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Politik: Wirklich arm dran

REICHE UND STEUER

Von Ursula Weidenfeld

Ein bisschen merkwürdig ist es schon, dass immer dann, wenn sich in diesem Land bei der Besteuerung von Gewinnen oder Aktien etwas ändert, vor allem eine Frage ganz oben steht: war es eine Entscheidung zu Gunsten der Reichen, oder eine zu Gunsten der Einheit, der Gleichheit, der Gerechtigkeit? So auch gestern: Das Bundesverfassungsgericht urteilte nur darüber, ob eine Steuer rechtmäßig ist, die der Staat nicht eintreiben kann. Eine „Dummensteuer“ also, wie sie der Kläger, ein Steuerrechtsprofessor nannte. Oder eine schlampig gemachte Steuer, wie Finanzgerichte vorher festgestellt haben.

Doch kaum hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Spekulationssteuer auf Aktiengewinne in der Anfangszeit verfassungswidrig war, löste sich die Debatte von der steuersystematischen Betrachtung: Ist es fair, wenn der Staat denen, die ihr Geld im Schlaf einstreichen, auch noch die Steuer erlässt? Ist es gerecht, dass diejenigen, die ohnehin profitieren im Kapitalismus, nun auch noch straflos davonkommen, weil die Steuern nicht eingetrieben werden? Werden die Reichen nicht ohnehin besser behandelt, als sie es verdienen – dürfen sie dann künftig mit einer Pauschalsteuer möglicherweise noch besser gestellt werden? So fragen Gewerkschafter und Sozialpolitiker im Namen von Arbeitslosen, Geringverdienern und Armen. Wieder einmal wird laut über Gleichheit und Gerechtigkeit diskutiert, wo in Wirklichkeit Reichtum gemeint ist.

Es lässt sich nicht bestreiten, dass es Reichen besser geht als Armen – das ist überall auf der Welt so, auch in diesem Land. Auch lässt es sich nicht leugnen, dass es Reichen leichter fallen sollte, ihren Steuerpflichten nachzukommen. Wer Glück gehabt hat im Leben, müsste bereit sein, das Gemeinwesen mitzufinanzieren. Wer eine bessere Ausbildung genießen durfte, sollte ein Interesse haben, auch anderen Zugang zu guten Schulen zu ermöglichen. Offensichtlich aber ist das nicht der Fall. Die Besserverdienenden sind besonders pfiffig, wenn es darum geht, Steuern zu vermeiden. Sie haben keinerlei moralische Probleme gehabt, dem Staat ihre Aktiengewinne zu verschweigen. Und sie werden auch künftig nur dann zahlen, wenn sie zahlen müssen.

Und doch würde auch dann, wenn sich alle Reichen und Glücklichen im Lande unaufhörlich lauter, ehrenwert und hochmoralisch verhielten, eines nicht verschwinden: die Unterschiedlichkeit.

Das aber ist es, was für die Bürger dieses Landes offenbar schwerer zu verkraften ist als für die Bürger der meisten anderen Länder. Deshalb würden sie hier am liebsten morgen schon die Vermögensteuer wieder einführen, das Bankgeheimnis aufheben und übermorgen die Erbschaftsteuer erhöhen. In Deutschland geht es nicht in erster Linie darum, den Leistungsfähigen einen fairen Teil für das Gemeinwohl abzuverlangen. Hier geht es darum zu ertragen, dass auch in diesem Land Menschen unterschiedlich sind: Ungleich reich, unterschiedlich begabt, gebildet, temperamentvoll, engagiert. Schlimmer noch: Dass gerade in der Verschiedenheit der Anreiz zu Leistung, Ehrgeiz und Fortschritt liegt, wird als unfair empfunden. Dass nur dort, wo Verschiedenheit belohnt wird, langfristig der Wohlstand gesichert werden kann, gilt als nicht hinnehmbare Zumutung der Marktwirtschaft.

Natürlich kann niemand etwas dafür, in welche Familie, mit welchem Intelligenzquotienten, welchen sozialen Fähigkeiten und welchem Erbe er geboren wird. Aber deshalb darf man den Staat nicht zur Gleichmachungsmaschine umfunktionieren, damit die ein besseres Gefühl haben, denen es schlechter geht.

Klar: Kaum jemand wird heute noch vom Tellerwäscher zum Millionär in diesem Land. Und vermutlich werden nur die wenigsten aus einer Ich AG einen internationalen Konzern schmieden können. Aber ein Land, das jede Hoffnung aufgibt, seine Armen durch Bildung und ein offenes Wirtschaftssystem in die Lage zu versetzen, selbst wohlhabend zu werden, gibt auch die Vorstellung auf, dass Leistung, Energie, Einsatz am Ende zu etwas Gutem führen. Es wird zu einem Land, das am Ende bei jeder Entscheidung nur noch darüber zetert, ob das vorhandene Geld richtig verteilt wird. Es wird zu einem wirklich armen Land.

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