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Zuletzt war Premier Benjamin Netanyahu in die Kritik geraten.

© Corinna Kern/ REUTERS

„Wir werden Corona bekämpfen“: Was sich die neue Regierung in Israel vorgenommen hat

Dass es doch mit der Regierungsbildung geklappt hat, erklärt Israel mit der außerordentlichen Notlage. Doch schon gibt es Kritik an den ersten Maßnahmen.

Nach mehr als einem Jahr politischer Unsicherheit, drei Wahlen und etlichen ergebnislosen Verhandlungsrunden ist eingetroffen, womit viele Israelis kaum noch gerechnet hatten: Das Land bekommt eine große Koalition, eine sogenannte Regierung der nationalen Einheit.

Der amtierende Premierminister Benjamin Netanjahu und der Vorsitzende der zentristischen Blau-Weiß-Partei, Benny Gantz, fanden am Montag in den späten Abendstunden zu der lang erwarteten Einigung. „Wir haben eine vierte Wahl verhindert“, schrieb Gantz, der für seine Annäherung an den einstigen Rivalen viel Kritik hatte einstecken müssen, auf Twitter. „Wir werden die Demokratie schützen. Wir werden Corona bekämpfen und uns um jeden Bürger Israels kümmern.“

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Die Vereinbarung sieht vor, dass Netanjahu, der sich ab Mai wegen Verdacht auf Betrug, Untreue und Bestechlichkeit vor Gericht verantworten muss, in den ersten anderthalb Jahren sein Amt behält. Gantz wird derweil das Amt des Verteidigungsministers sowie des stellvertretenden Premiers übernehmen. Anschließend sollen die beiden tauschen.

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Des Weiteren soll die neue Regierung 36 Minister und 16 Vize-Minister bekommen, ein teurer Rekord, der angesichts der von Covid-19 verursachten Wirtschaftskrise einigen Unmut nach sich zieht. Die Einigung führe zu einer „Regierung ohne große Vision oder klare Ziele, der etliche verschwenderische Ministerien und sperrige politische Abmachungen auferlegt wurden“, kommentierte Yohanan Plesner, Präsident des Israel Democracy Institute, eines liberalen Think-Tanks.

Insgesamt sollen die beiden politischen Lager in der Koalition als gleichberechtigte Partner zusammenarbeiten, obwohl der rechts-religiöse Block, der Netanjahu unterstützt, erheblich größer ist als das Mitte-Links-Bündnis. Aus Gantz’ eigener Partei folgen ihm nur 17 von ursprünglich 33 Abgeordneten in die Regierung; die übrigen hatten sich abgespalten, nachdem er sich zu Verhandlungen mit Netanjahu bereit erklärt und damit sein wichtigstes Wählerversprechen gebrochen hatte.

Streitpunkt: Annexion israelischer Siedlungen im Westjordanland

Gantz hatte die Kehrtwende mit der außerordentlichen Notlage begründet, in der sich das Land wegen des Coronavirus befinde. Die Rebellen bleiben unter in der Opposition. Dafür schließt sich die linke Arbeitspartei der neuen Regierung an, ebenso wie Orli Levy-Abekasis, Gründerin und Vorsitzende der sozial orientierten Gesher-Partei. Der Vorsitzende der Arbeitspartei, Amir Peretz, soll Medienberichten zufolge das Amt des Wirtschaftsministers übernehmen. Bisher unklar ist, ob die rechte Yemina-Partei, bisher fest im Lager Netanjahus verankert, sich an der neuen Regierung beteiligen wird.

International dürfte besonders ein Aspekt der Vereinbarung für Diskussionen sorgen: Demnach soll Netanjahu ab Juli mit der Annexion israelischer Siedlungen im Westjordanland beginnen dürfen, sofern die US-Regierung zustimmt. Große Teile der internationalen Gemeinschaft, darunter die Europäische Union, betrachten die Siedlungen als Hindernis für eine Zwei-Staaten-Lösung und lehnen eine unilaterale Annexion strikt ab.

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Ursprünglich hatte Gantz eine mögliche Annexion abhängig von der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gemacht, eine utopische Voraussetzung; nun scheint ihm die Zustimmung der USA zu genügen. „Es ist schwer zu sagen, ob Trump Netanjahu das erlaubt“, meint der israelische Politanalyst Aviv Bushinsky. „Aber ohne grünes Licht von Trump kann Netanjahu das nicht durchziehen.“

Peter Lintl, Israel-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, geht davon aus, dass die Knesset für eine Annexion votieren wird, sollte es zu einer Abstimmung kommen. „Das wäre wohl das Ende einer verhandelten Zweistaatenlösung. Der Ausgleich mit den Palästinensern ist dann nur noch theoretisch vorstellbar.“

Lintl vermutet, dass die Führung um Präsident Mahmud Abbas in diesem Fall große Teile der Zusammenarbeit mit den israelischen Behörden einstellen wird. „Dann entsteht ein brisantes Ordnungsvakuum, das Gewalt nach sich ziehen könnte.“ Dennoch sei die Forderung nach einer Annexion in weiten Teilen der israelischen Gesellschaft Konsens.

„Der Glaube an die Zweistaatenlösung erodiert“

„Der Glaube an eine Zweistaatenlösung ist erodiert. Viele Israelis gehen ohnehin davon aus, dass die großen Siedlungsblöcke im Westjordanland zum Staatsgebiet gehören. Das wird zumeist nicht als etwas Unrechtes empfunden.“

Viele Beobachter rechnen im Fall eines Annexions-Beschlusses mit Protesten in den Palästinensergebieten und der weiteren arabischen Welt sowie mit strafenden Maßnahmen arabischer Regierungen.

Die jordanische Führung zum Beispiel hat bereits gedroht, eine Annexion israelischer Siedlungen würde den jordanisch-israelischen Friedensvertrag gefährden.

Israel hofft auf die große Koalition

In Israel überwiegt dennoch die Erleichterung darüber, dass wenigstens die politische Krise gelöst scheint – und die neue Regierung sich nun der Gesundheits- und Wirtschaftskrise widmen kann. Eine Mehrheit hatte eine Koalition, wie sie nun entstehen wird, in Umfragen befürwortet.

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