar den Willen der Bush-Administration zu einer offenen Demokratie in Frage. Auf jeden Fall stehe sie „im kompletten Widerspruch zu jener Gesellschaft, die sich die Väter der amerikanischen Verfassung gewünscht hatten“. Das Gericht bestätigte damit das Urteil einer Bezirksrichterin aus Detroit, die im April der Klage von vier Zeitungen und eines Abgeordneten der Demokratischen Partei stattgegeben hatte. Die Kläger wollten der Anhörung eines islamischen Geistlichen beiwohnen, der wegen seines abgelaufenen Touristenvisums abgeschoben werden sollte.

„Wir dürfen den Feinden Amerikas nicht erlauben, unsere Freiheiten auszunutzen, um die Freiheit selbst zu zerstören“, hatte Präsident George W. Bush am 29. November 2001 gesagt. Seitdem wurden in den USA – wie überall auf der Welt – die Rechte von Bürgern eingeschränkt. Gesetze wurden verschärft, Überwachungsmöglichkeiten vereinfacht. Gewöhnlich merken die Menschen nichts davon. Die Ausnahme: Auf Flughäfen und in öffentlichen Gebäuden muss man sich strengeren Sicherheitskontrollen unterziehen. Doch das wird meist als Preis der Sicherheit akzeptiert.

In Amerika, das sich traditionell der Freiheit verpflichtet weiß, fordern viele Bürger sogar noch striktere Gesetze. Im Juni sagten in einer CNN-Gallup-Umfrage nur elf Prozent der Amerikaner, ihre Regierung habe die Bürgerrechte zu stark beschnitten. Die Hälfte hielt das Maß für genau richtig. 25 Prozent finden, die Regierung möge noch restriktiver vorgehen.

Die problematischen Fälle lassen sich in drei Kategorien einteilen. Die größte Empörung bei Bürgerrechtlern hat die Regierung mit der Aushebelung rechtsstaatlicher Normen in den Fällen ausgelöst, in denen sie US-Bürger zu „enemy combatants“ (feindliche Kämpfer) erklärt hat. Das betrifft derzeit zwei Personen: Yassir Esam Hamdi, der in Louisiana als Kind saudischer Eltern geboren worden war und bei den Kämpfen in Afghanistan verhaftet wurde. Und Jose Padilla, ein in Brooklyn geborener Latino, der zum Islam konvertiert war und vor einigen Wochen auf dem Flughafen von Chicago unter dem Verdacht verhaftet wurde, er plane, in den USA eine radioaktiv verseuchte Bombe zu zünden. Beide dürfen weder einen Anwalt sehen noch sich vor Gericht verteidigen. Sie werden ohne Anklage festgehalten, solange es der Regierung passt.

Nicht besser geht es den etwa 600 gefangenen Taliban-Kämpfern auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo auf Kuba. Sie werden ohne Zeitbegrenzung, ohne Anklage und ohne Anwalt hinter Gittern gehalten. Die ursprünglich geplanten Militärtribunale zögert die US-Regierung hinaus. Den Status von Kriegsgefangenen gewährt sie ihnen nicht.

Die zweite Kategorie bezieht sich auf das hohe Maß an Geheimhaltung, mit dem die Regierung versucht, die öffentliche Debatte über Einzelschicksale zu verhindern. Die Menschenrechts-Organisation „Human Rights Watch“ schrieb Mitte August: „Ungefähr 1200 Ausländer wurden in Amerika nach dem 11. September insgeheim verhaftet und verhört. Davon hielt das Justizministerium 752 Personen längere Zeit in Haft. Die meisten wurden des Landes verwiesen.“ Auch hier gab es keine anwaltliche Begleitung. Nicht einmal die n der Festgenommen wurden bekannt.

An dritter Stelle rufen zunehmende Verdächtigungen Sorge hervor. So wurden von der amerikanischen Bundespolizei FBI gut 5000 Menschen „freiwillig interviewt“, die arabisch oder moslemisch aussehen. Diese Menschen leiden besonders auch unter verstärkten Kontrollen und polizeilichen Überprüfungen.

Immerhin ließ sich Bush die meisten Gesetze, die der Inneren Sicherheit dienen sollen, durch den Kongress bestätigen. Unmittelbar nach den Anschlägen wurde der „Patriot Act“ verabschiedet, der den Ermittlungsbehörden weit reichende Befugnisse einräumt. Damit ist Bush historisch gesehen fast eine rühmliche Ausnahme. Im Ersten Weltkrieg ließ Woodrow Wilson Kriegsgegner einfach verhaften. Franklin Roosevelt internierte im Zweiten Weltkrieg Zehntausende von japanisch-stämmigen Amerikanern – sie könnten mit dem Feind kollaborieren. Verglichen damit sind die Maßnahmen der Bush-Administration bedauerlich, aber nicht extrem.

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