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Wirtschaftsmodell: Ein bisschen Kapitalismus auf Kuba

Wirtschaftliche Reformen unter Beibehaltung des aktuellen Systems – so lautete die Botschaft der kubanischen Führung. Dafür will Raul Castro mehr private Initiativen zulassen.

Wer sich nach der Freilassung kubanischer Dissidenten Hoffnung auf ein Tauwetter in dem Inselstaat machte, der wurde am Wochenende enttäuscht. „Dissidenten sind keine politischen Häftlinge, sondern Konterrevolutionäre“, sagte Präsident Raul Castro am Sonntag bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit der Maßnahme. „Keiner dieser Bürger wurde wegen seiner Ideen verurteilt, wie die weltweiten Medienkampagnen glauben machen wollen, sondern sie haben Gesetze verletzt und sich in den Dienst der USA und deren Embargo- und Umsturzpolitik gestellt“, fügte der Staatschef hinzu. Wer sich solchen Aktivitäten widme, könne auch in Zukunft nicht mit Nachsicht der Regierung rechnen.

Man müsse „ein für alle Mal mit der Vorstellung aufräumen, dass Kuba das einzige Land auf der Welt ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten“, sagte Castro und kündigte Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität in den Staatsbetrieben an. Zwar kündigte der 79-Jährige an, er werde mehr privatwirtschaftliche Initiativen zulassen, um die eine Million Arbeitskräfte zu versorgen, die in den nächsten Monaten aus dem maroden Staatsapparat entlassen werden sollen. Aber von Reformen könne keine Rede sein, es handele sich lediglich um eine Aktualisierung des Wirtschaftsmodells, stellte Wirtschaftsminister Marino Murillo klar. Wirtschaftliche Reformen unter Beibehaltung des aktuellen Systems – so lautete die Botschaft der kubanischen Führung.

Die Ankündigung folgt wenige Tage nach diversen öffentlichen Auftritten Fidel Castros, der nach eigenen Angaben vier Jahre nach seiner schweren Darmoperation wieder „voll auf dem Damm“ ist. Er ehrte ehemalige Kämpfer, dozierte im Staatsfernsehen, besuchte Wissenschaftler, empfing Botschafter und redete kommunistischen Jugendlichen ins Gewissen. Beobachter sehen darin ein klares Signal an die Öffentlichkeit. Der Gralshüter der Revolution meldet sich inmitten einer schweren Wirtschaftskrise zu Wort und gibt deutlich zu verstehen, dass kein politischer Wandel anbricht. Raul mag zwar der effizientere Verwalter der Revolution sein – die symbolische Führungsfigur bleibt aber Fidel.

Doch wie ist die Beziehung der beiden Brüder wirklich? Fidel, der Bremser, Raul der Reformer? Oder ein abgesprochenes Rollenspiel zwischen beiden? Aufschluss darüber wird wohl erst die Zukunft geben. Öffentlich hält sich Fidel mit Kommentaren zur aktuellen Lage auf Kuba auffallend zurück. Doch auch Raul geizt mit Auftritten. Dass zum Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne am 26. Juli erstmals keiner der beiden Castro-Brüder das Wort ergriff, könnte ein Zeichen für Unstimmigkeiten zwischen den beiden sein. Die Beziehung der beiden unterschiedlichen Charaktere war nicht frei von Spannungen, funktionierte aber, weil sich Raul stets im Schatten seines charismatischen Bruders hielt.

Fidel, der ältere, brillante, egozentrische, wortgewandte Frauenheld. Raul, der introvertierte, machiavellistische Strippenzieher im Hintergrund. Seine Aufgabe war es, die Militärs auf Linie zu halten, während Fidels Charisma die Loyalität der Bevölkerung garantierte. Unterschiedliche Meinungen haben die beiden beispielsweise über die Wirtschaftspolitik. Während Fidel Anfang der 90er Jahre nur zögerlich den Kubanern erlaubte, auf eigene Rechnung zu arbeiten, schickte Raul – ein Bewunderer des chinesischen Modells – die Militärs zu Managementkursen und machte aus ihnen die tragende Verwaltungselite des Landes. Differenzen gibt es auch hinsichtlich der Haltung zum Venezolaner Hugo Chavez. Fidel sieht in dem linken, in Erdöldollars schwimmenden Caudillo seinen Ziehsohn, der in Lateinamerika die Fackel der Revolution hochhält. Raul weiß, dass die venezolanischen Erdöllieferungen Kuba aus dem Energieengpass helfen, ist aber deutlich zurückhaltender gegenüber Chavez.

Seit Fidels Erkrankung lastet die Verantwortung auf Raul. Und der Jüngere schlug einen eigenen Kurs ein. Es begann mit kleinen Schritten zur wirtschaftlichen Liberalisierung, zum Beispiel zur Freigabe des Kaufs von Konsumgütern wie Handys und der Ausweitung der selbstständigen Arbeit. Raul regte die Bevölkerung zu einem Prozess der Selbstkritik und Reflexion an, schwächte die antiamerikanische Rhetorik ab und begann Gespräche mit der katholischen Kirche und der Europäischen Union, in deren Folge jetzt die Dissidenten freigelassen wurden. Die Wirtschaftslage hat sich freilich nicht merklich verbessert. Die Frustration der Bevölkerung wächst, der Reformdruck steigt. Und Fidel wacht über sein Erbe.

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