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Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung überraschend dafür ausgesprochen, die Zuwanderung aus der EU zu begrenzen.

© dpa

Wirtschaft fürchtet Folgen des Zuwanderungs-Votums: Die EU wird sich von der Schweiz nicht vorführen lassen

Das "Ja" der Schweiz zur begrenzten EU-Zuwanderung wird Folgen haben - vor denen sich insbesondere die Wirtschaft fürchtet. Schneiden sich die Eidgenossen ins eigene Fleisch?

Es ist Dienstag, sieben Uhr morgens am Bahnhof Genf: Tausende Männer und Frauen im dunklen Business-Dress steigen aus den Zügen, eilen in ihre Büros. Es sind Schweizer, Franzosen, Deutsche, Briten, Italiener. Das dominierende Thema in ihren Gesprächen: das Ja der Eidgenossen zu der Anti-EU-Initiative „Gegen Masseneinwanderung“ vom Sonntag. Viele fragen sich: Wird jetzt die boomende Wirtschaft der Eidgenossenschaft leiden? Schneiden sich die Eidgenossen ins eigene Fleisch?

Glaubt man den führenden Industrieverbänden wie Economiesuisse, dann sind „negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Schweiz“ zu befürchten. Denn die Europäische Union, so lautet die Prophezeiung, wird sich nicht von der kleinen Schweiz vorführen lassen. Da wird es auch wenig nützen, dass die Eidgenossenschaft mehr als eine Milliarde Euro zum Aufbau der östlichen EU-Staaten zuschießt oder den Europäern als Transitland dient.

Bislang war die Schweiz ein Magnet für Hochqualifizierte aus Europa

Das Ja der Schweizer werde Folgen haben, glaubt Hans-Ulrich Bigler, Direktor des eidgenössischen Gewerbeverbandes, das gebe es nicht „zum Nulltarif“. Besonders die Rekrutierung von ausländischem Personal dürfte nicht mehr so einfach laufen wie bisher. So sagte der Verwaltungsratspräsident des Pharmaunternehmens Galenica, Etienne Jornod, der „Berner Zeitung“: „Wir gehen nach der Abstimmung davon aus, dass sich ausländische Bewerber nun zweimal überlegen, ob sie ein Stellenangebot hier annehmen oder nicht.“ Bei Galenica arbeiten zu einem Drittel Ausländer. Gewerbeverbands-Direktor Bigler sieht sogar die Gefahr, dass große Firmen wie Google komplett abwandern – weil sie keine Fachkräfte mehr finden.

Bislang war die Schweiz ein Magnet für Hochqualifizierte aus dem übrigen Europa – besonders aus dem deutschsprachigen Ausland. So leitet der frühere Präsident der Deutschen Bundesbank Axel Weber als Präsident den Verwaltungsrat der größten Schweizer Bank, der UBS. Der Österreicher Peter Brabeck-Letmathe lenkt seit Jahren die Geschicke des Nahrungsmittelmultis Nestlé. Deutsche arbeiten auch in der Hotellerie, egal ob in der Direktion oder an der Rezeption, in Krankenhäusern, als Ärzte und Pfleger, sie verdienen ihr Geld als Ingenieure oder als Busfahrer. „In vielen Branchen kommt man ohne die deutschen Fachkräfte nicht mehr aus“, erklärte Fritz Burkhalter, Vorsitzender des „Swiss German Club“.

Schweiz ist von der EU abhängig

Schweizer Firmen fürchten jedoch auch, dass Brüssel ihnen den Zutritt zu den europäischen Märkten erschweren könnte. Bislang sorgt ein Bündel von Abkommen mit der EU dafür, dass die eidgenössischen Firmen von Nordschweden bis Süditalien fast genauso frei operieren können wie die Konkurrenten aus dem EU-Raum. „Die EU ist die mit Abstand wichtigste Handelspartnerin der Schweiz. Jeder dritte Arbeitsplatz lebt vom Handel mit Europa“, heißt es bei den Wirtschaftsverbänden.

Zudem gibt es die Befürchtung, dass der Tourismus leiden könnte. In der Branche fragt man sich: Wollen die Deutschen oder Niederländer tatsächlich in ein Land kommen, das eine Politik gegen sie macht? Ohnehin verzichten viele Europäer wegen der sehr hohen Preise seit Jahren auf einen Urlaub in der Schweiz, was zu empfindlichen Einbußen in der Branche führt.

Jan Dirk Herbermann

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