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Die tun nichts. Matthew Frezza (Bildmitte) vorm Aufgang zum Parlamentsgebäude in Richmond/Virginia.

© Juliane Schäuble

"Wir stürzen nur Tyrannen": Mit dem Sturmgewehr gegen Corona-Schutzmaßnahmen

Rechte Milizionäre protestieren in den USA gegen Lockdown-Beschlüsse demokratischer Gouverneure. "Sehr anständige Leute", findet Präsident Trump.

Auf einmal kommt Unruhe auf, Matthew Frezza hebt den rechten Arm und zeigt nach oben. Auf dem grünen Hügel über ihm, vor dem Säuleneingang des strahlend weißen Parlamentsgebäudes von Virginia, hat sich ein knappes Dutzend Demonstranten versammelt.

Einige haben wie Frezza AR-15-Sturmgewehre umgehängt, tragen paramilitärische Uniformen, Schutzwesten und Masken – und zwei, drei auch große Flaggen der Vereinigten Staaten vor sich her.

Ein paar Sicherheitsleute laufen auf die Männer zu und weisen sie an, so viel ist von der Straße unten zu sehen, den Platz umgehend zu verlassen.

Einen Moment lang an diesem Freitag ist nicht sicher, ob die bis dahin friedliche Kundgebung gegen die Ausgangsbeschränkungen in der Coronakrise nun entgleist – mit Frezza stehen drei Dutzend Protestierer hier unten an der Straße –, so wie es am Vortag in Michigans Hauptstadt Lansing der Fall war, als Hunderte, darunter Bewaffnete, das Kapitol besetzten und anwesende Politiker sich genötigt sahen, kugelsichere Westen überzustreifen.

Bewaffnete Protestierer beim gelungenen Versuch, Michigans Parlamentsgebäude in Lansing zu stürmen.
Bewaffnete Protestierer beim gelungenen Versuch, Michigans Parlamentsgebäude in Lansing zu stürmen.

© Jeff Kowalsky/AFP

Hier in Richmond drehen die Männer um die Fahnenträger bei und laufen den Hügel gelassenen Schrittes wieder hinunter. Sie wollen offenbar keine Eskalation, sie wollen vielleicht nur zeigen, dass sie da sind, wachsame Bürger der Vereinigten Staaten, dem Land mit den meisten bekannten Coronainfizierten, den meisten Toten und mit mehr als 30 Millionen neuen Arbeitslosen innerhalb der vergangenen sechs Wochen.

Schusswaffen sind erlaubt, Stöcke nicht

Frezza ist dennoch empört. „Das alles nur, weil sie die amerikanische Flagge dabei hatten“, sagt er. Der Mann neben ihm sagt: „Die hassen unser Land.“ Die, das sind die Demokraten rund um Virginias Gouverneur Ralph Northam und die seit 2018 demokratische Mehrheit in beiden Kongresskammern des US-Bundesstaats.

Richtig ist: Die Demonstranten wurden nicht wegen ihrer Waffen des Platzes verwiesen, sondern wegen der weißen Stöcke, an denen ihre Star-Spangled Banner befestigt sind. Schusswaffen sind auf dem Gelände rund um das Kongressgebäude in Richmond wie an jedem anderen Tag erlaubt, Transparente oder Flaggen an Stöcken an diesem Freitag aber nicht. Verstehen muss man das nicht, und die Demonstranten machen sich auch nicht erst die Mühe, für die Entscheidungen ihrer Landesregierung Verständnis aufzubringen.

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In Richmond, in Lansing, in der texanischen Hauptstadt Austin und in Madison in Wisconsin demonstrieren in diesen Tagen immer wieder Menschen gegen die von ihren Gouverneuren erlassenen Kontaktbeschränkungen, die das öffentliche Leben zum Erliegen gebracht und große Teile der US-Wirtschaft in die Zwangspause geschickt haben. In Virginia, dem Nachbarstaat der Hauptstadt Washington mit rund 8,5 Millionen Einwohnern, haben seit Mitte März eine halbe Million Menschen ihren Job verloren.

Ein „einfacher Husten“ – arbeitslos

Ende März hatte Gouverneur Northam Ausgangsbeschränkungen verhängt: Schulen wurden für den Rest des Schuljahres geschlossen, Restaurants dürfen nur noch Essen außer Haus verkaufen, und die Einwohner von Virginia sollen nur noch ins Freie gehen, um Essen und Medikamente zu besorgen oder Sport zu treiben – und dabei strikt Abstand halten. Die meisten Geschäfte haben zu.

Matthew Frezza ist mit seinen 37 Jahren bereits Vater von neun Kindern, Großvater eines Enkelkinds und beschäftigt im Baugewerbe, wie er sagt. Wegen eines „einfachen Hustens“ dürfe er nicht mehr arbeiten. Nun beziehe er Arbeitslosenhilfe in Höhe von 320 Dollar pro Woche. „Wie soll ich davon meine Familie ernähren?“ Seine Frau sei auch arbeitslos.

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Mal sind es nur ein paar Dutzend wie hier in Richmond, die sich gegen die Coronaauflagen wehren, mal Hunderte wie in Michigan, und manchmal auch mehr als Tausend wie vor einer Woche in Madison. Die Proteste wirken gut koordiniert, und laut Recherchen von US-Medien sind sie das auch: unter anderem von Vertretern der Waffenlobby.

„Befreit Michigan“, „Befreit Minnesota“, „Befreit Virginia“

Die wittern demnach ihre Chance, aus dem Unmut vieler Amerikaner über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Shutdowns Kapital zu schlagen – und die Demonstrationen für ein Ende des Notstands in einen generellen Protest gegen die jeweilige Landesregierung zu wandeln. Vor zwei Wochen twitterte Präsident Donald Trump: „Befreit Michigan!“, „Befreit Minnesota!“ und „Befreit Virginia!“. An Virginia gerichtet ergänzte er: „… und schützt euren 2. Verfassungszusatz. Er ist gefährdet.“

Die Proteste finden fast ausschließlich in Staaten statt, in denen die Demokraten die Gouverneure stellen, manche davon regieren mit einer parlamentarischen Mehrheit der eigenen Partei wie Ralph Northam in Virginia. Die Demokraten wollen in der Regel ein schärferes Waffenrecht.

Die Proteste – wie hier in Virginia – finden fast ausschließlich in Staaten statt, in denen die Demokraten die Gouverneure stellen.
Die Proteste – wie hier in Virginia – finden fast ausschließlich in Staaten statt, in denen die Demokraten die Gouverneure stellen.

© Juliane Schäuble

Das sei daher auch ein Hauptgrund, warum Matthew Frezza an diesem Tag hierher vor das Kapitol gekommen ist, sagt er. Der 37-jährige Golfkriegsveteran, ein ehemaliger Elitesoldat des United States Marine Corps, lehnt jede Verschärfung des Waffenrechts ab, seien es Hintergrundüberprüfungen potenzieller Käufer oder eine wie von Northam eingeführte Obergrenze bei der Zahl der Waffen, die jemand innerhalb eines Monats erwerben darf. „Ich werde den Zweiten Verfassungszusatz verteidigen“, sagt Frezza. Darin ist das Recht der Amerikaner festgeschrieben, Waffen zu tragen.

Sie wollen ja eigentlich keinen Krieg

Frezza hat offenbar noch einen Verdacht: Der Gouverneur nutze die Coronakrise nur als Vorwand. Mit dem „verfassungswidrigen Shutdown“ mache er die Menschen zu „Sklaven“ seiner Politik, er schüre Angst vor dem Virus und nehme ihnen so ihre Rechte weg, ihre Freiheit. „Northam ist ein Tyrann.“

Frezza erklärt kurz darauf, dass er und seine rund 30-köpfige Miliz „New Chesterfield Militia“ ja eigentlich keinen Krieg wollten. „Die Medien behaupten, Milizen wollten Regierungen stürzen. Das wollen wir gar nicht. Wir stürzen nur Tyrannen.“

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Viele Bundesstaaten lockern seit der zurückliegenden Woche ihre Schutzmaßnahmen bereits wieder, andere wohl noch lange nicht. Die USA tasten sich zurück in die alte Normalität, aber in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Texas öffnete am Freitag Restaurants und Geschäfte, obwohl der Staat erst am Vortag eine neue Rekordzahl an Todesopfern gemeldet hatte. Virginias Nachbarstaat Maryland will ab der kommenden Woche vielen Geschäften erlauben, wieder aufzumachen. Im – extrem liberalen – Washington D. C. wiederum, das an Virginia und Maryland grenzt, zeichnet sich noch keine Wiederöffnung ab.

Männer mit Waffen „schreien uns an“

Die Gouverneure der Bundesstaaten haben eine große Entscheidungsbefugnis, sie haben in dieser Krise ungeheuer an Sichtbarkeit gewonnen. Aber sie sind auch Parteipolitiker. Der Unmut über den zeitlichen Flickenteppich geplanter Lockerungen entsteht auch durch den unterschiedlichen Verlauf der Pandemie. Jene Teile Amerikas sind besonders hart getroffen, in denen die Bevölkerung mehrheitlich liberal eingestellt ist, in Großstädten wie New York City, Chicago oder New Orleans und an den Küsten auf beiden Seiten des Landes. In den ländlichen Räumen des Mittleren Westens und im Süden liegen die Fallzahlen deutlich niedriger.

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Am Donnerstag in Michigan versammelten sich im Kongressgebäude auf einmal bewaffnete Eindringlinge. Sie wollten der republikanischen Mehrheit im Parlament offenbar symbolisch zur Seite stehen, die sich der demokratischen Gouverneurin widersetzt, den Notstand bis Ende Mai zu verlängern. „Direkt über mir schreien uns Männer mit Waffen an“, twitterte die Senatorin Dayna Polehanki. Verboten ist das Waffentragen im Kapitol von Michigan nicht.

Mundschutz nur, um nicht erkannt zu werden

Am Freitag erklärt der Präsident, bei den in das Kongressgebäude eingedrungenen Bewaffneten habe es sich um „sehr anständige Leute“ gehandelt, die eben sehr wütend seien. „Sie wollen ihr Leben zurück“, twittert er. Und darum müsse die Gouverneurin das Gespräch mit ihnen suchen und das „Feuer“ löschen. Seine Regierung propagiert gleichzeitig Richtlinien für „Social Distancing“, Mundschutztragen und andere Beschränkungen des öffentlichen Lebens.

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In Richmond trägt rund die Hälfte der Demonstranten einen Mundschutz. Frezza verwendet ihn nur, sagt er, um nicht im Internet durch eine Gesichtserkennung geoutet zu werden. „Eine Maske würde ich nicht aufsetzen“, sagt er, aber er sei schon überzeugt davon, dass es sich um ein „wirkliches Virus“ handele. Es sei nur eben nicht schlimmer als die übliche Grippe. Er lehne es ab, in ängstlicher Sicherheit zu leben, ziehe die Freiheit der Angst vor.

„Gesunde Menschen“ haben „nichts zu befürchten“

Auch Jason Roberge, der bei den Kongresswahlen im November für einen von Virginias Wahldistrikten kandidiert, hat zwar eine amerikanische Flagge als Halstuch umgebunden, zieht diese aber nicht vor das Gesicht. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich bereits mit dem Coronavirus infiziert war, und außerdem haben gesunde Menschen nichts zu befürchten“, sagt der 37-Jährige.

Jason Roberge kandidiert bei den Kongresswahlen im November für einen von Virginias Wahldistrikten, die offiziellen Todeszahlen hinterfragt er. „Die werden doch nach oben oder nach unten korrigiert, je nachdem, wie es gerade passt.“
Jason Roberge kandidiert bei den Kongresswahlen im November für einen von Virginias Wahldistrikten, die offiziellen Todeszahlen hinterfragt er. „Die werden doch nach oben oder nach unten korrigiert, je nachdem, wie es gerade passt.“

© Juliane Schäuble

Roberge, der mal bei der Küstenwache diente, als Anwalt arbeitete und ein eigenes Unternehmen führte, bevor er in die Politik wechselte, ist ein erklärter Trump-Fan. Wie der Präsident zweifelt er Aussagen von Gesundheitsexperten an, die offiziellen Todeszahlen hinterfragt er. „Die werden doch von Land zu Land nach oben oder nach unten korrigiert, je nachdem, wie es gerade passt.“

Roberge, den Nachdruck einer Niederschrift der Verfassung in der Hand, will als Unterstützer der Proteste in Richmond bezeichnet werden. Er leitet Tweets über Anthony Fauci weiter, in denen Amerikas Top-Immunologe, führendes Mitglied der „White House Coronavirus Task Force“, angegriffen wird. Höchst verdächtig sei es, heißt es da etwa, dass Fauci sich optimistisch über das Mittel Remdesivir im Kampf gegen Corona äußere, aber das von Trump erwähnte Hydroxychloroquin negativ bewerte. Fauci wird in rechten Kreisen als Feindbild aufgebaut, da er es immer wieder gewagt hat, Aussagen des Präsidenten zu korrigieren.

Eine zum Zubeißen bereite Klapperschlange

Das Coronavirus trifft in Amerika auf eine ohnehin gespaltene Gesellschaft. Dass mehr hinter den Protesten steckt, könnte man auch aus den gelben Flaggen schließen, die eine zum Zubeißen aufgerichtete Klapperschlange zeigen. Auch bei der Demonstration in Richmond sind sie zu sehen. Unter der Schlange stehen die Worte „Don’t tread on me“ – Tritt mich nicht. Die Flagge, die erstmals im amerikanischen Unabhängigkeitskampf gegen das britische Empire zu sehen war, ist auch das Symbol der rechtskonservativen Tea Party, die ab 2009 die Republikanische Partei von Grund auf verändert hat.

In den Vereinigten Staaten „lohne“ es sich finanziell, wenn als Todesursache Covid-19 angegeben werde, sagt Jason Roberge noch. „Dafür gibt es 10000 Dollar extra für die Krankenhäuser.“ Auf die Frage, woher er dies wisse, verweist er auf das Internet. „Schauen Sie es nach, es ist leicht zu finden.“

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