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Politik: „Wir wollen nicht belehrt werden“

Deutsche und Russen diskutieren in Dresden ungewöhnlich offen – auch über die Pressefreiheit

Michail Gorbatschow hat seine ganz eigene Interpretation der deutsch-russischen Beziehungen: „Wir haben im Osten eine Kanzlerin großgezogen“, sagte der frühere sowjetische Staatschef zum Abschluss des „Petersburger Dialogs“ in Dresden. Bundeskanzlerin Angela Merkel konterte und erzählte von ihrer ersten Begegnung mit Russland. Als 14-Jährige sei sie im „sozialistischen Freundschaftszug“ nach Moskau und Jaroslawl gefahren. In der Disko wurde sie von russischen Jugendlichen darauf angesprochen, wie denn das Leben in einem geteilten Land sei und dass Deutschland nicht geteilt bleiben könne. Das sei wohl nicht im Sinne der Offiziellen gewesen, sagte Merkel.

Ähnliches kann auch für den „Petersburger Dialog“ gelten, ein deutsch-russisches Gesprächsforum, das in Dresden zum sechsten Mal tagte. In den Anfangsjahren dieses Dialogs gab es auf beiden Seiten Unzufriedenheiten. Die Deutschen wollten über die russische Zivilgesellschaft, die Pressefreiheit und Probleme der innenpolitischen Entwicklung reden, die Russen wollten genau das lieber nicht.

Einige Teilnehmer fragten sich damals sogar schon, ob eine solche Veranstaltung sinnvoll sei, in der beide Seiten aneinander vorbeireden. Andererseits wurden von Anfang an in den Bereichen Wirtschaft, Bildung und Kultur gemeinsame Projekte angestoßen. „Wir haben Partnerschaften aufgebaut, die jetzt beginnen zu funktionieren“, sagte Klaus Mangold, Vorsitzender des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, in Dresden. Entsprechend hochkarätig war auch auf beiden Seiten die Arbeitsgruppe Wirtschaft besetzt.

Der „Petersburger Dialog“ zeigt damit ein Grundproblem im Verhältnis zwischen Deutschland und Russland: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist längst viel weiter als die Annäherung im gesellschaftspolitischen Bereich. Doch fünf Jahre nach Gründung des Petersburger Dialogs war im Austausch über strittige Themen erstmals Bewegung zu erkennen, die Gespräche kamen wirklich in Gang.

Viele russische Teilnehmer stellten in Dresden klar, dass sie sich von den Deutschen nicht bevormunden lassen wollen: „Es darf nicht sein, dass einer der Lehrmeister, der andere aber der Belehrte ist“, mahnte Gorbatschow, der dem russischen Lenkungsausschuss des „Petersburger Dialogs“ vorsteht. Anders als früher kamen diesmal allerdings auch die Probleme auf den Tisch, die sonst eher ausgeklammert oder – noch schlimmer – zerredet wurden. So verständigte sich die Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft beispielsweise darauf, sich mit Fremdenfeindlichkeit in beiden Ländern zu befassen. „Wir haben viel offener geredet als früher“, sagten mehrere Teilnehmer.

Ungewöhnlich offen war auch die Diskussion in der Medienarbeitsgruppe, die früher unter anderem daran krankte, dass auf deutscher Seite Journalisten und auf russischer Seite Wissenschaftler und Politiker saßen. Das war in diesem Jahr anders. Die russischen Journalisten diskutierten leidenschaftlich und sehr offen über den Tod ihrer Kollegin Anna Politkowskaja und die Pressefreiheit in ihrem Land. „Jeden Morgen sage ich meinen Kollegen: Hört auf, euch selbst zu zensieren. Seid freier“, sagte Wladimir Mamontow, Chefredakteur der „Iswestija“. Die Deutschen mussten sich ihrerseits Kritik an ihrer Berichterstattung über Russland gefallen lassen. Zu einseitig und zu viele Stereotypen, bemängelten die russischen Kollegen.

Mehr Austausch zwischen beiden Ländern und eine gemeinsame Journalistenausbildung sollen das nun ändern. Am Schluss verfassten deutsche und russische Journalisten gemeinsam einen Solidaritätsbrief an Politkowskajas Zeitung „Nowaja Gaseta“ und baten zugleich die russische Generalstaatsanwaltschaft um eine rasche Aufklärung des Falls. Zumindest bei diesem Thema waren Deutsche und Russen nahezu einer Meinung.

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