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Politik: „Wir werden uns wehren“

DGB-Chef Michael Sommer über Schwarz-Gelb – und warum Lafontaine keinen Termin bekommt

Herr Sommer, haben Sie Angst vor dem Wahlergebnis am 18. September?

Dann wäre ich im falschen Job. Aber ich mache mir schon Sorgen. Wenn die Wähler mehrheitlich Union und FDP wählen, könnten diese versucht sein, den Gewerkschaften das Rückgrat zu brechen, so wie in Großbritannien unter Margaret Thatcher.

Übertreiben Sie da nicht ein wenig?

Die Programme sind eindeutig. Kündigungsschutz schleifen, die Mitbestimmung einschränken und Tarifverträge gesetzlich aufbohren, um die Betriebsräte ohne Gewerkschaften in erpresserische Lohnverhandlungen zu zwingen – das richtet sich klar gegen die Arbeitnehmer und soll ihre Organisationen schwächen. Aber ich garantiere Ihnen, wir werden uns wehren.

Sind Sie denn dazu noch in der Lage?

Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Die Spanne reicht von der Verfassungsklage über Demonstrationen bis zur Mobilisierung in den Betrieben.

In den Betrieben? Politische Streiks sind illegal in Deutschland.

Man muss ja nicht gleich streiken. Aber wenn die Union die Tarifautonomie und die Mitbestimmung angreift, dann ist sie es, die Konflikte in die Betriebe trägt.

Gegen Hartz IV haben Sie auch mobilisiert und am 3. April 2004 sogar mit einer halben Million Menschen demonstriert, nur um den Protest dann plötzlich aufzugeben. Warum eigentlich?

Es gab zwischen den Gewerkschaften keine Einigkeit über das Vorgehen.

Hatten Sie Angst, der Protest könnte die Regierung stürzen?

Es ist nicht unsere Aufgabe, eine Regierung zu stürzen.

„Wenn die Gewerkschaften mit der Macht des 3. April die Montagsdemonstrationen begleitet hätten, würden wir in einem anderen Land leben.“ Das Zitat ist von Ihnen.

Mag sein, aber wir hatten gute Gründe, das nicht zu tun, weil Rechtsradikale, von Anfang an versucht haben, die Bewegung zu missbrauchen. Wir haben damals hohes demokratisches Verantwortungsbewusstsein bewiesen und die Radikalen teilweise zurückgedrängt. Diese Leistung sollten auch diejenigen bedenken, die uns wie die FDP als Plage bezeichnen.

Hinter den Forderungen von Schwarz- Gelb steht aber doch keine Bosheit, sondern die Absicht, so die wirtschaftliche Stagnation zu überwinden.

Das ist eine Schutzbehauptung. Da geht es um nichts anderes als die Verschiebung des Kräfteverhältnisses zu Gunsten der Arbeitgeber. Warum soll sich die Wirtschaftslage verbessern, wenn die Arbeitnehmer fast wehrlos zu Lohnverzicht und Mehrarbeit gedrängt werden können? Schon jetzt ist unser größtes Problem die mangelnde Binnennachfrage. Wie die durch Lohnsenkungen gesteigert werden soll, bleibt das Geheimnis der Angebotstheoretiker, deren Politik schon seit 25 Jahren keinen Fortschritt bringt.

Also Löhne rauf und alles wird gut?

Nein, im Gegensatz zu vielen unserer Kritiker glauben wir nicht an primitive Patentrezepte. Darum arbeiten wir in vielen Betrieben zum einen mit dem Management daran, über Flexibilisierung und mehr Produktivität Auslandsmärkte zu entwickeln, zum anderen ist es unsere Aufgabe, die mangelhafte Binnenkonjunktur in Schwung zu bringen. Aber wenn den Leuten ständig Angst vor der Zukunft gemacht wird und ihre Einkommen sinken, dann stößt das an Grenzen.

Stagnieren die Löhne nicht vor allem deshalb, weil die Gewerkschaften jetzt schon zu schwach sind, um überhaupt Erhöhungen durchzusetzen?

In gut laufenden Branchen wie Stahl und Chemie können sich die Abschlüsse schon sehen lassen. Andere Branchen könnten folgen – wenn die Beschäftigten sich besser organisieren und der Markt es hergibt.

Aber gut ein Drittel aller Arbeitnehmer werden gar nicht mehr nach Tarif bezahlt und Ihnen laufen die Mitglieder davon.

Wir müssen bei der Organisationsentwicklung besser werden. Per Saldo verlieren wir noch Mitglieder, aber da, wo wir gute betriebsnahe Politik machen, wie zum Beispiel die IG Metall in NRW, da schaffen wir schon die Trendwende.

Im Programm der Linkspartei sind alle DGB-Forderungen zur Wahl enthalten. Müssten Sie nicht geschlossen zu deren Wahl aufrufen?

Als Einheitsgewerkschaften arbeiten wir mit allen demokratischen Parteien zusammen, vor allem mit den großen Volksparteien. Sie repräsentieren 70 Prozent der Wähler und bestimmen maßgeblich die Richtung der Politik. Mit einer Gewerkschaftspartei in der Opposition kann man nicht gestalten. Dass die Linkspartei die anderen zwingt, die sozialen Fragen ernster zu nehmen, dagegen habe ich nichts.

Darum treffen Sie sich diese Woche nur mit Frau Merkel und Kanzler Schröder? Mit Lafontaine gibt es keinen Termin?

Nein, wir diskutieren bewusst mit den Parteien, die den Kanzler stellen können.

Viele ihrer Kollegen haben diese Hoffnung aufgegeben. Über tausend Gewerkschafter und Betriebsräte unterstützen namentlich die Linkspartei. Droht Ihnen nach der Wahl die Spaltung?

Darauf würde es hinauslaufen, wenn wir nicht ganz klar dabei bleiben, dass wir eine Interessenvertretung sind, die in Parteien wirkt, aber nicht für sie. Wir haben schließlich auch Betriebsräte-Initiativen für die SPD und für die CDU. Aber ich sehe die Gefahr: Wenn die politischen Konflikte sich zuspitzen, könnte das in die Gewerkschaften überschwappen. Davor warne ich alle Kollegen. Wer immer Parteipolitik in die Gewerkschaften trägt, der provoziert die Fraktionierung und will die Organisationen der Arbeitnehmer schwächen.

Seit Jahren werden die Gewerkschaften immer schwächer. Können Sie nicht verstehen, dass manche nach neuen Bündnispartnern suchen?

Doch, aber wenn wir entlang von Parteilinien streiten, dann kriegen wir nie wieder ein einheitliches Vorgehen hin. Wir werden doch mehr gebraucht denn je.

Ach ja? Wo denn?

Um Druck zu machen in der Gesellschaft und allen Parteien. Es gibt immer mehr Menschen mit existenziellen Problemen. Hartz IV hat ganz viel Angst vor sozialer Deklassierung geschaffen. Mehr als 2,5 Millionen Arbeitnehmer hierzulande müssen mit Armutslöhnen von weniger als 1200 Euro im Monat auskommen. Die können für gar nichts vorsorgen. Für die ist Forderung nach mehr Selbstverantwortung leeres Geschwätz. Manche in der Politik glauben, sie können das aussitzen. Darum müssen sie jetzt auch mit so vielen Protestwählern rechnen. Ich hoffe, dass der Wahlkampf unabhängig vom Ergebnis wenigstens bringt, dass Politiker aller Parteien endlich die wachsende Not erkennen.

Das Gespräch führten Lorenz Maroldt und Harald Schumann.

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